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Könntest du vielleicht zu Anfang allgemein etwas über die Geschichte und die Ziele des AK Nahost sagen?
Petra Mendelsohn: Unsere Gruppe wurde 1982 von Alisa Fuhs, der damaligen Präsidentin der Liga für Menschenrechte, vor dem
Hintergrund des Libanonkriegs gegründet. Das Ziel war zunächst ganz einfach, sich politisch auszutauschen und Stellung zu nehmen zu den
Ereignissen im Nahen Osten. Damals nannte man sich noch "Jüdische Gruppe Berlin", wobei trotz des Namens sehr schnell ein Dialog auch
mit arabischen Organisationen und Palästinensern hier in Berlin entwickelt wurde.
Das ist, glaube ich, auch das besondere an diesem Projekt: Hier arbeiten Israelis, deutsche
Juden, interessierte nichtjüdische Deutsche sowie Palästinenser und andere Araber zusammen. Als ich selbst dann vor etwa drei Jahren zum
Arbeitskreis gekommen bin, gab es bereits eine regelmäßige Bildungsveranstaltung mit Referentinnen und Referenten aus der israelischen
Friedensbewegung, aus arabischen Ländern und anderen, die sich intensiv mit der Nahostkonflikt beschäftigt haben.
Vor etwa eineinhalb Jahren hat sich dann innerhalb des Arbeitskreises eine Art
"Aktivgruppe" von 1520 Leuten gegründet, in der wir dann z.B. einen Offenen Brief an Außenminister Fischer geschrieben
haben. Eine unserer regelmäßigen Aktionen ist jetzt die Mahnwache jeden zweiten und vierten Samstag im Monat vor dem
"Kranzlereck" am Kurfürstendamm.
Lass uns ein wenig zurückgehen. Die zweite Intifada, die vor nun bald zwei Jahren begonnen hat, bedeutet ja auch das definitive Ende der
Osloer Verträge. Welche Position hattet ihr zu den Friedensverhandlungen?
Für uns war das immer ganz klar, dass Oslo nicht das geboten hat, was die Palästinenser brauchen. Aber natürlich, unsere Gruppe ist
nicht homogen, und deshalb gibt es über solche Fragen immer ausführliche Diskussionen. Aber die Tatsache, dass wir viele Kontakte haben in der
Region, also etwa unsere Referenten, hilft uns hier sehr.
Die Forderungen, die wir entwickelt haben, sind heute: das Ende der Besatzung der seit 1967
okkupierten Gebieten inkl. Ostjerusalems, die Anerkennung eines souveränen Staates Palästina mit Ostjerusalem als Hauptstadt, die
vollständige Auflösung der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, die Anerkennung des prinzipiellen Rückkehrrechts der
palästinensischen Vertriebenen und Flüchtlinge und die Gleichberechtigung der Palästinenser und aller anderen Minderheiten in Israel.
"Prinzipielles Rückkehrrecht" heißt für uns die Anerkennung
des Unrechts, das Israel an den Palästinensern verübt hat. Es wird ja auch nicht jeder Vertriebene oder Flüchtling zurückkehren wollen,
viele haben sich ja auch in anderen Ländern ein Leben aufgebaut. Hier wäre dann die Möglichkeit einer Entschädigung zu diskutieren.
Ich halte dies vor allem auch für eine moralische Frage. Man muss sehen, dass es in den
Gründungsmythen des Staates Israel die Vertreibung einfach nicht gibt. Inzwischen haben die "Neuen Historiker" dies alles aufgezeigt, wobei
sie allerdings mittlerweile starken Repressalien ausgesetzt sind. Aber die Anerkennung des Rückkehrrechts wirft natürlich auch einige Probleme auf.
Die Rückkehr einer großen Zahl von Palästinensern würde natürlich die demografische Situation in Israel verändern.
Wenn Entschädigungen gezahlt werden müssten, so wäre dies auch eine
ökonomische Frage: Israel befindet sich aber in einer katastrophalen ökonomischen Lage natürlich auch aufgrund des Krieges.
Deshalb kann in dieser Frage durch die entsprechende Propaganda auch Angst bewusst geschürt werden. Andererseits machen die UNO-Resolutionen klar,
dass es das Rückkehrrecht gibt, es handelt sich hier ganz klar um ein Menschenrecht.
Der "Arbeitskreis Nahost" ist Teil des "Solidaritätsbündnisses für Palästina" (vgl. SoZ 5/02) hier
in Berlin. Wie seht ihr eure Rolle in diesem Bündnis?
Die schreckliche Politik Israels hat uns dazu gebracht, auch eine umfassendere Solidaritätsarbeit für Palästina entwickeln zu wollen, aber
hierzu brauchten wir natürlich Bündnispartner. Der Arbeitskreis hat daher bereits bevor es das Solidaritätsbündnis gab, ganz bewusst
Kontakt zur Vereinigten Palästinensischen Gemeinde aufgenommen. Dass sich dann das Solidaritätsbündnis gegründet hat, in dem
dann noch weitere Gruppen mitarbeiten, war natürlich eine sehr positive Entwicklung.
Unsere Besonderheit als Arbeitskreis Nahost ist, abgesehen davon, dass wir, wie gesagt, schon
immer eine gemischte Gruppe gewesen sind, die den Dialog praktiziert hat die Tatsache, dass es uns gelungen ist, mit wenigen Menschen relativ viel zu
bewegen. Das hängt sicherlich mit der Art der Aktionen, die wir machen, zusammen, z.B. haben wir mit einer Pressekonferenz der jüdischen
Mitglieder der Gruppe eine enorme Resonanz in den Medien gehabt, damit haben wir eine ungeheure Popularität erreicht. Ein anderes Beispiel war die
Veranstaltung eines großen Benefizkonzerts für Palästina mit über 3500 Euro Erlös am 7.Juni in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-
Kirche.
Glaubst du, dass eure Arbeit, auch im Rahmen des Bündnisses, auch zu so etwas wie einem Stimmungswandel in der Öffentlichkeit
beigetragen hat?
Ich glaube, dass die Bündnisarbeit eine wichtige Funktion hat im Sinne einer Bewusstwerdung, also dass realisiert wird, dass das Problem
überhaupt existiert und zwar auch außerhalb der Medien. Es kommen jetzt Leute zu Veranstaltungen, die sich mit dem Nahostkonflikt
vorher überhaupt nicht beschäftigt haben. Problematisch war natürlich die Reaktion der Presse auf unsere Demonstration am 13.April, und
problematisch war auch, dass wir nicht sofort darauf reagiert haben.
Das Bündnis hätte eine andere Pressearbeit machen und sich wehren
müssen. Denn das, was da geschrieben wurde, waren z.T. einfach Denunziationen. Ich denke aber, es gab irgendwann schlicht und ergreifend auch
Ermüdungserscheinungen, denn eine solche Demonstration zu organisieren bedeutet einfach eine extreme Kraftanstrengung. Aber wir haben diese
Erfahrung analysiert und werden daraus lernen.
Nun ist es so, dass man sich auf einer Demonstration von 13000 Menschen nicht immer
aussuchen kann, wer da mitdemonstriert, und im Nachhinein habe ich festgestellt, dass es dort einige Dinge gegeben hat, von denen ich mich stärker
hätte abgrenzen wollen. Meiner Ansicht nach sind die Organisatoren der Demonstration, die einen sehr klaren und vernünftigen Standpunkt hatten,
inhaltlich nicht stark genug hervorgetreten. So hätte man z.B. die Erklärung, die wir öffentlich verlesen haben, oder Materialien, die von
einzelnen Gruppen des Bündnisses erstellt worden waren, an die Presse geben müssen.
Man hatte dann ab einem bestimmten Zeitpunkt das Gefühl, dass die Ereignisse im Nahen Osten in den deutschen Medien sehr in den
Hintergrund gerieten gegenüber dem, was man schlagwortartig die "Möllemann-Friedman-Debatte" genannt hat. Habt ihr darüber
Diskussionen im eurem Arbeitskreis gehabt?
Ich habe zuerst einmal versucht, das alles zu ignorieren und mir gesagt, den Namen Möllemann nehme ich nicht in den Mund in den nächsten
Wochen. Ich finde auch, es handelte sich hier um eine Scheindebatte. Wir sind aber dann natürlich doch darauf angesprochen worden. In unserer Gruppe
selbst haben wir darüber eigentlich nicht diskutieren müssen, denn wir haben in diesen Fragen über Jahre entwickelte klare Standpunkte. Wir
wissen, an welchem Punkt der Antisemitismus anfängt und dass die Kritik an der jetzigen Politik des Staates Israel nichts mit Antisemitismus zu tun hat.
Uns würde es nie einfallen, mit solchen unerträglichen Formulierungen wie Herr
Möllemann oder auch Herr Karsli zu operieren. Natürlich kann man Herrn Friedman öffentlich kritisieren, und mir muss Herr Friedman als
Mensch oder als Talkmaster überhaupt nicht zusagen. Aber zu sagen, er schüre durch seine Intoleranz antisemitische Ressentiments, das ist
antisemitisch, das bedeutet eben "die Juden sind selbst schuld". Ich finde es schrecklich, dass überhaupt auf diese Weise diskutiert wird.
Die Äußerungen des Zentralrats der Juden in Deutschland sehe ich in den meisten
Fällen sehr kritisch, aber wenn der Zentralrat auf eine Art und Weise provoziert wird wie in diesem Fall, muss er einfach reagieren. Ich bezweifle aber, ob
er angemessen reagiert hat, wenn hier wieder die Kritik an der Politik des Staates Israel auf unzulässige Weise mit dem Problem des Antisemitismus
vermischt wird.
Ein Staat muss sich an seinen Handlungen messen lassen, und die Handlungen des Staates
Israel sind aggressiv. Dafür muss er sich kritisieren lassen, und auch Deutsche dürfen ihn dafür kritisieren. Ich würde sogar sagen, die
Politik des Staates Israels nicht zu kritisieren ist antisemitisch, weil diese Politik selbstzerstörerischen Charakter hat.
Nun verhält sich der Zentralrat der Juden teilweise wie eine Außenstelle des Staates Israel. Welche Probleme wirft dies für euch
als kritische, nichtzionistische Jüdinnen und Juden auf?
Israel wünscht sich eine stärkere Zuwanderung, weil eine stärkere Zuwanderung Tatsachen schafft, die dann kaum noch umkehrbar sind,
dies ist ja auch der Sinn der Siedlungspolitik. Und natürlich ist Israel auch der Meinung, dass es der Staat aller Juden sein sollte. Nun sind aber
offensichtlich nicht alle Juden dieser Welt derselben Meinung, ich auch nicht. Damit findet sich Israel aber nur teilweise ab, das zeigen Äußerungen
wie die damals von Herrn Weizmann, dass er kein Verständnis dafür habe, dass Juden in Deutschland leben.
Das macht es den Juden hier nicht gerade leicht, und ich denke, dass manche
Äußerungen der jüdischen Gemeinden in Deutschland zurückzuführen sind auf ein latent schlechtes Gewissen, sicher in einem
Staat zu leben, in dem es zwar Antisemitismusdebatten, aber keinen wirklich körperlich bedrohlichen Antisemitismus gibt.
Natürlich gibt es Einzelfälle, und das ist schrecklich. Jeder Einzelfall ist
schrecklich, aber es gibt in diesem Land ganz andere Bevölkerungsgruppen, die sich viel bedrohter fühlen müssen als die Juden.
Sicherlich gibt es einen latenten Antisemitismus, der durch solche Debatten, wie die in der
letzten Zeit wieder hochgekocht wird. Hierdurch entsteht dann der Eindruck, der Antisemitismus würde sich verbreitern , also eine größere
Zahl von Menschen erfassen. Ich glaube, dass dieser Eindruck täuscht. Wäre er aber zutreffend, fände ich das sehr beängstigend.
Man muss auch sehen, dass der zahlenmäßige Anteil der deutschen Juden an den
jüdischen Gemeinden in Deutschland relativ klein ist. Die meisten sind Zuwanderer aus Russland, und diese Menschen haben ganz andere Probleme,
für sie sieht der Nahostkonflikt wieder ganz anders aus, sie haben ihre eigene Geschichte und eigene Beweggründe, warum sie hierher und nicht
nach Israel gegangen sind.
Ich würde mir wünschen, dass es in den jüdischen Gemeinden eine
stärkere Diskussion über diese Fragen gäbe und die Diskussionen auch nach außen getragen würden. Wir selbst versuchen, einen
Dialog mit Teilen der Gemeinde herzustellen und einige von unseren Mitgliedern sind ja auch in der Jüdischen Gemeinde.
Auch die Palästinensische Gemeinde möchte gerne den Dialog und hat einen
Offenen Brief geschrieben. Das war ein sehr kluger Brief mit vernünftigen Standpunkten und geprägt von Toleranz. Dass die Jüdische
Gemeinde hierauf bisher nicht reagiert hat, finde ich sehr traurig und unfair.
Zum Schluss eine Frage in eine etwas andere Richtung: Müsste nicht auch stärker die Unterstützung Israels durch Deutschland
thematisiert werden. Was wären hier die Forderungen?
Ich denke, das Beispiel Südafrika hat gezeigt, dass Sanktionen durchaus eine positive Wirkung haben können. So könnte z.B. die
Meistbegünstigungsklausel, die die EU Israel eingeräumt hat, in Frage gestellt werden. Israel hat Europa aufgefordert, die Infrastruktur in
Palästina aufzubauen. Diese wird gerade von der israelischen Armee wieder zerstört. Darauf müssen die europäischen Regierungen
reagieren. Dann wäre es natürlich sinnvoll, alle Produkte aus den Siedlungen zu boykottieren. Aber dazu müsste man daran arbeiten, dass
Israel verpflichtet wird, diese Produkte entsprechend zu deklarieren.