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Der Autor dieses Textes hat sich schon mit Antisemitismus auch in der Linken befasst, bevor der zum Mode-
und Spiegelstrichthema wurde. Er hat die antideutsche Strömung Anfang der 90er Jahre durchaus als notwendiges Korrektiv gegen eine linksdeutsche
Beschwichtigungspolitik begriffen, die angesichts deutsch-rassistischer Pogrome mit der schlechten linken Tradition gebrochen hat, die Unterdrückten
pauschal zu Opfern zu erklären. Doch die Wege mussten sich trennen, als ein relevanter Teil der Antideutschen zu neuen Zivilgesellschaftlern mutierte,
die den Kommunismus als deklamatorisches Fernziel noch irgendwo versteckt haben, in der praktischen Politik aber die aktuelle neue (alte) Weltordnung
affirmieren.
Der erste Teil der Erklärung kritisiert eine in der letzten Zeit dominanter werdende
Strömung gerade innerhalb der jüngeren Linken, sich nicht nur vorbehaltlos hinter die israelische Regierung zu stellen, sondern auch im Stil der K-
Gruppen der 70er Jahre jede rationale Auseinandersetzung darüber zu verweigern. Spiegelbildlich will ein anderer Teil der Linken die Ereignisse im
Nahen Osten immer wieder mit der deutschen Geschichte kurzschließen und begibt sich damit in die Fallstricke von Antisemitismus und der Relativierung
deutscher Geschichte. Im zweiten Teil wird untersucht, wie eine linke Position zum Nahost-Kon?ikt jenseits einer vorschnellen Polarisierung aussehen
könnte.
Zur Zeit scheint über alle politischen Fraktionen der Linken hinweg nur eine Frage die
Gemüter zu bewegen: Ob in der autonomen Bewegungsmelderin Interim, der posttrotzkistischen SoZ oder dem Freien Sendekombinat (FSK) in Hamburg
überall führt der Nahost-Kon?ikt zu internen Spaltungen und Verwerfungen. Lediglich in der linksliberalen Wochenzeitung Freitag wird die
Auseinandersetzung mit einem gewissen Maß an Zivilität und gegenseitigem Respekt geführt. Die gegensätzlichen Positionen wurden
dort nicht von vornherein außerhalb jeder Diskussion gestellt, sondern als eben unterschiedliche Positionen ernstgenommen. Doch das ist die absolute
Ausnahme. In der Regel wird auf beiden Seiten die Debatte mehr um der Wahrung eigener Identitäten und des Abgrenzungsbedürfnisses halber
geführt.
Den Teilen der ehemals radikalen Linken, die in der letzten Zeit mit Israel-Fahnen auf
Demonstrationen und der Parole "Lang lebe Israel" auf ihren Flugblättern von sich reden machen, geht es weniger um den Kampf gegen den
Antisemitismus. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die AutorInnen das Gegenteil immer wieder betonen. Nein, es geht bei dieser
ganzen Debatte in erster Linie um deutsche Be?ndlichkeiten. Es ist der wiederholte Versuch in Deutschland sozialisierter Linker, in die Juden als Opfer
deutscher Politik förmlich hinein zu kriechen, sich also mit den Opfern nicht nur zu identi?zieren sondern sich sogar mit ihnen eins zu machen. Das ist
kein neues Phänomen. Schon der verstorbene Publizist Eike Geisel hat in Konkret 1/91 beschrieben, wie junge Deutsche, oft Verwandte von
Nazitätern, nach Israel aufbrachen, dort lebten und die jüdische Religion annahmen. Eine Softvariante dieses "Einswerden mit den
Opfern" ist die Annahme jüdischer Namen durch linke Intellektuelle. Die zeitgemäße Variante ist, der Lautsprecher israelischer Politik
zu werden, wie dies im Regressionsprozess der einst verdienstvollen antideutschen Strömung auftauchte und in abgeschwächter Form von einem
Teil der antifaschistischen Bewegung und auch von bestimmten autonomen Fraktionen übernommen wurde.
Dieses Hineinkriechen in Opfer ist nur psychologisch zu erklären und bringt den so handelnden Individuen ein gutes Gewissen, hat viel mit Moral, aber
nichts mit Politik zu tun. Deshalb ist ein politischer Diskurs mit Vertretern dieser Strömung auch so schwierig. Denn jede ihnen widersprechende Meinung
wird als Antisemitismus abgewertet, statt wie im politischen Diskurs eigentlich üblich, be- oder widerlegt zu werden. Kennzeichnend für eine solch
moralische Haltung, zeugt die immer wieder zu hörende Meinung, Kritik an Israel könne nur von Juden oder "überall, nur nicht in
Deutschland" geäußert werden, vom Ende einer auf rationalen Prinzipien basierenden Politik. Die geht nämlich davon aus, dass eine
Behauptung entweder wahr oder falsch ist und das immer und überall. Eine nach Ländern oder Ethnien geteilte Wahrheit aber ist das Einfallstor
für Irrationalismen jeder Art und kann nur den Boden für rechte Ideologien vorbereiten, für die die Menschenrechte ebenfalls insgesamt
relativ und kontextgebunden sind.
Sind PalästinenserInnen Menschen oder auch Menschen? In den Texten der Pro-Israel-
Fraktion kommen die in der Westbank oder im Gaza lebenden Palästinenser schlicht nicht als Menschen vor, die Rechte haben, für die sie
kämpfen. Wenn sie überhaupt erwähnt werden, dann nur im Kontext "Antisemitismus in der palästinensischen
Gesellschaft", "palästinensische Terrororganisationen", "palästinensische (Selbst)-Mordkommandos"…
Palästinensische Menschen werden nur aus dem Blickwinkel der israelischen Militärs und politischen Hardliner betrachtet.
Es fällt auf, dass viele Begrif?ichkeiten, die Antideutsche Anfang und Mitte der 90er Jahre gegen das deutsche Mordkollektiv im Nationalsozialismus
verwendeten, umstandslos auf die palästinensischen Menschen übertragen werden. Damit wird der nationalsozialistische Antisemitismus relativiert,
dessen Kennzeichen ja gerade war, dass er eben nichts Anderes als mörderischer Antisemitismus war.
Schon während des Golfkriegs Anfang der 90er Jahre mutierte der irakische
Präsident Saddam Hussein zum zweiten Hitler. "Rot-Grün" führte bekanntlich Krieg, um auf dem Balkan "ein zweites
Auschwitz" zu verhindern. Dazu passt, dass die antideutsche Fraktion jetzt den Antisemitismus in Ramallah bekämpfen will. Dazu musste sie aber
mit allen antideutschen Essentials brechen. So gehörte die Singularität des NS-Antisemitismus zu den gerade von Antideutschen zu Recht
verteidigten Grundsätzen in der Goldhagen-Debatte. Die ständigen Auschwitz- oder NS-Verweise bei allen möglichen Bösartigkeiten
der Welt-Politik wurden von den Antideutschen mit Recht damals vehement kritisiert. Davon ist dort nicht mehr die Rede. Je mehr sie sich auf den Islam als
Hauptfeind einschießen, desto mehr verschwindet die Kritik an Deutschland. Den Vorreiter macht wie so oft der antideutsche Tabubrecher Bahamas, wo
Tjark Kunstreich tschechische KommunistInnen als rassistisch kritisiert, weil sie das Eindringen deutschen Kapitals nach Tschechien bekämpfen.
Andere Autoren der Publikation diffamieren den in Berlin lebenden Altkommunisten und
Shoah-Überlebenden Fritz Teppich als "unwürdigen Stalingreis", weil er sich in der Nahost-Debatte explizit auf antizionistische
Positionen der Arbeiterbewegung beruft. Dieselbe Bahamas hat einen Text der italienischen Journalistin und Berlusconi-Anhängerin Oriana Fallaci mit
offen rassistischer Hetze gegen Palästinenser nachgedruckt. Fallacis neuestes Buch, in dem die Hetze gegen arabische Menschen noch deutlicher zum
Vorschein kommt, rief in Frankreich antirassistische Gruppen auf den Plan, die es wegen Rassismusverdacht verbieten lassen wollen.
Doch auch die in den letzten Jahren geschrumpfte Pro-Palästina-Fraktion macht spiegelbildlich die gleichen Fehler wie die Pro-Israelis. Vor allem der
Kurzschluss mit der deutschen Geschichte bringt sie immer wieder in die fatale Lage, Applaus von rechts zu bekommen. Ständig werden unterschiedliche
Episoden des Nahostkon?ikts mit der Nazizeit oder dem 2.Weltkrieg verglichen. So wird aus den Kämpfen um das Flüchtlingslager Jenin gleich ein
Aufstand im Warschauer Ghetto. Solche Analogien sind in palästinensischen Kreisen, aber auch in der westeuropäischen Linken, oft gezogen
worden.
Die Grenze zum Antisemitismus ist eindeutig überschritten, wenn in Karikaturen
Davidstern und Hakenkreuz gleich gesetzt werden. Damit wird nicht nur ein Symbol des israelischen Staatswappens, sondern ein zentraler Teil der
jüdischen Religion und des jüdischen Selbstverständnisses angegriffen. Auch jede Kritik an der Jüdischen Gemeinde oder den in
Europa lebenden Juden muss ins antisemitische Fahrwasser führen. Die Jüdischen Gemeinden sind keine Botschaften Israels. Auch der Hinweis, die
jüdischen Gemeinden würden sich durch ihre Solidarität mit Israel selber in die Kritiklinie begeben, gehen fehl. Gerade die Jüdische
Gemeinde in Deutschland verteidigt das Existenzrecht Israels, weil sie das Land als letztes Refugium vor dem Antisemitismus sieht. Ansonsten sind die
Einschätzungen zur israelischen Innenpolitik dort nicht einheitlich.
Populisten vom Schlage eines Möllemann wollen sich nun mit ihrer Pose des
Tabubrechers als Israel-Kritiker auch dem rechten Milieu in Deutschland anempfehlen. Seine Politik hat nichts mit den realen Verhältnissen vor Ort, aber
viel mit der Entsorgung deutscher Geschichte zu tun. Jeglicher positive Bezug auf Möllemann oder auch jede Verteidigung seiner Person in seiner
Auseinandersetzung mit Michel Friedman und dem Zentralrat der Juden in Deutschland ist kontraproduktiv. Hier wird die Nahost-Thematik gerade so mit der
deutschen Geschichte kurzgeschlossen, wie es die Antideutschen den Israel-Kritikern seit Jahren vorwerfen. Wer wegen dem vermeintlichen Bekanntheitsgrad in
Möllemann einen Bündnispartner sieht, entfernt sich von der Grundlage, auf der eine Kritik an der israelischen Politik in Deutschland nur
möglich ist: eine konsequente Zurückweisung des Antisemitismus in jeglicher Form und die strikte Absage an jede Kooperation auch indirekter Art
mit rechten Gruppierung aus Deutschland oder dem arabischen Raum. Das sind die Grundbedingungen für eine emanzipatorische Solidarität mit den
Linken in Palästina und Israel.
Eine Linke, die diesen Namen verdient, muss die tragische Doppelrolle von Israel zur Kenntnis und zum Ausgangspunkt ihrer Analysen nehmen, die die
Publizistin Ingrid Strobl in der Golfkriegsdebatte in der Monatszeitung Konkret Anfang der 90er Jahre auf den Punkt brachte. Israel ist einerseits die letzte
Zu?uchtsstätte der Shoah-Überlebenden und gleichzeitig ein Stützpunkt des Imperialismus im nahöstlichen Raum. Diese Doppelrolle ist
es auch, die viele Menschen im Trikont zur Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung veranlasst. Die Massendemonstrationen auf
allen Kontinenten einfach als Antisemitismus zu (miss)verstehen, ist eine deutschzentrierte und letztlich kolonialistische Sichtweise
Linke müssen daher die internationalistische Dimension auch des Nahost-Kon?ikts in
den Mittelpunkt stellen und sich mit all den Menschen solidarisieren, die für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Jüdinnen,
Palästinenserinnen und Palästinensern in einem säkularen Israel-Palästina eintreten. Aktuell heißt das, jeglichem
religiösen, nationalen oder sonstigen Chauvinismus eine Absage zu erteilen und binationale Organisationen in der Nahost-Region wie Tayush
(Zusammenleben) oder feministische und antimilitaristische Gruppen zu unterstützen.
Ein aktuelles Beispiel für eine positive Stellungnahme ist die Initiative "Zeichen
paradoxer Hoffnung", die federführend von Medico International mit initiiert wurde. Dort wird zur Unterstützung jener Gruppen in Israel und
Palästina aufgerufen, die binational zusammenarbeiten und so ein Mindestmaß an Zivilität verteidigen. Daher soll der Beitrag auch mit einem
Zitat aus einem Interview der Medico-International-Pressesprecherin Katja Maurer mit dem Verfasser enden: "Bekenntniszwang und Identitätssuche
werden der dramatischen Situation, in der sich Israelis und Palästinenser derzeit befinden, nicht gerecht. Deshalb müssen wir auf dem schmalen Grat
zwischen den Polarisierungen gehen."
Peter Nowak (Berlin)