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Wenn es jemanden gibt, der das globale Kapital herausfordern kann, dann sind es Lula und die Partei, die er führt, die
brasilianische Arbeiterpartei (PT Partido dos Trabalhadores). Lula hat ein Mandat der Bevölkerung für eine radikale Umverteilungspolitik,
für Landreform, aktive und umfassendere Formen der Demokratie sowie die Ausweitung öffentlicher Investitionen. Und dies ist nicht nur ein
formelles Wahlmandat: Hinter jeder dieser Forderungen stehen starke Massenbewegungen, die in der Lage sind, ihrem Parteiführer mittels direkter Aktion
den Rücken am Verhandlungstisch zu stärken die Landlosenbewegung; die Bürger der mittels Beteiligungshaushalten von der PT
regierten Städte; die linke und strategisch orientierte Gewerkschaftsunion CUT. Mehr noch, die PT pflegt keinerlei Illusionen in Alleinmärsche: sie
hegt und pflegt linke Bündnisse innerhalb Lateinamerikas und indem sie als Gastgeberin das Weltsozialforums eine Vision der auf sozialer Gerechtigkeit
basierenden Globalisierung vorwärts gebracht hat.
Und nun? Die Zeichen stehen nicht gut, selbst angenommen, dass Lula gewinnt, was noch nicht
ausgemacht ist. Die brasilianischen Eliten sind notorisch fähig, etwas zusammen zu schustern, um ihren Erzfeind zu stoppen. Lula hat bereits zugestimmt,
die internationalen Schulden zu bezahlen, trotz Parteiprogrammatik und trotz jener postdiktatorischen Verfassung, die keine Rückzahlung ohne
Schuldenstreichung vorsieht. (Ein großer Teil hatte sich unter der Diktatur angehäuft und unter der gegenwärtigen Regierung verdoppelt.)
Ebenso schickt er versöhnliche Zeichen an den IWF.
Das Problem besteht jedoch weniger in dem, was Lulas will. Es ist vielmehr eines der Strategie
in einem ökonomischen und politischen Krieg. Die Banken und die Finanzpresse versuchen bereits, ihn des finanziellen Chaos zu beschuldigen, obwohl
Brasilien, unabhängig von der Frage, wer gewinnen wird, faktisch gezwungen sein wird, seinen Zahlungsverpflichtungen entweder nicht nachzukommen
oder sie neu zu verhandeln. Lulas Berater scheinen eine Besänftigungsstrategie gegenüber dem internationalen Business zu fahren (ein Fass ohne
Boden), die seine eigenen Wähler abschreckt. Die Aktivisten der PT versuchen, Lula zu drängen, die Opposition zu spalten, indem sie breite
Unterstützung für eine ökonomische, soziale und moralisch unangreifbare Verhandlungsposition gegenüber dem IWF organisieren, die
es einer neuen, von der Arbeiterpartei gestellten Regierung ermöglichen würde, das Land aus der abgefeimten Spirale der
Schuldenrückzahlung zu befreien die Rückzahlung bedarf zusätzlicher Kredite, die wiederum zu mehr Schuldenrückzahlung
führen. Die Zahlungen zur Schuldentilgung verzehren bereits 90% der Exporteinkünfte des Landes.
Die gegenwärtige Richtung von Lulas Strategie wirft eine allgemeinere Frage auf, die
auch andere vergleichbare Fälle (bspw. Ken Livingstone in London) betrifft. Auch Lula weiß, dass Parlamentssitze und Regierungsverantwortung
keine ausreichende Macht sind, um Ziele sozialer Gerechtigkeit durchzusetzen. Deswegen ist das Problem, mit dem jene konfrontiert sind, die solche Posten
erobern oder erobern wollen, wie sie die von ihnen kontrollierten Staatsapparate in einer prinzipienfesten und innovativen Art benutzen können, und ihren
Wählerinnen und Wählern gleichzeitig die Wahrheit zu sagen über die Schranken, die ihnen gesetzt sind. Auf diesem Wege vermeiden sie die
Falle, "ihren Leuten" vorzugaukeln, dass sie die Dinge stellvertretend für sie regeln könnten. Auf diesem Wege sind sie in der Lage, eine
Koalition verschiedener Mächte wahlpolitisch, moralisch und sozialökonomisch zu bilden, um globale Konzerne, nationale
Regierungen und im Falle Brasiliens internationale Organisationen wie den IWF herauszufordern.
Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass die Multis in den letzten zwanzig Jahren nicht alle
Deregulierungskarten auszuspielen imstande waren. Sie brauchen noch immer Zugang zu nationalen Märkten und müssen noch immer die
Menschen überzeugen, von ihnen zu kaufen. Sie sind auf öffentliche Infrastruktur angewiesen oder müssen öffentliches Land kaufen.
Sie brauchen Arbeiter, umfassende Verträge öffentlicher Stellen und vieles mehr. Warum sonst benutzen Unternehmen in solchem Ausmaße
Korruption, Lobbyarbeit und die Anbiederung an nationale und lokale Politiker sowie Verwaltungsträger, wenn sie sie nicht auf ihrer Seite
benötigen würden?
Sobald Politiker ihre Hände an die Schalthebel bekommen, verlieren sie allzu oft ihren
strategischen Blick.
In Brasilien gibt es eine blaue Fliege, deren Stich den Realitätssinn ihrer Opfer
verändert. Es scheint so, als ob die Linke, sobald sie in die Nähe solcher Machtposten kommt, von dieser Fliege gestochen und entsprechend
hypnotisiert wird, auf dass sie ihre Posten nur verwalten, anstatt sie als Teil einer breiteren Veränderungsstrategie zu begreifen. Man kann sich gegen
solche Bisse impfen. Eine starke unabhängige und in Massenbewegungen verankerte Partei hat dem südbrasilianischen Gouverneur Olivio Dutra als
Gegenmittel gedient, um Fords Investitionsbedingungen zu modifizieren. Weiterreichende Bedürfnisse zu ermutigen und Kampagnen- und
Solidaritätsgruppen zu unterstützen sind andere Mittel. Hoffentlich vermögen es die Aktivisten der Arbeiterpartei und die
Landlosenbewegung, Lula gegen die lautstark um seine Ohren surrenden blauen Fliegen zu impfen.
Hilary Wainwright