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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2002, Seite 17

Neues von der ‘Zweiten Front‘

US-Regierung knüpft Verbindungen zu Indonesiens Militär

Als am 1.August US-Außenminister Colin Powell im Öl-Sultanat Brunei eintraf, hatten seine Kollegen aus der südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN bereits eine harte Woche hinter sich. In einer Mischung aus vorauseilendem Gehorsam und dem Versuch, Washingtons "Antiterrorkrieg" für jeweils eigene Interessen zu nutzen, war eine gemeinsame "Antiterrorvereinbarung" formuliert worden, die dann auch im Rahmen einer Sitzung des ASEAN-Regionalforums (ARF) von den Vertretern der ASEAN-Staaten und der USA unterschrieben wurde. Vorgesehen sind darin unter anderem der Austausch von Informationen, die Zusammenarbeit der Geheimdienste und der Polizeibehörden sowie die Gewährung technischer und logistischer Hilfeleistungen durch die USA.
Im Vorfeld des ARF-Treffens hatte es Gerüchte gegeben, dass die Regierungen Vietnams und Indonesiens Bedenken gegen eine solche Vereinbarung geäußert hätten. Einige Formulierungen des zu verabschiedenden Textes, so die Kritik, verstießen gegen die Prinzipien staatlicher Souveränität und eröffneten den USA die Möglichkeit, Truppen auch gegen den Willen der südostasiatischen Regierungen in der Region zu stationieren.
Im Falle Indonesiens scheinen solche Vorbehalte allerdings von vornherein mehr zu Beruhigung der inneren Opposition gedient zu haben, denn tatsächlich hatte sich Präsidentin Megawati Sukarnoputri seit dem 11.September dem großen Bruder gegenüber ausgesprochen kooperativ gezeigt. Megawati war, nur eine Woche später, das erste ausländische Staatsoberhaupt, das nach den Anschlägen die USA besuchte, und bereits damals hatte sie der amerikanischen Regierung ihre Unterstützung zugesagt. Einige Zeit später wurde berichtet, Jakarta habe zwei Al-Qaida-Mitglieder, einen Pakistani und einen Mann unbekannter Herkunft, ausgewiesen. Die indonesische Regierung allerdings bestreitet diese Meldungen.
Colin Powell jedenfalls fand in einem Interview, das er am Rande seiner Südostasien- Reise der Far Eastern Economic Review gab, äußerst lobende Worte für die indonesische Regierung: "In Bezug auf Indonesien denke ich, dass sie jetzt auf eine sehr positive Art und Weise mit uns zusammenarbeiten, um auf diese Bedrohung zu reagieren. Zu Anfang, gleich nach dem 11.9, mussten die Indonesier, die größte muslimische Nation der Welt, vorsichtig vorgehen, aber ich denke, dass sie zunehmend die Gefahr des Terrorismus verstehen…"
Ralph Boyce, US-Botschafter in Jakarta, wies anlässlich des Besuchs seines Vorgesetzten darauf hin, dass die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern jenseits der Öffentlichkeit der Medien stattfinde: "Die erfolgreichste Form der Kooperation von jetzt an wird viel diskreter sein". Der "Krieg gegen den Terror" habe eine "undeutlichere" Phase erreicht, in der die Dinge nicht mehr schwarz und weiß seien wie im Falle Afghanistans, wird Boyce in der Jakarta Post vom 1.August zitiert.
Das gute Verhältnis wird von Washington natürlich entsprechend honoriert. Ein am 25.Juli von beiden Häusern des US-Kongresses verabschiedetes "Antiterrorgesetz" sieht unter anderem die Zahlung von 16 Millionen US- Dollar an die indonesische Polizei vor, 12 Millionen hiervon sollen der Aufstellung einer speziellen Einheit zur "Terrorbekämpfung" dienen. Außenminister Powell hat bei seinem Besuch weitere Zusagen gemacht: Insgesamt soll die indonesische Polizei in den nächsten Jahren 50 Millionen Dollar aus den USA erhalten. Mit weiteren 400000 Dollar soll die Ausbildung von Zivilisten in "Antiterroraktivitäten" gefördert werden und schließlich soll ein vom amerikanischen Verteidigungsministerium verwaltetes Programm von "Antiterrorbeihilfen" (counterterrorism fellowships) in Höhe von 17 Millionen Dollar eingerichtet werden, wovon nach Informationen der Jakarta Post ebenfalls ein Großteil nach Indonesien gehen soll.
Diese Beschlüsse haben, auch wenn es teilweise um recht bescheidene Summen geht, eine Symbolwirkung. Mitte Juli beschloss ein US-Senatsausschuss die Aufhebung der Sanktionen gegen Indonesien bei einem Programm zur Ausbildung ausländischer Offiziere in den USA (International Military Education and Training — IMET). Die Durchführung dieses Programms für indonesische Militärs war Anfang der 90er Jahre, als bei einem Massaker in Ost-Timor 270 Menschen ums Leben kamen, zum ersten Mal ausgesetzt worden.
Trotzdem funktionierte die Zusammenarbeit offenbar weiterhin gut: Im März 1998 wurde bekannt, dass US-Spezialisten indonesische Armeeeinheiten in Guerillataktiken, Überwachungstechniken, Gegenspionage und "psychologischen Operationen" ausgebildet hatten.
Nach dem von der UNO organisierten Referendum vom August 1999 in Osttimor, bei dem die Bewohner dieser seit 1975 von Indonesien besetzten ehemaligen portugiesischen Kolonie mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmten, kam es zu einem von der indonesischen Armee und mit ihr verbündeten Milizen veranstalteten Blutbad: Mindestens 2000 Menschen wurden ermordet, 75% der Infrastruktur Osttimors wurden zerstört und mehr als 250000 Menschen vertrieben. Die Clinton-Regierung reagierte mit einer Sperre aller gemeinsamen militärischen Übungen und dem Verbot von Waffenverkäufen an Indonesien.
Aber auch diesmal unterlief die US-Regierung die eigenen Gesetze, so durfte im Mai 2000 die indonesische Luftwaffe zehn Beobachter zu einer militärischen Übung in Thailand schicken, an der Truppen aus den USA, Thailand und Singapur teilnahmen. Kurz vor dem Powell-Besuch wurde schließlich bekannt, dass ab September dieses Jahres fünfzehn indonesische Offiziere an einem speziellen "Antiterrorismus"-Programm an einer kalifornischen Militärakademie teilnehmen sollen.
Menschenrechtsorganisationen haben den Beschluss des Senatsausschusses heftig kritisiert. Das East Timor Action Network etwa schreibt in einer Erklärung, diese Entscheidung gebe "grünes Licht für das indonesische Militär … die eskalierende Verwendung brutaler Taktiken gegen Zivilisten, speziell in Aceh und Westpapua, fortzusetzen. Das indonesische Militär … wird ohne Zweifel die Wiederaufnahme der prestigeträchtigen US-Militärausbildung als eine Befürwortung des business as usual verstehen und eine Unterstützung der Verletzung der Menschenrechte durch die USA".
In Washington wächst allerdings der Druck, die Sanktionen gegen das indonesische Militär jetzt vollständig aufzuheben. Neben rechten Hardlinern wie dem stellvertretendenVerteidigungsminister Paul Wolfowitz, der unter Reagan drei Jahre lang Botschafter in Jakarta war und bereits vor einiger Zeit erklärte, man könne mit der Verfolgung von Al-Qaida in Indonesien nicht bis zum Ende des Kriegs in Afghanistan warten, tun sich hierbei vor allen Dingen Lobbygruppen wie der US-ASEAN-Business Council und die US-Indonesia Society hervor.
In beiden Organisationen sind Unternehmen wie Coca-Cola, Boeing, die Bank of America, Citibank, das Bergbauunternehmen Freeport-McMoRan sowie die Ölfirmen British Petrol, Chevron Texaco, ExxonMobil und die in letzter Zeit vor allem wegen diverser Pipelineprojekte in Afghanistan in die Schlagzeilen geratene Unocal vertreten. Insbesondere der indonesische Erdöl- und Bergbausektor ist für ausländische, zumeist US-amerikanische, Firmen von großem Interesse, wobei es auffällig ist, dass diese Firmen gerade in den beiden Krisenregionen Aceh und Westpapua tätig sind.

Aceh

Mit der Entdeckung großer Erdöl- und Flüssiggasvorkommen Mitte der 70er Jahre wurde die Provinz Aceh im Norden Sumatras zu einer der wirtschaftlich bedeutendsten Regionen Indonesiens. Die erwirtschafteten Gelder flossen jedoch zum allergrößten Teil in die Taschen ausländischer Ölmultis und der Zentralregierung in Jakarta. Experten vermuten, dass lediglich 5% der Öl- und Gaseinnahmen in Aceh selbst verblieben. Die Erklärung Acehs zum "militärischen Operationsgebiet" in der Suharto-Diktatur überließ die Provinz schließlich der Willkürherrschaft der indonesischen Armee, bei der schätzungsweise 12000 Menschen ihr Leben verloren.
Seit Anfang des Jahres hat Aceh nun einen besonderen Autonomiestatus, verbunden mit einer höheren Beteiligung an der Vermarktung der Ressourcen und der Einführung des islamischen Rechts. Ein Ende der Gewalt ist jedoch nach wie vor nicht in Sicht, allein in diesem Jahre starben bereits 600 Menschen größtenteils Zivilisten, in Auseinandersetzungen zwischen der Armee und der Bewegung Freies Aceh (GAM). Präsidentin Megawati scheint dabei ein offenes Ohr für die Forderung der Militärs nach Ausrufung des Ausnahmezustands zu haben, und Sicherheitsminister Yuhoyono Susilo bezeichnete die Rebellen bereits ganz im Sinne des neuen Sprachgebrauchs als Terroristen.
Die indonesische Armee ist nach wie vor massiv in Aceh präsent und hat vor kurzem sogar wieder ein eigenes Territorialkommando eingerichtet. Die australische Aceh-Expertin Lesley McCulloch von der Universität von Tasmanien schätzt, dass in Aceh zurzeit mehr Soldaten stationiert sind als in Osttimor 1999 vor der Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums. Etwa 3000 dieser Soldaten dienen dabei als spezielle Einsatztruppe zum Schutz der gigantischen Förderanlagen, die der Öl- und Gasmulti ExxonMobil an der Nordküste von Aceh unterhält. Die Schutztruppe war aufgestellt worden, nachdem eine Reihe von Anschlägen zu wiederholten Produktionsausfällen geführt hatte.
Unterdessen zeigt sich auch, dass ExxonMobils scheinbar großzügiges Angebot einer Beteiligung Acehs an den Fördererträgen einige Haken hat. So werden die lokalen Regierungen z.B. nichts von den Erträgen aus Ölfeldern erhalten, die jenseits einer Zone von 12 Seemeilen liegen — aus solchen Feldern bezieht Exxon jedoch etwa 25% seiner Gewinne.
In ungefähr zehn oder zwölf Jahren werden die Öl- und Gasfelder vor der Küste Acehs erschöpft sein. ExxonMobil wird dann jahrzehntelang unter dem Schutz der indonesischen Armee exorbitante Profite eingefahren haben, von denen zumindest in den ersten 25 Jahren die Bevölkerung von Aceh nichts bekommen hat.

Westpapua

Westpapua am anderen Ende des Archipels wurde 1969, nach einer Scheinabstimmung unter Kontrolle des Militärs, das die Region zuvor besetzt hatte, unter dem Namen Irian Jaya Teil des indonesischen Staatsgebiets. Seit diesem Zeitpunkt sind etwa 100000 Menschen getötet worden oder "verschwunden", wobei es aber gerade in den letzten zwölf Monaten zu einer neuen Qualität der Gewalt gekommen ist: Offenbar gezielt wurden Repräsentanten der Unabhängigkeitsbewegung Organisation Freies Papua (OPM) aber auch lokale Stammesführer von Angehörigen des Militärs umgebracht.
Auf Westpapua befindet sich die weltgrößte Kupfer- und Goldmine mit einem jährlichen Gewinn von 1,9 Milliarden US-Dollar. Betrieben wird sie gemeinsam vom US-amerikanischen Bergbauunternehmen Freeport MacMoran und der anglo-australischen Minengesellschaft Rio Tinto.
Freeport war geradezu berüchtigt für seine guten Kontakte zum Suharto-Regime. Beim Sturz des Diktators 1998 war Freeport in Westpapua zu einem Staat im Staat geworden, Freeport produzierte 50% des Sozialprodukts von Westpapua und finanzierte faktisch direkt die Operationen der indonesischen Armee vor Ort. Ähnlich wie ExxonMobil in Aceh so hat auch Freeport bis heute eine Schutztruppe aus Armeeangehörigen, für die das Unternehmen sogar die Unterkünfte gebaut hat.
Auch in der US-Regierung scheint Freeport gute Freunde zu haben, so erwirkte etwa der US- Handelsbeauftragte Robert Zoellick letztes Jahr eine Zollfreiheitsgarantie für indonesische Kupfererze, eine Maßnahme, die Freeport unmittelbar zugute kommt.
Inzwischen hat sich noch ein weiterer Multi in Westpapua angekündigt. In der Bintuni- Bucht wird eines der größten Erdgasfelder der Welt vermutet. British Petroleum plant jetzt dort eine Produktionsanlage von knapp 3500 Hektar und Investitionen in Höhe von insgesamt 3—4 Milliarden US-Dollar.
Abgesehen von der direkten Unterstützung amerikanischer Kapitalinteressen verfolgt die US-Politik in Indonesien auch eine längerfristige geopolitische Strategie. Indonesien befindet sich im Schnittpunkt sämtlicher Seewege zwischen Nordostasien, dem indischen Subkontinent, den Ölförderländern des Nahen Ostens und Australien. Für das US-Militär sind die an Indonesien vorbeiführenden Seeverbindungen zwischen den Stationierungsorten im Westpazifik und dem Indischen Ozean sowie dem Persischen Golf von herausragender Bedeutung. Das Hauptinteresse US-amerikanischer Indonesienpolitik liegt daher in der Bewahrung "politischer Stabilität" auf dem Inselstaat.
Präsidentin Megawati scheint dies allerdings immer weniger garantieren zu können. Jüngste Umfrageergebnisse zeigen, dass "Mutter Mega", wie sei einst von ihren Anhängern genannt wurde, in dem einen Jahr ihrer Amtszeit dramatisch an Unterstützung verloren hat. Es ist daher schon jetzt absehbar, dass die US-Regierung mittelfristig stärker auf die Militärs in Jakarta setzen wird.
Möglicherweise könnte es dann zu einer Neuauflage der "Gelenkten Demokratie" im Stil von Megawatis Vater Sukarno kommen — einer zivilen Regierung mit starker Beteiligung und unter faktischer Kontrolle des Militärs. Diese Lösung hatte die konservative Rand Corporation bereits in einer im letzten Jahr für die amerikanische Luftwaffe erstellten Indonesienstudie favorisiert. Der "Krieg gegen den Terror" wäre für eine solche Regierung dann die Legitimationsgrundlage.

Harald Etzbach


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