SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 11

Kriegsgetrommel

‘Amerikanischer Internationalismus‘

Eine eigenartige Debatte zu den Plänen für einen Krieg gegen den Irak fand im Spätsommer in einigen Blättern der US-amerikanischen Presse statt. Eigenartig nicht nur, weil der öffentlich geführte Schlagabtausch ausschließlich zwischen Mitgliedern der Republikanischen Partei ausgefochten wurde, sondern auch, weil die Fronten in der Argumentation ziemlich klar zwischen ehemaligen Angehörigen der Regierung Reagan aus den 80er Jahren und ehemaligen Angehörigen der Regierung von George Bush senior Anfang der 90er Jahre verliefen.
Alles begann mit einem Leitartikel, den Brent Scowcroft, nationaler Sicherheitsberater zur Zeit des Golfkriegs II, im normalerweise ausgesprochen kriegslüsternen Wall Street Journal veröffentlichte. In seinem Artikel sprach sich Scowcroft, ein pensionierter General, vehement gegen einen Krieg mit dem Irak aus. Ein solcher Krieg würde, so Scowcroft, zu einem Zerbrechen der "Allianz gegen den Terror" führen und die US-freundlichen arabischen Regime destabilisieren. Zudem gebe es keinerlei Hinweise auf eine Verbindung zwischen der Regierung in Bagdad und der Terrororganisation Al-Qaida.
In vielen Punkten schloss Scowcroft damit argumentativ an einen Artikel an, den er unmittelbar nach Beginn des Krieges in Afghanistan für die Washington Post verfasst hatte. Bereits dort hatte er gegen einen US-amerikanischen Alleingang und für ein breites Kriegsbündnis unter Einbeziehung Russlands, Chinas und des Iran plädiert.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Die Washington Post und insbesondere der neokonservative Weekly Standard, beides Sprachrohre des Cheney/Rumsfeld-Flügels in der US-Regierung, schossen Breitseiten auf Scowcroft ab. Scowcroft verstehe einfach nicht die Notwendigkeit einer "starken moralischen Komponente" in der US-Außenpolitik, hieß es hier. Doch die Meinungsunterschiede in der Irak-Frage zwischen der stärker "realpolitischen" und der neokonservativen Fraktion der US-amerikanischen Rechten waren offensichtlich geworden.
In den folgenden Wochen konnte das Publikum eine publizistische Parade ehemaliger republikanischer US- Außenminister bewundern. Als erster meldete sich James Baker, Außenminister von 1989 bis 1992, Ende August in der New York Times. Nachdem Baker zunächst seine grundsätzliche Übereinstimmung mit dem Ziel der jetzigen Regierung, Saddam Hussein zu stürzen, erklärt hatte, fuhr er fort, die entscheidende Frage sei nicht, ob zu diesem Zweck ein Krieg geführt werden dürfe, sondern in welcher Form dies geschehen solle.
Das einzig realistische Vorgehen, so Baker, sei "die Anwendung von militärischer Gewalt, inkl. einer ausreichenden Zahl von Bodentruppen, um das Land zu besetzen ... die jetzige Regierung abzusetzen und eine Nachfolgeregierung zu installieren". Der Krieg werde kostspielig werden und eine längerfristige Besatzung des Irak erfordern. Sowohl der Krieg selbst als auch der im Anschluß daran zu erwartende Bürgerkrieg werde eine große Zahl von Opfern fordern.
Aus all diesen Gründen sei es wichtig, den Krieg im Rahmen einer internationalen Allianz und möglichst legitimiert durch einen Beschluss des UNO-Sicherheitsrats zu führen: "Obwohl die USA sicherlich Erfolg haben werden, sollten wir unser Bestes geben, um nicht allein vorzugehen. Die Kosten werden in allen Bereichen viel größer sein, auch die politischen Risiken, innenpolitisch wie international", lautete Bakers Empfehlung.
Auf Baker folgte einige Tage später Alexander Haig, Reagans erster Außenminister. Haig bestritt die Notwendigkeit eines UNO-Mandats, ein Krieg gegen den Irak sei bereits durch die UNO-Beschlüsse von 1991 legitimiert. Die Bush-Regierung solle der irakischen Führung einfach sagen: "Steht ihr im Weg, werdet ihr vernichtet werden. Die Alternative ist, eure Waffen zu vernichten. Punkt."
George P. Shultz, ebenfalls ein Reagan-Außenminister, versuchte es Anfang September ein wenig feinsinniger mit einer Demonstration klassischer Bildung: "Müssen wir Amerikaner der Hamlet der Nationen sein, indem wir endlos debattieren, wann und wie wir handeln werden?", fragte Shultz, um dann die Verbrechen Saddam Husseins aufzulisten. Heuchlerischerweise begann er dabei mit dem Krieg, den Saddam 1980 gegen den Iran eröffnete und den die Reagan-Regierung unterstützte und finanzierte. Auch für Shultz ist klar, der Krieg muss möglichst bald beginnen: "Alle weiteren Schritte werden Saddam nur mehr Zeit verschaffen…"
Als George W. Bush junior von seiner texanischen Ranch, auf der er zeitweise mit der Hardlinerfraktion um Rumsfeld, Cheney und Condoleeza Rice in Klausur gegangen war, zurückkehrte, verstummte die innerparteiliche Debatte schnell wieder. Bush schien zu versuchen, einen Mittelweg zwischen "multilateralen" und "unilateralen" Positionen zu gehen — in diesem Sinn können wohl sein Auftritt vor der UN- Vollversammlung, als auch der Versuch der US-Regierung, ein Mandat des UN-Sicherheitsrats zu erhalten, interpretiert werden. Umfrageergebnisse zeigen zudem, dass nur eine Minderheit der US-Bevölkerung einen Alleingang der USA unterstützt, ein UNO-Mandat lässt die Unterstützung auf etwa 50% steigen.
Am 20.September veröffentlichte die US-Regierung ein Dokument mit dem Titel "Die Nationale Sicherheitsstrategie der USA", das an vielen Stellen deutlich die Handschrift der republikanischen Rechten trägt. Dieses 33-seitige Papier stellt in elf Kapiteln, die alle mit einem mehr oder weniger pathetischen Bush-Zitat eingeleitet werden, die erste umfassende Darstellung der außenpolitischen Vorstellungen und Ziele der US- Regierung dar.
Das grundlegende Prinzip, so heißt es, sei dabei ein spezifisch "amerikanischer Internationalismus". Der Kalte Krieg sei vorüber, neue Gefahren drohten jetzt nicht von erobernden, sondern von zusammenbrechenden Staaten. Afghanistan sei befreit worden, doch noch gebe es "Tausende von ausgebildeten Terroristen" in Nord- und Südamerika, Europa, Afrika, dem Nahen Osten und überall verstreut in Asien. Die USA müssten diese Bedrohungen ihrer Interessen im In- und Ausland "identifizieren und zerstören". Dabei werde man sich, wenn möglich, um die Unterstützung der "internationalen Gemeinschaft" bemühen, allerdings: "Wir werden nicht zögern alleine zu handeln … unser Recht auf Selbstverteidigung auszuüben, indem wir präventiv gegen solche Terroristen vorgehen…"
Neben der Propagierung der Präventivschlagstrategie haben auch andere bevorzugte Themen der Hardliner Eingang in das Papier gefunden — so wenn die Zuständigkeit eines zukünftigen Internationalen Strafgerichtshofs für amerikanische Staatsbürger abgelehnt oder erklärt wird: "Unsere Streitkräfte werden stark genug sein, um potenzielle Gegner davon abzuhalten, einen Militäraufbau zu betreiben in der Hoffnung, die Macht der USA zu übertreffen oder mit ihr gleichzuziehen."
Sicherlich wäre es falsch, die Diskussionen im imperialistischen Führungspersonal der USA überzubewerten, ihnen liegen keine wirklich grundlegenden Differenzen zugrunde. "Realisten" vom Schlage eines Brent Scowcroft oder James Baker sorgen sich vor allen Dingen um die mittel- und längerfristigen Interessen des US-amerikanischen Kapitals, die sie nicht durch einen abenteuerlichen Irak-Krieg mit unvorhersehbaren Konsequenzen bedroht sehen wollen. Die Finanzierung des Krieges würden sie gerne mit anderen teilen, umso mehr als die Krise der amerikanischen Wirtschaft mit einem Haushaltsdefizit von 165 Milliarden Dollar und einem Leistungsbilanzdefizit von 112 Milliarden Dollar im ersten Quartal dieses Jahres immer deutlicher wird. Auch eine Gefährdung der amerikanischen Position im Nahen Osten wird befürchtet, denn es ist absolut unabsehbar, wie die Menschen in den arabischen Staaten auf einen erneuten Krieg gegen den Irak reagieren werden.
Der Friedensbewegung aber könnten die Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Gruppen der amerikanischen Regierungspartei, aber auch zwischen der US-Regierung und Teilen des Militärs, die in der letzten Zeit immer deutlicher geworden sind, möglicherweise eine Atempause verschaffen. Diese sollte genutzt werden zu Demonstrationen, zu einer intensiven Aufklärungsarbeit und zur Herstellung einer europäischen Vernetzung. Besonders wichtig wäre eine längerfristige Zusammenarbeit mit der (noch sehr schwachen) US-amerikanischen Friedensbewegung.

Harald Etzbach


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