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Nicht jede(r) kann im August in den sonnigen Süden verschwinden und so dem Kampf der mentalen Titanen
Schröder und Stoiber entgehen. Aber selbst wenn man arbeiten muss oder nicht genügend Geld zum Reisen hat, lässt sich dieser Monat nett
gestalten. Unser Vorschlag hier: organisieren Sie sich zunächst eine mexikanische Woche.
Bohnenpüree und Guacamole (Koriander nicht vergessen) sind schnell gemacht, Nachos
gibt es in jedem Supermarkt, beim Bier sollte man aus nach wie vor guten Gründen zu heimischen Produkten greifen. Und wer keinen Alkohol mag, setzt
sich eine echte Limonade an. Eines der wenigen Filmereignisse des letzten Jahres, Amores Perros, gibt es jetzt auf Video und mit alldem ließe sich schon
ein schöner Abend gestalten. Wem dies nicht reicht oder wer erst auf den Geschmack gekommen ist, geht in einen gut ausgestatteten Plattenladen und
besorgt sich dort von der jungen mexikanischen Politband Los de Abajo die CD Cybertropic Chilango Power, eine furiose Mischung aus Punk, Polka und
Merengue und als musikalisches Kontrastprogramm Nuevo vom Kronosquartett, nachdem der Buchhändlerin der Roman von Paco Ignacio Taibo II, Das
Fahrrad des Leonardo da Vinci, abgekauft worden ist.
Die Hauptfigur des Romans, der Krimischreiber José Daniel Fierro selbst, ist ein Fan
von Santana und wer als Leser noch einige alte Vinyls von Carlos Truppe im Regal stehen hat, kann sie auch als Hintergrundmusik auflegen.
PIT II hält sich in dem Roman an seine Linie, die er schon mit Vier Hände
eingeschlagen hatte, unterschiedliche Geschichten auf verschiedenen Zeitebenen zu entwickeln und sie langsam und geduldig zu verknüpfen.
Da gibt es also den 50-jährigen Krimischreiber in Schaffenskrise, der sich bei der
Fernsehübertragung der Unibasketballliga in die Spielerin Karen Turner verliebt, die entführt wird, um ihr eine Niere zu entnehmen. Er reist von
Mexiko-Stadt an die texanische Grenze, um Karen Turner zu retten.
Die Suche nach ihr lenkt ihn von seinem Projekt ab, über seinen Großvater, einen
CNT-Anarchisten im Barcelona der 20er Jahre zu schreiben. Und so schreibt sich dessen abenteuerliche Geschichte ganz allein, in der wir einiges über das
Leben und Sterben des militanten Spaniens in der Vorphase des Bürgerkriegs erfahren.
Es wird ein CIA-Agent auf der Flucht aus Saigon 1975 vorgestellt, in dessen eiskalter
Persönlichkeit sich alle Widerlichkeiten dieses Metiers finden lassen.
Und Leonardo da Vinci tritt auf, ständig auf der Suche nach neuen Herren, denen er
seine Dienste als Forscher und Erfinder anbietet und der nebenbei seine eigenen Projekte verfolgt. Die Erfindung des Fahrrads ist da nur eine der vielen kleinen
Fingerübungen des genialen Meisters, begleitet uns aber durch das ganze Buch und wird zum Icon einiger der handelnden Personen.
PIT IIs direkte Krimihandlung reisst einen vor Spannung nicht vom Hocker, allerdings war das
auch in seinen vorangegangenen Romanen nicht seine Stärke. Was Spaß macht, ist die Konstruktion von absurden Situationen, in denen
plötzlich die Handlung eskaliert, um dann wieder zu einem ruhigen, abwartenden aber nichts auflösenden Rhythmus zu kommen.
Dann gibt es da das eigentümliche Nachzeichnen von historischen Momenten, wie die
Evakuierung des Botschaftspersonals aus Vietnam: Alles ist bekannt als Foto oder ausführliche Reportage und doch gelingt es PIT II in ganz kleinen
Schilderungen das bislang nicht Erzählte zu erzählen, und dem Leser kommt es nachher vor, als hätte er eine Brille mit größerer
Sehschärfe aufgesetzt bekommen.
PIT II ist Lesevergnügen und wer danach noch nicht genug vom heutigen Mexiko hat,
sollte sich Der süße Duft des Todes von Guillermo Arriaga besorgen, der auch das Drehbuch zu dem oben erwähnten Film geschrieben hat.
So kann eine Woche im August zum Genuss werden.