SoZ Sozialistische Zeitung |
Im Februar dieses Jahres veröffentlichten wir in der ersten Ausgabe der Sozialistischen Hefte für Theorie und Praxis (die bei uns gegen Einsendung von 5 Euro noch nachbestellt werden kann) eine ausführliche Besprechung des neuen linken Bestsellers Empire der Autoren Michael Hardt und Antonio Negri. Der britische Marxist Alex Callinicos bespricht darin das Buch im Kontext des Werkes von Antonio Negri. Zeitgleich erschien die deutsche Übersetzung des Buches*, die seitdem auch in Deutschland zu einer umfangreichen Debatte geführt hat. Im Folgenden besprechen zwei SoZ- Redakteure das neue politische Manifest.
Michael Hardt und Antonio Negri wollen mit Empire Mut machen, den gesellschaftlichen Verhältnissen zu widerstehen. Obwohl vor den ersten
Massenprotesten gegen die neoliberale Globalisierung 1999 in Seattle geschrieben, beinhaltet ihr Buch schon ein "weiter so" an all diejenigen, die
sich in den vergangenen zwei Jahren in Bewegung gesetzt haben, ohne dem alten Wohlfahrtskeynesianismus neu zu huldigen. Hardt und Negri wollen
"dem Elend der Macht die Freude am Sein" entgegensetzen. In dieser "Revolution" zeigten sich "die nicht zu unterdrückende
Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein".
Mit ihrem revolutionären Optimismus heben sich die Autoren vom Defätismus
und Zynismus vieler ehemaliger Linker ab. Was aber ist der Gebrauchswert dieses Werkes? Zu einem "politischen Manifest", wie es viele
herbeischreiben und -reden wollen, taugt es jedenfalls ebensowenig wie der Versuch von Robert Kurz und seiner Krisis-Gruppe vor zwei Jahren, mit ihrem
Manifest gegen die Arbeit Furore zu machen. Dabei haben sich Hardt und Negri nachhaltig Mühe gegeben, den Eindruck zu erwecken, Empire sei von
historischer Bedeutung. In ihrem Kapitel "Politisches Manifest" vergleichen sie Der Fürst von Machiavelli mit dem Kommunistischen
Manifest von Marx und Engels. Zentrales Element ihres Vergleichs ist das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt. Bei Marx und Engels seien es
"das Proletariat" und "der Kommunismus", bei Machiavelli "die Menge" und "der Fürst". Damit das
"Politische heute seinen Ausdruck finden kann", müsse man nun "Subjekt und Objekt enger miteinander verflechten".
Hardt und Negri finden das "postmoderne Subjekt" jedenfalls besser in
Machiavellis "Menge" denn im "Proletariat" aufgehoben und arbeiten ausschließlich mit diesem Begriff.
Auch wenn sie der "Menge", im Original als "Multitude" bezeichnet,
ein hohes Maß an politischem Bewußtsein unterstellen, dem nur noch die richtige Organisationsform zur "kosmopolitischen Befreiung"
fehle, haben sie sich nicht allein durch die Begriffswahl weit vom Proletariat des Kommunistischen Manifest entfernt. An manchen Stellen des Buches erwecken
sie mit fast religiösen Beschwörungsformeln (für das Schlusskapitel stand namentlich Franz von Assisi Pate) den Eindruck, als bedürfe
es nur noch eines kleinen Funkens, um das "Empire" in Brand zu setzen.
Diese eklatante Unterschätzung der Reproduktionsfähigkeit des Kapitalismus
zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Das entspricht den eigenen Fehltritten und Einschätzungen der 70er und 80er Jahre. So idealisieren die
Autoren nach wie vor sozialrevolutionäre Randgruppentheorien und paaren diese mit einer gehörigen Feindseligkeit gegenüber den
Gewerkschaften. Hingegen ist das Empire/Imperium nach Ansicht der Autoren derart homogen, dass auch innerimperialistische Kriege ein Phänomen der
Vergangenheit sind. Hardt und Negri versuchen, mit verbalradikalen Wunschformeln ihre eigene Entfremdung vom Subjekt zu kaschieren.
An anderen Stellen gelingt es ihnen jedoch, wichtige Aspekte aufzuzeigen und einzuordnen,
die zu den Errungenschaften der neueren marxistischen Debatten und Forschungen gehören. Das schließt die gewachsene Bedeutung der
Migrationsfrage und die veränderte Funktion vieler Nationalstaaten ein, ebenso den ausgeweiteten Begriff der "Produktionsweise", der nicht
nur die Eigentumsverhältnisse im Blick hat. Das ist zwar kein neues Kommunistisches Manifest, aber doch eine lohnende Lektüre für alle, die
sich in aktuelle Debatten der Linken einmischen wollen.
Gerhard Klas
Der neue Roman von John Irving ist handwerklich perfekt: Er lässt sich mit einer gewissen Spannung in einem durchlesen. Doch der Genuss stellt sich
nicht so richtig ein es fehlt der Inhalt, die Geschichte, der Sinn (vgl. SoZ 3/02). Was allerdings bei einem literarischen Werk noch irgendwie akzeptabel
sein mag (es ließe sich lange darüber streiten), das trifft auf ein politisches Sachbuch wohl kaum zu. Wahrscheinlich geben sich Hardt und Negri
deswegen ein philosophisches Gesicht: Nur so kann man die Hohlheit der Gedanken als hohe Kunst verkaufen (im wahrsten Sinne des Wortes).
Empire ist beileibe (Achtung: Biomacht!) kein neues Kommunistisches Manifest, auch kein
großer Wurf. Es ist eher "eine dieser Eintagsfliegen unter den Grillen des Geistes, die wie Schmetterlinge durch die Sommerlandschaft des
Gemüts flattern, vom Windhauch der Assoziation bewegt, der wie ein plötzlicher Regen kommt" (Tom Sharpe, Puppenmord).
Lässt man sich nicht vom gefälligen postmodernen Stil blenden, durchziehen
zahllose Widersprüche das Buch: Wir sollen die Suche nach einem Außen vergessen, aber voluntaristisch und teleologisch handeln; wir brauchen
eine materialistische Teleologie, aber bitte ohne Determinismus und Utopie; wir sollen uns von der "alten" Teleologie verabschieden, aber erkennen,
dass das globale Empire ein welthistorischer Fortschritt sei, hinter den man nicht zurück könne/dürfe; wir sollen glücklich sein, dass das
alte (sozialstaatliche) Produktionsregime untergeht, doch der Kampf gegen die Enteignung des Wohlfahrtsstaats ist "gewiss eine hochmoralische und
wichtige Aufgabe"; wir sollen die Vorstellung einer reinen Politik aufgeben, aber die reine Macht der Menge/Multitude preisen; wir sollen keinesfalls das
Lokale gegen das Globale verteidigen, aber die künstliche Produktion von Lokalität fördern; wir sollen den Raum imperialer
Souveränität im Gegensatz zum "gekerbten" der Moderne als einen "glatten" ansehen, "doch in Wahrheit ist er kreuz
und quer von so vielen Verwerfungen durchzogen, dass er lediglich als kontinuierlicher, einheitlicher Raum erscheint"; wir sollen einsehen, dass imperiale
Herrschaft jenseits des Raums stattfindet, aber eine "Geografie der Gegenmächte" schreiben usw. usf.
Über all diesen mal peripheren, mal zentralen Widersprüchen erhebt sich der eine
große: die Logik des Kapitals, die Logik des "Empire" herrscht global, universell und total, aber der Widerstand gegen sie, die biopolitische
Lebensform ist davon nicht betroffen. Sie muss sich nur selbst bewusst werden, damit die totale Herrschaft ins Nichts zerfällt. Dagegensein ist alles, die
"große Verweigerung" ist aktueller denn je, doch dazu bedarf es "eines Körpers, der vollkommen unfähig ist, sich an
familiäres Leben anzupassen, an Fabrikdisziplin, an die Regulierungen des traditionellen Sexuallebens usw." Und da dies offensichtlich nicht der
Fall ist, brauchen wir "eine mächtige Künstlichkeit des Seins".
Da haben wir ihn, den gar nicht so neuen linken Irrationalismus: jenseits aller
Vermittlungsinstanzen, jenseits aller politischen, sozialen und kulturellen Organisationsformen ist es die Menge selbst, die agiert spontan, amorph,
explosionsartig, individuell. Diskussionen über Strategien und Taktiken der Befreiung erübrigen sich, was zählt ist das unmittelbare Begehren
der Menge/Multitude.
Doch das autonome, sprich: isolierte, aus sich selbst heraus lebende und schöpfende
Individuum war schon in der spätbürgerlichen Gesellschaft nur ein matter Abklatsch der verdinglichten Außenwelt. Im globalen
"Empire", in der totalen Herrschaft der Marktlogik, ist dies sicherlich nicht besser geworden. Gerade die unmittelbaren Bedürfnisse sind in der
Entfremdung der Fremdbestimmung unterworfen. Den vereinzelten Einzelnen einfach zur Menge, zur Multitude zu stilisieren, ändert nichts am
irrationalen Subjektivismus. Ihm auch noch einzureden, die Erfahrungen von zwei Jahrhunderten antikapitalistischen Kampfes hätten sich endgültig
und unwiederbringlich erledigt, ist nur noch reaktionär.
Christoph Jünke