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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2002, Seite 13

Die deutsche Telekom...

und das Ron-Sommer-Theater

Es hat seine Gründe, dass die Affäre um die Absetzung von Ron Sommer größeres Interesse hervorgerufen hat als bei jedem anderen Spitzenmanager in der Bundesrepublik. Denn T-Ron verkörperte wie kein anderer Aufstieg und Abstieg der "Aktienkultur" in der BRD. Er wirkte an vorderster Stelle an der Schaffung jenes Mythos mit, wonach der Bandarbeiter und die Aldi-Kassierin, der kleine Bankangestellte und der Briefträger durch nachfeierabendliche Zockerei mit Aktien sozusagen über Nacht reich werden und damit ihrem sozialen Schicksal entfliehen könnten.
Mit der tiefen Krise im gesamten internationalen Telekom-Bereich und dem Absturz der T- Aktie unter den Ausgabewert wurde dieser Mythos angekratzt. Der Fall der T-Aktie hat deshalb gesellschaftspolitisch Symbolcharakter.
Die "besorgte" Debatte in der Öffentlichkeit ließ denn auch nicht lang auf sich warten. Alle möglichen Interessenvertreter von "Wertpapierbesitzern" durften in epischer Breite und öffentlich mit ihrem Schicksal hadern. Allen Lautsprechern der Börse lag angeblich vor allem das Wohl der Kleinaktionäre am Herzen. Niemand in der Medienlandschaft wollte sehen, dass bei der angeblichen Rettungskampagne für die Kleinaktionäre an vorderster Front wieder die Analysten mit dabei waren — also jene Spezies, deren Geschäft in den letzten zwei Jahren erwiesenermaßen darin bestand, eben diesen Kleinaktionären gehörig das Fell über die Ohren zu ziehen.
Hatten sie doch mit erfundenen Erfolgsmeldungen oder Entwarnungen nach dem Motto "Die Talsohle ist erreicht, jetzt geht es wieder aufwärts" die Kleinanleger beschwatzt, ihre Hightechwerte, die sich bereits im Sinkflug befanden, zu halten, während sich potente Großanleger dank privilegierter Informationskanäle rechtzeitig der immer fauler werdenden Aktienpakete entledigen konnten.

Wer sägte am Stuhl von Ron Sommer?

Der Kandidat sprang schnell auf den Zug auf und machte den Kanzler demonstrativ für den Niedergang der T-Aktie verantwortlich. Schröder, der bis dahin stets Ron Sommer den Rücken gestärkt hatte, muss den Eindruck gewonnen haben, sein Kontrahent habe bei seinem demagogischen Vorstoß die Rückendeckung wichtiger Kapitalkreise. Getrieben von der Furcht, abermals als "Aussitzer" gebrandmarkt zu werden, entschloss er sich zum Kurswechsel und zur Flucht nach vorn.
Ab dem 8.Juli leiteten gezielt gestreute Indiskretionen die Demontage Sommers ein. Da ihre Quelle unschwer in Regierungskreisen auszumachen war, entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, die Demontage Sommers sei vor allem das Werk der Schröder-Regierung.
Wenig Beachtung wurde einem Umstand geschenkt, der stets nur beiläufig erwähnt wird. "Nach verlässlichen Informationen aus dem Umfeld des Aufsichtsrats drängten zwei Mitglieder, der Ex-Dresdner-Bank- Chef Walter und der Gaevert-Verwaltungschef André Larsen seit langem auf eine Ablösung Sommers." (Frankfurter Rundschau, 17.7.)
Walter ist nicht irgendwer. Er ist der Vertreter der "Hausbank" der Telekom im Aufsichtsrat. Es passt ins Bild, dass unternehmernahe Magazine wie Capital oder Wirtschaftswoche mit ausführlichen Analysen aufwarteten, in denen die Lage der Telekom besorgniserregend dargestellt und dringender Handlungsbedarf angemeldet wurde.
Im Verlauf der mittlerweile öffentlich geführten Auseinandersetzung um die Absetzung Ron Sommers machten die "Märkte" in Gestalt "internationaler Investoren" unmissverständlich ihre Position klar. Jedes neue Gerücht über eine Absetzung Sommers löste einen sprunghaften Anstieg der Telekom-Aktie aus.
Noch ein weiterer Umstand zeigt, dass Sommers Absetzung keineswegs von Schröder im Alleingang betrieben wurde: Im Aufsichtsrat der Telekom war es stets die Unternehmerseite, die unmissverständlich auf den Rausschmiss von Ron Sommer drängte. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als scheinheilig, dass sich in der Öffentlichkeit verschiedene Stimmen aus dem Unternehmerlager lautstark über die Einmischung der Politik in die "Wirtschaft" beklagt haben.
Viel eher dürfte zutreffen, dass sich Schröder bei seinem Vorstoß als Weihnachtsmann der Unternehmer fühlte. Wäre es dem Gespann Schröder/Eichel gelungen, im richtigen Moment den "weißen Ritter" als Sommers Nachfolger aus dem Ärmel zu ziehen, wäre es von "Wirtschaftskreisen" mit Beifall überschüttet worden.

"Harter Sanierer" gesucht

Lange blieb bei all dem Lamento über betrogene Kleinanleger unklar, worum es den Sprachrohren des Shareholder Value eigentlich ging. Erst in der heißen Phase wurden einige Herren deutlicher. In der Financial Times Deutschland (FTD) vom 17.Juli wurde ein Fondsmanager mit folgenden Worten zitiert: "Aber die Märkte wollten einen harten Sanierer sehen, vom Format eines Wendelin Wiedeking oder Kajo Neukirchen."
Gefragt ist also jemand, der einschneidende Kostensenkungsprogramme durchzieht, was natürlich einen deutlich verschärften Personalabbau und vermutlich auch den Bruch bestehender tariflicher Standards nach sich zieht — bei Bedarf auch eine verschärfte Konfrontation mit der Hausgewerkschaft Ver.di.
In der Wirtschaftswoche vom 18.Juli wird Ron Sommer explizit vorgeworfen, er habe "mit seinem Schmusekurs mit den Arbeitnehmern zumindest jeden kurzfristigen Handlungsspielraum zerstört". Und in der gleichen Ausgabe der Wirtschaftswoche darf der aus der Versenkung geholte Ex-Postminister Christian Schwarz-Schilling zum Besten geben: "Es ist eines der großen Versäumnisse der vergangenen Jahre und das Ergebnis eines Deals mit den Gewerkschaften, dass es diese Sanierung nicht gegeben hat. Jetzt muss um so heftiger gegengesteuert werden."
Der zeitweilig als Sommers Nachfolger gehandelte Telekom-Vorständler Tenzer wurde von den "Märkten" denn auch nicht wegen seines SPD-Parteibuchs abgelehnt, sondern weil sie ihm als Repräsentanten des bisherigen "einvernehmlichen" Personalabbaukurses (im Einvernehmen mit der Hausgewerkschaft DPG, jetzt Ver.di) einen solchen Konfrontationskurs nicht zutrauen.
Vom neuen (Übergangs-)Vorsitzenden Helmut Sihler erwarten einschlägige Wirtschaftskreise nicht, dass er sofort mit der "Sanierung" beginnt. Er soll baldigst den gewünschten "Sanierer" an Bord holen und in der Zwischenzeit schon mal jene Kahlschlagpläne ausarbeiten lassen, die dann der neue Chef der Öffentlichkeit präsentieren darf.
Die Zwischenlösung mit dem Ex-Henkel-Manager Sihler gibt der Telekom-Belegschaft noch eine gewisse Schonfrist. Es wäre dringend geboten, dass auch Ver.di die Zeit nutzt, um die Belegschaft gegen die zu erwartenden Angriffe zu mobilisieren. Ver.di sollte endlich öffentlich jenem neoliberalen Dogma widersprechen, wonach Firmen wie die Telekom so zugerichtet werden müssen, dass sie potenziellen Großanlegern zum Verzehr munden. Denn heute gilt mehr denn je: Damit die Aktienkurse steigen, müssen Arbeitsplätze fallen.
Warum will eigentlich niemandem in Ver.di auffallen, dass ein solcher Kahlschlag an Arbeitsplätzen und sozialen Standards deswegen vorgenommen wird, damit Großanlegern — Menschen, die so viel Geld haben, dass sie nicht wissen, wohin damit — eine saftige Rendite zugeschanzt werden kann?
Es ist Zeit, dass Gewerkschaften wie Ver.di sich wieder darauf besinnen, dass Arbeitsplätze mit anständigen Arbeitsbedingungen und guter Bezahlung für Zehntausende von Beschäftigten wichtiger sind als die Profite millionenschwerer Weniger, die den Hals nicht voll genug bekommen.

Paul Michel


LeserInnenbrief@soz-plus.de
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