SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 10

Saddam geht, das Regime bleibt?

In den US-Plänen ist kein Platz für die irakische Opposition

Mitte Juni erläuterte der Generalsekretär der KP des Irak, Hamid Mageed Mousa, auf einem Seminar in London seine Sicht über die Ziele der US- Politik im Irak und die Aufgaben der Opposition.

Die bestehenden Kräfteverhältnisse im Irak verlangen eine andere Qualität der politischen und militärischen Vorbereitungen als der Krieg in Afghanistan. Auch die logistischen Voraussetzungen müssen aus einer anderen Perspektive heraus angegangen werden.
Den USA geht es in erster Linie um einen Austausch an der Spitze des Regimes, ohne grundlegende Veränderungen. Eine revolutionäre Volkserhebung, ein Aufstand oder eine von einem starken Oppositionsbündnis eingeleitete Wende passen den USA nicht ins Kalkül. Aus Gesprächen mit Vertretern der US-Administration wird deutlich, dass eine Alternative aus den Reihen des Regimes angestrebt wird. Das erklärt auch ihr Festhalten an den Sanktionen und an der Kriegsoption.
Es ist nur eine logische Konsequenz, dass die USA die Bildung eines progressiven, demokratischen Bündnisses mit einem unabhängigen, dem Wohl des Landes verpflichteten Programm zu verhindern suchen. Der Opposition gestehen sie lediglich eine Rolle für die Zeit nach dem Sturz Saddams zu. Schon Madeleine Albright hatte es vormals deutlich ausgedrückt: "Ihr werdet erst nach der Wende für bestimmte politische Aufgaben und zur Information gebraucht." Andere Vertreter der US-Politik haben es so auf den Punkt gebracht: "Die goldene Kugel für Saddam ist nicht eure Sache!"
Diese Zielsetzung schlägt sich im Verhältnis zur irakischen Opposition nieder. Zweifelsohne sind eigene, hausgemachte Mängel der irakischen Opposition ein Grund für ihre fehlende Einigkeit. Doch zur Zeit sind es vor allem die internationalen und regionalen Einmischungen, die ihrer Einheit im Handeln im Weg stehen. Sobald der Versuch gemacht wird, das Aktionsbündnis zu aktivieren, setzen sofort wieder Bemühungen ein, die Opposition zu spalten. Das verläuft manchmal ganz merkwürdig: Zunächst wurde behauptet, nur der Irakische Nationalkongress (INC) könne Dachverband der Opposition sein.

Teile und herrsche

Kurz danach gab man sich mit dem INC allein nicht mehr zufrieden, sondern suchte nach Kontakten zu anderen Kräften. Später kehrte man zum Gedanken eines militärischen Kongresses zurück, ausgehend von der Überlegung, das militärische Potenzial im Exil müsse gebündelt, seine Erfahrungen genutzt werden. Doch das US-Außenministerium lehnte es ab, den Eingeladenen ein Einreisevisum zu erteilen — wohl in der Angst, sie könnten in den USA Asyl suchen!
Ein anderes Beispiel: Die Opposition wurde von den USA aufgerufen, eine erweiterte Konferenz von Experten einzuberufen. Es sollten Fragen des Gesundheitswesens, der Bildung usw. diskutiert werden, kurzum alles, nur nicht die Frage des politischen Wechsels. Einige Oppositionsgruppen bildeten dennoch ein Vorbereitungskomitee für eine solche Konferenz. Daraufhin strich der US-Kongress die 5 Millionen Dollar für ihre Finanzierung. Gleichzeitig wurde die Arbeit von Radio Liberty im Irak eingestellt.
Die Iraker finden dies beschämend. Es ist eine Demütigung für die Opposition. Letzten Endes müssen wir uns die Frage stellen: Wollen die USA eine Vereinigung der Kräfte der irakischen Opposition überhaupt? Und was ist unter diesen Umständen zu tun?
Der geplante Krieg im Irak wird ein moderner, totaler Krieg sein, in dem nur einseitige Entscheidungen gesucht und die Waffen entsprechend ausgewählt werden. Weder das Volk noch seine Vertreter werden bei einem solchen Krieg mitentscheiden können. Eine Zerstörung gewaltigen Ausmasses wird die Folge sein.
Die Menschen im Irak, die sich nach einem Ende der Diktatur sehnen, stellen sich dennoch die Frage: Was kommt danach? Wird dem verhassten Regime die erhoffte Alternative folgen?
Wir können uns mit den Risiken eines Kriegsszenarios kaum abfinden. Wir leugnen nicht die Bedeutung des internationalen Faktors und die Notwendigkeit einer internationalen Unterstützung für die irakische Opposition. Es geht auch nicht um die Frage, ob man zu den USA Beziehungen unterhalten soll oder nicht. Es geht darum, wie diese Beziehungen beschaffen sind.
Viele fragen: Wann schafft es die irakische Opposition endlich, ihre Kräfte zu bündeln und eine geeignete Form der Zusammenarbeit zu finden? In diesem Punkt müssen wir alle zu unserer Verantwortung stehen. Kann dabei aber der Druck der USA übersehen werden? Wir dürfen diesem Druck nicht nachgeben. Es ist das Recht der Opposition, sich ihm zu widersetzen und Bündnisse nach ihrem eigenen Willen zu bilden. Es ist ihr Recht, eigene Programme und Ansichten durchzusetzen. Dabei müssen wir nach Gemeinsamkeiten mit den Vorstellungen der Anderen suchen, damit die Interessen des irakischen Volkes mit den Interessen der Weltgemeinschaft in Einklang gebracht werden.
Wir glauben, dass die irakische Opposition trotz aller Schwierigkeiten über ein bedeutsames Potenzial verfügt, wenn sie ihre innere Einheit herstellt. Wir wollen ein demokratisches Regime — mit Krieg wird es aber nicht hergestellt werden können. Auch nicht durch Ablehnung der irakischen Opposition, ihrer Aktivitäten und ihrer Beteiligung an einem Machtwechsel.
Der einzige Garant für den Aufbau einer Demokratie und für eine gerechte Lösung der Nationalitätenfrage ist die Einheit der Opposition und ihre entscheidende Beteiligung an einem Machtwechsel auf der Basis eines progressiven, demokratischen Programms. Ohne dem kann ein demokratischer, stabiler Irak nicht aufgebaut werden, der ein Faktor des Friedens und der Unterstützung für die arabischen nationalen Befreiungsbewegungen und das palästinensische Volk wäre. Der Weg der Aktionseinheit der oppositionellen Kräfte ist möglich und unverzichtbar, und er ist die Voraussetzung für den Aufbau eines gesunden Verhältnisses zu den internationalen Kräften.

Die Stimmung im Land

Die irakische Gesellschaft lebt derzeit in einem Zustand äußerster Anspannung und in Erwartung des drohenden Unheils. Dies kommt zu den katastrophalen Lebensumständen, zum Hunger, Terror, zur Unterdrückung erschwerend hinzu. Die Lage wird noch verschlimmert durch die präventiven Sicherheits- und Militärmaßnahmen und die weiter bestehenden Sanktionen. Der enorme psychische Druck ist nicht nur in den von Saddam kontrollierten Gebieten spürbar, sondern auch in Kurdistan. Die Menschen sehen kein Licht am Ende des Tunnels, und die nationale Opposition ist mitschuldig am Fortbestehen der Tragödie.
Viele vergleichen die Situation mit der Hölle. Die Menschen wünschen sich lieber heute als morgen ein Ende des Regimes. Manche bringen ihre Emotionen mit dem Wunsch zum Ausdruck: "Soll uns meinetwegen der Teufel selbst erlösen!"
Doch sie stellen auch skeptisch die Frage, ob es den USA ernsthaft um den Sturz des Regimes geht. Sie meinen, dieses Regime sei doch ein Freund der USA, deswegen haben ihm die USA das Überleben ermöglicht. Den Beleg dafür sehen sie im Aufstand vom März 1991, als sich die USA zugunsten des Regimes einmischten, und auch die "Operation Wüstenfuchs", bei der Saddam bewusst verschont wurde.
Sie fragen sich nach der Zeit nach Saddam. "Würden wir ein normales, sicheres und friedliches Leben führen können?" Kurzum, die Menschen fragen sich, ob die USA nicht nur einen ihrer Gefolgsleute als Ersatz für Saddam einsetzen und letztendlich nur ihre eigenen Interessen im Auge haben. Sie fragen sich auch nach dem Verbleib der Opposition und nach ihrer Rolle.
Allerdings kann die Opposition das Vertrauen der Massen erst dann gewinnen, wenn sie sich um ein klares, progressives und demokratisches Programm vereinigt. Dann wären sie auch zur Herausforderung der Diktatur bereit — trotz der damit verbundenen Opfer: das hat der Aufstand vom März 1991 eindeutig bewiesen.
Eine vereinte Opposition hätte auf die Stimmung im Land eine entscheidende Wirkung. Sie würde nicht nur diejenigen mobilisieren, die von der Diktatur terrorisiert werden, sondern auch die Angehörigen der regierenden Partei und der staatlichen Institutionen, die sich mit den herrschenden Umständen nicht mehr abfinden wollen. Wir haben genügend Belege dafür, dass ein beträchtlicher Anteil der Staatsangestellten bereit ist, sich im entscheidenden Moment auf die Seite des Volkes gegen die Diktatur zu stellen.


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