SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 13

Schneller schlau mit der Weltbank

Neoliberale Bildungspolitik in Tansania

Am 9. und 10.Oktober führt die Weltbank gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg eine internationale Konferenz zu Bildungssystemen in Entwicklungsländern durch. In Stuttgart soll es um neue Politikkonzepte gehen. Denn in den vergangenen Jahren, so die Kritik an der Weltbank, habe sie sich wie ein skrupelloser Kredithai aus einem schlechten US-Krimi verhalten: rücksichtslos habe sie bei den ärmsten Ländern der Welt Schulden eingetrieben, auf Kosten der dortigen Grundversorgung, der Bildungs- und Gesundheitssysteme. Nun soll alles anders werden. In Stuttgart will die Weltbank beweisen, dass es ihr mit einem Politikwechsel ernst ist. Einige Pilotprojekte gibt es schon, z.B. in Tansania.
In den 80er Jahren vergab die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ihre ersten Kredite an Tansania. Dafür musste das von einer massiven Wirtschaftskrise gebeutelte Land in Ostafrika versprechen, den Haushalt zu konsolidieren. Auch das Bildungsbudget wurde zusammengestrichen. Um die dadurch entstandenen Löcher wieder zu stopfen, drängte die Weltbank darauf, Schulgebühren für die siebenjährige Grundschulerziehung einzuführen. Seit Anfang dieses Jahres, nach mehr als einem Jahrzehnt, hat die tansanische Regierung die Gebühren wieder abgeschafft. Mit Unterstützung der Weltbank, die sich heute die "Armutsbekämpfung" auf die Fahnen schreibt. Geholfen ist damit kaum jemandem, denn jetzt wird plötzlich offensichtlich, wie viele Eltern ihre Kinder wegen der Gebühren überhaupt nicht in die Schule geschickt haben.
Nach Schätzungen des Erziehungsministers Joseph Mungai sind allein im Jahr 2001 mehr als 2,2 Millionen schulpflichtige Kinder der Grundschule fern geblieben, die nun in die Schulklassen drängen. Bis zu 400 Schüler quetschen sich in einem Klassenraum. Das Ministerium für Erziehung erwägt, Schultische und Stühle wieder abzuschaffen, die erst in den letzten Jahren von den Eltern finanziert worden sind. So soll für die Kinder mehr Platz in den Schulräumen geschaffen werden. Wer Geld hat, schickt seine Kinder auf eine private Schule, und die überlasteten und unterbezahlten Lehrer der öffentlichen Lehreinrichtungen greifen immer häufiger zur Prügelstrafe.
Viele konnten ihre Kinder nur unter großen Entbehrungen auf die Grundschule schicken. 30000 Tansanische Schilling kostet der Schulbesuch pro Jahr, das sind etwas mehr als 30 Euro. In Tansania ist das der monatliche Durchschnittsverdienst, obwohl die Summe unter dem offiziellen Mindestlohn liegt.
Auch nach der formalen Aufhebung der Schulgebühren müssen sich die Eltern nach wie vor an den Kosten für den Schulunterricht beteiligen. Offiziell sind das Verpflegung, Transport und Schuluniformen. In der Praxis müssen sie sich je nach regionalen Gegebenheiten auch noch am Ausbau von Schulen oder der Anschaffung von Mobiliar beteiligen.
Dennoch, ohne Gebühren erscheint vielen Eltern der Grundschulbesuch ihrer Kinder wieder erschwinglich. Die Probleme sind damit längst nicht aus der Welt. Eigentlich hatte die Regierung geplant, zeitgleich mit der Streichung der Gebühren 14000 neue Klassenräume zu errichten und 9000 Lehrer neu einzustellen. Doch das ist bisher nicht passiert, denn es gibt keine neue Finanzierung für die ausgefallenen Gelder. Die Lehrer, die im Rahmen des vom Präsidenten abgesegneten UPE-Programms (Universal Primary Education) verpflichtet sind, alle vorstelligen Erstklässler aufzunehmen, können die Probleme nicht alleine lösen. Zum Teil werden sie angehalten, doppelte Schichten zu arbeiten, um dem Ansturm gerecht zu werden. Schuldirektoren streichen die Unterrichtsstunden für die fortgeschrittenen Schüler zusammen, damit die ganz Kleinen sich auf mehrere Räume verteilen können.
Der Generalsekretär der Lehrergewerkschaft ist der Ansicht, dass in überfüllten Klassen, in denen hundert Schüler keine Seltenheit sind, einfach nicht angemessen unterrichtet werden kann. Bei den Lehrern brennt deshalb noch häufiger als sonst die Sicherung durch. Die Prügelstrafe, in Tansania gesetzlich zugelassen, darf in bestimmten Situationen mit der Genehmigung des Schuldirektors angewendet werden. Aber selbst Erziehungsminister Josef Mungai gesteht ein, dass es häufigen Missbrauch gibt. Nach Angaben der UNICEF verlässt knapp ein Drittel der Kinder die Grundschule noch vor dem 7. Schuljahr.
Einer der Hauptgründe, die die UNICEF aufzählt, ist die Gewalt der Lehrer. Dazu gehören die Prügelstrafe, die massive Einschüchterung der Kinder und sexueller Missbrauch. Untersuchungen der tansanischen Kinderrechtsorganisation Kuleana Ende der 90er Jahre ergaben, dass viele Lehrer die Prügelstrafe benutzten, weil sie "die schnellste und einfachste Methode der Disziplinierung darstellt". Allerdings sei auch den meisten Lehrern bewusst, dass dies nicht die beste und effektivste Methode ist.
Auch wenn großzügigere finanzielle Mittel für den Bildungssektor nicht allein ein Garant dafür sind, dass die Prügelstrafe nicht mehr angewendet wird, sind sie doch eine notwendige Voraussetzung. Außenminister Jakaya Kikwete will einen anderen Weg gehen. Er setzt auf das Allheilmittel Privatisierung. "Der private Sektor sollte in Grundschulen, weiterführende Schulen und Universitäten investieren. Die Vorstellung, dass Investitionen in den Bildungssektor immer noch Aufgabe der Regierung wären, ist überholt", erklärte er am 15.Januar auf dem Ostafrikanischen Wirtschaftsforum in Daressalam.
Mit seinem Vorstoß mischt sich Kikwete in das Ressort seines Kollegen Joseph Mungai ein. Der Erziehungsminister diskutiert schon länger mit der Lehrergewerkschaft CWT und zahlreichen NGOs über Möglichkeiten und Grenzen privatwirtschaftlicher Unternehmen im Bildungssektor. Rakesh Rajan von der NGO Haki Elimu, d.h. "Recht auf Erziehung", betrachtet das Engagement des Privatsektors mit kritischen Augen. "Die politischen Entscheidungsträger schicken ihre Kinder selbstverständlich auf Privatschulen, auch schon im Grundschulalter", erklärt Rajan. Und auch die Eltern der schmalen Mittelschicht schulen ihre Kinder lieber in private Lehrinstitute ein. "Wer könnte es ihnen verdenken, dass sie eine gute Erziehung für ihre Kinder wollen", fragt der Experte. Doch er registriert auch eine "gefährliche Entwicklung": das Engagement der Entscheidungsträger nähme natürlich in dem Maße ab, wie sie selbst bzw. ihre Kinder nicht mehr auf den Besuch öffentlicher Schulen angewiesen seien.
Während in den größeren Städten Privatschulen, die sich oft in kirchlicher Trägerschaft befinden, wenigstens eine bessere Unterrichtsqualität liefern, bietet der Unterricht von Privatschulen im ländlichen Raum in der Regel nur ein sehr niedriges Niveau. "Einige wollen einfach nur Geschäfte machen", beschwert sich Sulwa. "Wer eine Schule eröffnet, darf Uniformen, Bücher und Schreibhefte verkaufen. Das ist ein lukratives Geschäft", erklärt der Generalsekretär der Lehrergewerkschaft das betriebswirtschaftliche Interesse an den Privatschulen. Lehrmittel und Uniformen verkaufen die privaten Betreiber, von denen einige aus dem Ausland kommen, für einen wesentlich höheren als den marktüblichen Preis.
Doch das machen auch viele Lehrer an öffentlichen Schulen, um sich ein Zubrot zu verdienen. Das Lehrergehalt ist niedrig. Berufseinsteiger verdienen mit 60000 Schilling zwar doppelt so viel wie der Durchschnitt. Aber auch das reicht für viele nicht zum Leben. Bis 1994 betrug der offizielle Mindestlohn in Tansania noch 84000 Schilling. Heute hat die Regierung ihn auf offiziell 46000 abgesenkt. "Die Regierung sagt, die wirtschaftlichen Verhältnisse würden nicht mehr hergeben", so Sulwa, der die mit Abstand größte Gewerkschaft im Lande vertritt. Nominal liegen nun auch die Berufsanfänger unter den Lehrern wieder über dem Mindestlohn.
Der tansanische Haushalt hat bisher mehr Geld für Schuldendienst und Militär verwendet, als für Erziehung und Bildung. Auf der Begleichung des Schuldendienstes insistieren Weltbank und IWF, der Militärhaushalt wird verschont, weil, so die formale Begründung, die Ausgaben für das Militär der staatlichen Souveränität unterlägen.
In der "Vision 2025", einem 1999 verfassten Zukunftsszenario aus der Planungskommission des Präsidenten Benjamin Mkapa, wird der Bildungssektor als derjenige mit der größten Bedeutung für die Zukunft Tansanias bezeichnet. Deshalb ist das Budget in diesem Jahr erstmals auf 25% des Gesamthaushalts angestiegen und soll nächstes Jahr noch vor dem Schuldendienst an die erste Stelle im Gesamthaushalt rücken. Ob es sich dabei um eine "nachhaltige Entwicklung" handelt, ist eine andere Frage. Denn ein nicht unerheblicher Teil des Bildungsbudgets, 50 Millionen Dollar von insgesamt ca. 300 Millionen Dollar, wird mit einem neuen Kredit der Weltbank finanziert, der über drei Jahre läuft. Und der muss dann wieder zurückbezahlt werden.

Gerhard Klas


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