SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 5

Auf schwankendem Boden

Winfried Wolf über die Wahlniederlage der PDS, den Zustand der Partei und seine Bilanz von acht Jahren parlamentarischer Arbeit

SoZ: Dass die PDS nicht mehr im Bundestag vertreten ist, hat auch dich spürbar überrascht. Wie erklärst du dir diese weitreichende Niederlage?

Winfried Wolf: Es gab sicherlich eine ganze Reihe von sog. äußeren, teilweise objektiven Faktoren, die auch leicht als Entschuldigung herangezogen werden.
Da ist der Lagerwahlkampf, den es am Ende mit den Fernsehduellen doch noch gab. Da ist die Thematik Krieg und Frieden, die von der SPD ebenso besetzt werden konnte wie das Thema Soziales mit der Hartzkonzeption. Aber letztlich glaube ich, dass die Niederlage hausgemacht ist, dass die Gründe bei der PDS selber liegen.
Und da gibt es den übergeordneten Grund, den man sozusagen durchdeklinieren kann für die drei zentralen Themen. Das ist der Grund, dass die PDS sich mehr noch als im Vorfeld der Bundestagswahlkampagne angebiedert hat an Rot-Grün. Das wurde mit der merkwürdigen Erklärung deutlich, wonach die zukünftigen Abgeordneten Schröder wählen würden — egal wie und ohne klare Bedingungen. Im Gegenteil konnte man nachlesen, dass wir, wie es bspw. der Spiegel schrieb, "quasi als Dauerleihgabe über vier Jahre die Kanzlermehrheit sichern". Soweit ging das Angebot des Führungsquartetts Bartsch, Claus, Pau, Zimmer und speziell von Brie und Gysi mit ihren netten Briefen an Lafontaine und dem Hinweis, dass man sich strategisch vorstellen kann, zusammen zu arbeiten, und der Andeutung der Bildung einer gemeinsamen neuen Partei.
Es gibt bereits Anzeichen, dass so etwas jetzt vorbereitet werden soll. Und es geht weiter mit den permanenten Schlagzeilen, wonach wir Schröders Sieg sicher machen würden. Das führt natürlich dazu, dass man lieber das Original wählt statt der Kopie.
Dieses Anbiedern kann man auf die drei Themen Arbeit/Soziales, Ostpartei und Frieden runter brechen. Bei Arbeit/Soziales war es die verwaschene Haltung zur Hartz-Kommission, zu der es zwar Faltblätter mit durchaus richtigen Argumenten gab. Aber nach außen gab es keine aggressive und eindeutige Haltung, dass diese Konzepte einen geballten Angriff auf die Arbeitslosen darstellen. Das wurde versäumt.
Zum zweiten: Spätestens bei der Flutkatastrophe war klar, dass die PDS ihre sog. Ostkompetenz nicht gezeigt hat, dass sie, wie ein ARD-Tagesthemen-Sprecher sagte, "abgetaucht" ist mit der Flut und dem Deichgrafkanzler die Dämme überlassen hat.
Und das dritte war Krieg und Frieden, die tatsache, dass wir das Thema des Irakkrieges, der ja seit Januar/Februar konkret vorbereitet wird, u.a. mit Truppenverlegungen und dem Bundestagsbeschluss vom 16.November des letzten Jahres, nicht zum zentralen Thema gemacht haben. Die Plakate der PDS waren "Gerechtigkeit weltweit" und "Frieden kostet Mühe, Krieg kostet Leben" — nett, aber abstrakt. Als Schröder das Thema dann hochzog, stand die PDS abseits. Bush hatte ja in seiner Bundestagsrede vom 23.Mai, eindeutig aber ohne es explizit zu sagen, einen Krieg gegen Saddam Hussein angekündigt. Doch dann gab es den Skandal mit der unsäglichen Entschuldigung von Claus bei Präsident Bush.

Die opportunistische Anbiederung an die SPD, die Reduktion auf die Vertretung spezifisch ostdeutscher Interessen, die ganze Fixierung auf parlamentarische Stellvertreterpolitik — sind dies nicht Zeichen einer grundlegenden Fehlentwicklung der Partei, die weit über taktische Fehler hinaus gehen?

Aber das war doch schon lange angelegt in der PDS. Ich kann keine qualitativen Unterschiede sehen zwischen den Wahlkämpfen 1994, 1998 und 2002. Manche sagen, dass sich die graduellen Veränderungen zu einer neuen Qualität summiert hätten. Ich kann das nicht feststellen. In den Bereichen, wo ich arbeite — Antikriegsarbeit & Verkehr —, habe ich eher den Eindruck guter neuer Zusammenhänge, bspw. mit der Zeitung gegen den Krieg, die als PDS-nah identifiziert wird und die die einzige bundesweite Zeitung dieser Art ist.
Wir haben ja bereits Anfang der 90er Jahre in der SoZ gesagt, dass die PDS fern der Bewegungen wäre und dass sie demnächst über die Wupper gehen würde. Das ist im Jahre 2002 nicht so eindeutig festmachbar.
Ich möchte nicht bestreiten, dass es eine Akkumulation solcher Indizien gibt, aber subjektiv sehe ich keinen qualitativen Sprung. Es ist primär Dummheit und vor allem die Geilheit, sich anzubiedern.
Ein Beispiel: Wir hatten eine Diskussion bei der Flut, dass die 7 Milliarden Euro, die jetzt an die Opfer gezahlt werden, nicht mal die Hälfte dessen ausmachen, was gebraucht wird, um die direkten Schäden zu beheben. Intern haben wir gesagt, wir müssten das doppelte fordern zu Lasten des Militärhaushaltes. Die offizielle PDS hat das nicht gesagt, weil sie in der nationalen Euphorie nicht unangenehm auffallen wollte. Hier hat sich die Führung den Wahlerfolg selber vermasselt.

Aber auch im Westen hat die PDS stagniert. Das Projekt der Westausdehnung scheint endgültig gescheitert. Liegen die Ursachen im Osten oder bei den Westlinken?

Das vermeintliche Scheitern der Westausdehnung ist mir auch ‘94 und ‘98 aus allen möglichen Ecken vorgehalten worden. Ich kann nur feststellen, dass wir ‘98 doppelt so viele Mitglieder hatten wie ‘94 und heute doppelt so viel wie ‘98. Ich kann feststellen, dass wir bis ‘98 in kommunalen Parlamenten gar nichts hatten, heute sitzen wir in Baden-Würtemberg in fünf Kommunalparlamenten, in einem als Fraktion mit 7% der Stimmen. Das ist schon eine Veränderung.
Wahr ist, dass wirklich alle, Berufsoptimisten wie ich ebenso wie strukturelle Pessimisten, kalt erwischt wurden. Ich kenne keinen einzigen im Westen, keinen einzigen, der sagen würde, das habe er sich so gedacht. Das ist auffallend. Im Osten war das anders.
Im Westen war die Erfahrung durchgehend so, dass alle sagten: Wir haben bessere Kandidaten, wir haben mehr Leute, mehr Medienresonanz — ich hatte bspw. erstmals und gleich zweimal eine ganze Stunde Sendezeit im wichtigsten Fernsehsender.
Wir glaubten alle, dass sich dies niederschlägt. Dass dies nicht passiert ist, liegt an dem, was wir eben diskutierten. Viele sagten, ja, schön, dass ihr da seid. Auch eure Argumente sind gut. Aber man kann euch nicht trauen. Nicht beim Krieg ("Sorry Mr. President"), auch nicht, so die Arbeitslosen, was die Hartzkommission angeht, und auch nicht beim Abtauchen während der Flut.
Das scheint mir durchgeschlagen zu haben und kann auch belegt werden. Ich habe in Baden-Würtemberg 70% mehr Stimmen bekommen, fast die Verdoppelung, die wir wollten. Aber wir haben bei den Zweitstimmen abgenommen. Da haben die Leute gesagt: Personen sind gut, Aussagen sind gut, aber was die Partei angeht, haben sie im letzten Moment gesagt: lieber Rot-Grün.

Welche Rolle spielen Gregor Gysi und André Brie in der Partei? Es scheint, als ob sie sich in einem Fraktionskampf gegen die "linke" Parteivorsitzende befinden. Du hast in deiner Wahlbilanz das Wort "Mobbing" benutzt.

Der Parteivorstand ist natürlich, mit wenigen Ausnahmen, nicht links, sondern Ausdruck des Apparats. Wahr ist, dass es hier einen Machtkampf innerhalb des Führungsapparats gab, und dass Gabi Zimmer eher die war, die, aus welchen Gründen auch immer, deutlicher auf Opposition setzte, während v.a. Bartsch und Claus, aber auch Pau, weitgehend auf der Linie von Gysis Anbiederung an die SPD liegen. Doch diese Unterschiede sind graduell, v.a. atmosphärisch.
Was das Küchenkabintett Gysi und Brie angeht, so bin ich kein intimer Kenner, aber das geht durchaus weiter. Die Kritik an ihnen wächst aber auch mit der Wahlniederlage. Selbst Pau sprach von dem "Vorruheständler".

In wenigen Wochen ist Bundesparteitag. Worum wird es deiner Meinung nach dort gehen und wie könnte es ausgehen?

Der Parteitag wird turnusgemäß einen neuen Parteivorstand wählen. Jetzt wird aber eindeutig die Bilanz der katastrophalen Wahlniederlage im Vordergrund stehen und vor dem Hintergrund natürlich auch die Frage personeller Konsequenzen.
Mein Eindruck ist, dass durchaus gute linke Kritik geübt werden wird, bspw. von Seiten des Marxistischen Forums, der Kommunistischen Plattform und dass die Verteidigung von Gabi Zimmer gegen die Mobber aus ihrem Quartett und auch gegen Gysi und Brie zur Polarisierung führen könnte.
Das Hauptproblem, eine strukturelle Gefahr, ist, dass es kein dezidiert radikal-linkes Personal gibt, was bereit wäre zu ernsthaften Gegenkandidaturen. Das ist momentan nicht erkennbar.

Die linke Opposition macht generell keinen sehr stabilen und kämpferischen Eindruck.

Es gibt sie eben gar nicht. Vor einem Jahr gab es den Versuch, über den Mittelgroßen Ratschlag eine breite Linke aufzubauen und über die Programmalternative zu fokussieren. Nach dem Dresdener Parteitag ist dies weitgehend zusammen gebrochen.
Es gibt zwar jetzt teilweise neue Ansätze, aber eigentlich gibt es seit einem dreiviertel Jahr nicht mal einen Ansatz für eine breiter angelegte Linke in der PDS.

Vor acht Jahren bist du von der SoZ zuerst in den Bundestag und dann in die PDS gewechselt. In unserem damaligen SoZ-Interview hast du betont, dass du deine politische Identität als radikal-linker Systemkritiker zu bewahren gedenkst. Das ist dir ja auch gelungen. Du hast damals auch die Meinung vertreten, dass das Parlament ein guter und wichtiger Resonanzboden für eine linke Systemkritik sein kann. Ist das eine Einschätzung, die du auch acht Jahre später noch vertreten kannst?

Ja, in vollem Umfang. Ich würde sogar sagen, dass sich meine Einschätzung des Nutzens des Parlaments radikalisiert und konkretisiert hat.
Radikalisiert: Die abstrakte Einsicht, die ich damals hatte, dass das Parlament einem Hamsterrad gleicht, in dem der Hamster alle vier Minuten aus dem Rad steigt und glaubt, er wäre weiter gekommen, hat sich ganz eindeutig bestätigt. Diejenigen, die allein parlamentarische Arbeit machen, sind völlig gefangen in unnützen Arbeiten. Ich kann nun besser belegen, wie die wichtigen Entscheidungen jenseits des Parlaments in den Konzernzentralen fallen.
Konkretisiert insofern, als ich schon meine, dass man mit dem richtigen Verständnis der Parlamentsarbeit dasselbe ausnutzen kann und keineswegs zum Reformisten und Opportunisten oder Goldhamster werden muss. Was die Verkehrs- und Antikriegsarbeit angeht, kann ich dies auch belegen.
Da sehe ich übrigens die Hauptfrüchte und Hauptverluste nicht nur meiner Arbeit. Wenn die PDS aus dem Bundestag fällt, sind konkrete Projekte, weit über hundert Initiativen, die die PDS als Anlaufstellen benutzten, in der Klemme. Diese Chance der Unterstützung ihres außerparlamentarischen Kampfes ist nun vorbei.

Acht Jahre warst du gut dotierter Bundestagsabgeordneter. Nun bist du arbeitslos. Weißt du schon, was du tun wirst und in welcher Funktion Winfried Wolf zukünftig agieren wird?

Es ist gerade erst fünf Tage her, dass die Wahl uns diese Niederlage beschert hat. Ich habe es am Wahlabend auch bis 19 oder 20 Uhr nicht glauben wollen. Ich war darauf nicht vorbereitet.
Ich werde formal nicht arbeitslos sein, sondern 20 oder 21 Monate Übergangsgeld bekommen, in einer Höhe (so ca. 2200 Euro), mit der ich die wichtigen Dinge abdecken kann. Ich werde weiter politisch arbeiten, aber wie das aussieht — im Bereich von Zeitungsarbeit, im Verkehrsbereich oder der Antikriegsarbeit — das weiß ich nicht. Die von mir wesentlich mit getragenen Projekte Zeitung gegen den Krieg und die Gruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn will ich auf jeden Fall versuchen, weiter zu führen.
Privat muss ich mich erst einmal wieder neu sortieren.

Könnte dein Abschied vom Parlament auch ein Abschied von der PDS sein?

Das hängt stark von der Entwicklung der PDS ab. Ich habe immer gesagt, dass für mich der unüberschreitbare Rubikon die Frage von Krieg und Frieden ist. Das ist nicht allein entscheidend, aber — denken wir an Liebknecht und Luxemburg oder, negativ, an den Grünenparteitag im Mai 1999 — ein entscheidender Punkt, an dem linke Parteien nicht mehr als linke bezeichnet werden dürfen: wenn sie einen imperialistischen Krieg mittragen. Das werde ich weiter vertreten.
Wie stark meine Aktivität aussehen wird, das hängt auch von den Möglichkeiten ab, die sich mir in der PDS öffnen. Aber das ist ein wankender Boden, auf dem ich dies formuliere.

Interview: Christoph Jünke.




zum Anfang