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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2002, Seite 12

Kriegsverbrechen in Afghanistan

Kolumne von Winfried Wolf

Der Afghanistan-Krieg als solcher und die Art der Kriegführung — bspw. die Flächenbombardements, der Einsatz von Cluster Bombs (Splitterbomben), das Zusammenschießen einer angeblichen Revolte von Kriegsgefangenen in der Festung Qala-Jangi in der Nähe von Mazar-i-Sharif im November 2001, die Bombardements auf afghanische Dörfer, in denen Hochzeiten gefeiert wurden, im Dezember 2001 und Juni 2002 — stellen bereits den Tatbestand von Kriegsverbrechen dar. Die US-Regierung weiß dies, weswegen sie den neu eingerichteten Internationalen Gerichtshof (ICC) ablehnt und von Regierungen in bilateralen Abkommen, so von der Regierung in Kabul, verlangt, dass eine Auslieferung von US-Soldaten an diesen Gerichtshof ausgeschlossen wird.
Im Juni 2002 wurde auf ein Kriegsverbrechen noch größerer Dimension hingewiesen. Die PDS-Bundestagsfraktion präsentierte auf einer Pressekonferenz im Bundestag einen britisch-irischen Journalisten und dessen Filmdokumente, wonach Ende November 2001 mehrere hundert gefangene Taliban-Soldaten in Container eingepfercht und durch Austrocknen und Verdursten ermordet wurden. Die Medien ignorierten diese Berichte weitgehend; die Bundesregierung ließ auf Anfragen der PDS mitteilen, sie habe davon keinerlei Kenntnis.
Nun finden dieser Tage in den USA diese Berichte auf detaillierte Weise eine schreckliche Bestätigung. Das US-Blatt Newsweek trägt in der Ausgabe vom 26.8.2002 die Titelschlagzeile: "Die Kriegsverbrechen von Afghanistan." Dann die Zeilen: "Im November ließen Amerikas afghanische Verbündete Hunderte Taliban-Gefangene, die kapituliert hatten, in Stahl-Containern ersticken. Wo waren die US-Streitkräfte?"
Die 10seitige Newsweek-Story hat ihren Ausgangspunkt in der Kapitulation mehrerer tausend Taliban-Kämpfer, zu der es im Norden Afghanistans, bei Kunduz, am 25.11.2001 nach heftigen Bombardements durch die US-Luftwaffe gekommen war. Die Kapitulationsbedingungen, vereinbart in Anwesenheit von Mitgliedern der US-Streitkräfte, besagten: Die Taliban sollten in ihre afghanischen Dörfer bzw. nach Pakistan zurückkehren können. Araber und andere ausländische Kämpfer würden den UN überstellt. Auf afghanischer Seite erfolgte die Kapitulation gegenüber General Dostum. Als die Taliban entwaffnet waren, wurden sie jedoch in stählerne Frachtcontainer gepfercht — je Container rund 200 Taliban. In der Folge wurden mehr als tausend Taliban-Kämpfer in Containern zum Gefängnis von Sheberghan gebracht, dabei aber solange der Hitze ausgesetzt, bis der größte Teil von ihnen durch Austrocknung ermordet war. Newsweek berichtet, wie nach dem Transport die Insassen tot "wie die Fische aus Sardinenbüchsen" aus den Containern quollen. In einigen Containern waren die meisten tot, einige aber noch am Leben, weil Lkw-Fahrer Löcher in die Stahlwände geschlagen hatten. Die Leichen der Taliban wurden bis zum 10.12. in der Wüste bei Dasht-e-Leili in einem Massengrab beigesetzt; Bulldozer ebneten das Massengrab ein. Insgesamt wurden auf diese Art rund tausend Taliban ermordet.
Der Container-Massenmord — "Death by Container" — hat laut Newsweek im Land eine schreckliche Tradition. Der usbekische General Malik Pahlawan ließ 1997 auf diese Weise 1250 Taliban ermorden. 1998 waren es im Gegenzug die Taliban, die mehrere hundert Kämpfer der Nordallianz auf dieselbe Weise ermordeten. Spätestens als die Container-Lkw nach der Kapitulation von Kunduz Ende November 2001 anrollten, wusste jeder, der die Region kennt, was bevorstand. Die Container sind im Übrigen Überbleibsel der Lebensmittel-Hilfslieferungen, die seit vielen Jahren Afghanistan erreichen.
Newsweek recherchierte, dass US-Streitkräfte von der Einheit "595-A- Team" in Dostums Hauptquartier und im Gefängnis Sheberghan präsent waren, als die Container mit den ermordeten bzw. teilweise noch lebenden Taliban dort eintrafen. Das US-Blatt deckte auch auf, dass die UNO und das Internationale Rote Kreuz (IRK) spätestens seit Januar 2002 von diesem Kriegsverbrechen Kenntnis hat. Sie berichteten darüber bisher nicht. Die UN-Vertreter wollten die Enthüllungen zurückhalten, weil anderenfalls das "politische Gleichgewicht in Afghanistan" durcheinander geraten könnte.
Wenn der — gut recherchierte und durch viele Zeugen und Fotos belegte — Newsweek-Bericht zutrifft, dann handelt es sich um das größte Kriegsverbrechen seit vielen Jahrzehnten, das von Verbündeten der US- Regierung ausgeführt wurde und in das US-Streitkräfte verwickelt sind. Es gibt sogar einen direkten Bezug zu führenden Figuren der Bush- Administration. Kurz vor der Kapitulation von Kunduz hatte der US-amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld erklärt: "Ich möchte diese Kämpfer lieber nicht lebend sehen." Seit der Newsweek-Ausgabe vom 26.8.2002 ist dokumentiert: Zwar war der Warlord und US- Verbündete General Dostum direkt verantwortlich für das Kriegsverbrechen. Dafür wurde er aber auch belohnt: Dostum ist heute stellvertretender Verteidigungsminister in der Regierung Karsai. Als Schreibtischtäter bei diesem Kriegsverbrechen erweist sich Mr.Rumsfeld.



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