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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2002, Seite 21

‘Mehr als ein nützlicher Zeitgenosse‘

Bernie Taft, Diesseits von Gut und Böse. Erinnerungen eines roten Weltbürgers, Berlin: Verlag Das Neue Berlin, 2002, 320 S., 19,90 Euro

Dieser Autor dürfte der einzige sein, der sowohl die chinesische als auch die sowjetische Parteihochschule absolvierte. Spitzenfunktionär der kleinen KP Australiens, kam er zudem viel in der kommunistischen Weltbewegung herum.
Taft wurde 1918 unter dem später "australisierten" Namen Bernhard Tugendhaft als Kind aus Polen zugewanderter jüdischer Geschäftsleute in Hannover geboren. Er sah in den Kommunisten die einzigen ernsthaften Gegner Hitlers und schloss sich ihrem Jugendverband an. Mitte 1933 emigrierte die Familie. Zeitweise von den Seinen getrennt, dann wieder mit ihnen zusammen gelangte Bernhard 1939 nach Australien. Seit 1945 hauptamtlich in der KP tätig, stieg er vom Leiter einer Parteischule bis zum stellvertretenden Vorsitzenden auf.
Interessant sind seine Mitteilungen über Konflikte mit konservativen Regierungsinstanzen im Kalten Krieg und über den sektiererischen Kurs seiner Partei, der Isolierung und schwere Mitgliederverluste brachte. Taft neigte zu politischem Realismus. Die Pekinger Parteihochschule regte 1955/56 zu selbstständigem Denken an. Das war vor allem nach Chruschtschows Geheimrede über Stalins Verbrechen wesentlich, die in der ganzen Welt stürmische Debatten auslöste. Gleich der israelischen suchte die australische Parteispitze solche zu verhindern.
Der Kurs stieß den Autor ab. Doch brachte ihn die Moskauer Parteihochschule 1961/62 in andere Gesellschaft. In der KP Australiens, deren Zentralkomitee er seit 1964 angehörte, unterstützte Taft die auf Abkehr von stalinistischen Methoden ausgehende Richtung. Er hatte großen Anteil an der "Charta der demokratischen Rechte", die schon ein Jahr vor dem "Prager Frühling" verabschiedet wurde.
Gegenüber Führern anderer Kommunistischer Parteien, bei den Vorbereitungskonferenzen zum Weltkongress 1969 und bei diesem selbst wirkte er auf Reformen und darauf hin, dass die sowjetische Intervention in der Tschechoslowakei kritisch erörtert wurde.
Mit seiner Partei protestierte Taft gegen die Verfolgung Oppositioneller und gegen antisemitische Exzesse in "realsozialistischen" Ländern. Er hielt mit Moskau unbequemen Führern wie Dubcek, Berlinguer, Tito und Ceausescu Kontakt, desgleichen zu Georg Lukács, Stefan Heym, Jewgenia Ginzburg, Jiri Pelikan und Franz Marek. In einem nach Lukács‘ Tod veröffentlichten Interview mit ihm berichtete der Philosoph erstmals über seine Haft unter Stalin 1941.
Interessant sind Passagen, die Konflikten mit der KPdSU-Spitze um die Unabhängigkeit der australischen KP und deren neuerlicher Wendung nach ultralinks gewidmet sind. Letztere hatte 1984 den Austritt Tafts und seiner Genossen sowie die Bildung des Socialist Forum gemeinsam mit linken Sozialisten zur Folge. Im Ostblock bahnte sich unterdes der Kollaps von Ende 1989 an. Taft analysiert die "realsozialistische" Ära, mit ihr den "Traum, der sich in einen Albtraum verwandelte". Neben dem Papst zitiert er den Dalai Lama, der 1993 feststellte, in Moskau sei ein totalitäres Regime zusammengebrochen, nicht der Marxismus.
Stefan Heym hat den Verfasser einen "mehr als nützlichen Zeitgenossen" genannt. Wolfgang Leonhard riet Taft dringend dazu, seine Erinnerungen aufzuzeichnen. Mit Recht verweist er im Vorwort zu deren deutscher Ausgabe auf die plastische und lebensnahe Schilderung der Begebenheiten. In Australien, England, den USA und Kanada wurde das ab Ende 1995 erschienene Buch zum Bestseller. Hoffen wir, obwohl es unwahrscheinlich ist, dass in Deutschland Ähnliches geschieht.

Manfred Behrend


LeserInnenbrief@soz-plus.de
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