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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 15

Österreich

Die Wende ist am Ende

Schwarz-Blau ist am Ende. Der "Putsch gegen Riess-Passer" war erfolgreich. Selbst der Endlosschweiger Schüssel musste handeln und entschied sich für Neuwahlen.
Soweit sich der FPÖ-Haufen überblicken lässt, ist diese Entwicklung nicht gewollt — zumindest nicht jetzt. Die FPÖ hat seit ihrem Regierungseintritt bei allen Wahlen verloren. Haider wollte gegenüber der ÖVP demonstrieren, wer der wahre Herr in der FPÖ ist. Mit seinen nun schon fast täglichen Zick-Zacks machte er sich zum Wurschtl. Schließlich drehten seine Hardliner vollends durch und veranstalteten in Knittelfeld einen De-facto-Gegenparteitag. Auf offener Bühne wurde ein "Kompromisspapier" mit der neoliberalen FPÖ-Regierungsriege unter jolendem Gebrüll zerrissen. Die 400 Delegierten machten gar den notorisch Ewiggestrigen Volksanwalt Stadler ihrem Sachwalter. Das Ende der FPÖ-Regierungsbeteiligung war damit besiegelt.
Seither befindet sich die Partei im freien Fall. Bei den Meinungsforschern liegt die FPÖ aktuell bei 14%. Eine Halbierung gegenüber den Parlamentswahlen 1999! Es ist nicht anzunehmen, dass der neue Parteiobmann Reichhold — ein mutiertes Mitglied aus Haiders "Buberlpartie" — das Steuer herumreissen kann.
In der ÖVP gibt es nicht wenige — allen voran der "Wendekanzler" Schüssel — die trotz des Debakels eine Fortsetzung der Koalition mit einer "neuen" FPÖ anstreben. In der Sozialdemokratie wird gerungen, ob es Rot-Schwarz oder Rot-Grün werden soll. SP-Vorsitzender Gusenbauer hat dafür plädiert keinen "Revanchismus" aufkommen zu lassen, also nötigenfalls auch die Kröte Schüssel als Vizekanzler zu schlucken. Und ÖGB-Chef Verzetnitsch war sich nicht zu schade als Staffage zu dienen, als die Regierung im allerletzten Moment ein windiges "Beschäftigungs- und Konjunkturbelebungsprogramm" aus dem Hut zauberte…
Dass der Großteil der SP-Führung in Partei und Gewerkschaft — vor allem in der Gewerkschaft der Privatangestellten gibt es andere Stimmen — meint, dass nur am Wahltag Zahltag ist, verwundert nicht weiter. Aber, dass auch viele Bewegungsleute, (radikale) Linke bislang in einer passiven Hängemattenposition verharren, ist peinlich. Man freut sich, dass Schwarz-Blau abdanken muss — aber damit hat sich‘s auch schon. Diesem Dahindämmern gilt es entgegenzuwirken!
Selbstredend geht es nicht um die Präsentierung von fix und fertigen "Konzepten". Relativ klar ist jedoch was es zu verhindern gilt:
* Ein Revival von Schwarz-Blau — in welcher personellen Konstellation auch immer.
* Eine große Koalition plus den Rucksack Sozialpartnerschaft, die — sozial abgefedert — in neoliberal macht.
Über das Wie wäre eine Diskussion auf breiter Grundlage nötig. Dabei geht es u.a. um Folgendes:
Zuerst um eine umfassende Bilanz der Wende. Sie hat eine Vielzahl von Angriffen und Verschlechterungen gebracht. Für Ambulanzbesuch wurde eine Gebühr eingeführt. Die Unfallrenten (!) wurden besteuert. Institutionen, die Zivildiener beschäftigen, müssen eine beträchtliche Summe hinlegen. Studiengebühren wurden weider eingeführt (350 Euro pro Semester), eine der wesentlichen Reformen der Kreisky-Ära damit gekappt. Der Ausverkauf öffentlichen Eigentums beschleunigte sich. Schließlich wurde die Aufrüstung vorangetrieben — neue Abfangjäger sollen kommen, um Österreich auch militärisch an die "Festung Europa" heran zu führen bzw. für die NATO attraktiv zu machen.
All das ist schlimm genug. Aber es gilt die Proportionen zu wahren. Verglichen mit anderen Ländern handelt es sich eher um ein "Wenderl". Die Ambulanzgebühren wurden in vielen Fällen aus Protest nicht bezahlt. Der Abfangjägerankauf ist bis heute nicht definitiv. Und schon gar nicht wurden die Gewerkschaften in ihren "Grundfesten" erschüttert. Der ÖGB hat nur geringfügig verloren und hat nach wie vor über 1,5 Millionen Mitglieder. Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis hat sich geändert, aber nicht grundlegend.
Schwarz-Blau wurde nicht durch (Massen-)Bewegungen gestürzt. Die Koalition zerbrach an ihren inneren Widersprüchen. Für sozialdemokratische Rechte in Partei und Gewerkschaft ist das ein weiterer Grund zu triumphieren. Sie fühlen sich in ihrer "Taktik", zwei Jahre lang fast nichts gegen das Wendekabinett gemacht und es nur "ausgesessen" zu haben bestätigt. Jetzt sollen die guten alten Zeiten der traditionellen Klassenzusammenarbeit wieder kommen. Der gerade zu Ende gegangene Gewerkschaftstag der Wiener Gemeindebediensteten war typisch dafür. Er verkam zur reinen Wahlparty. Die Schwarzen und die Blauen sollen mit dem Stimmzettel zurechtgestutzt werden, ansonsten soll kein frischer, klassenkämpferischer Wind im Land aufkommen.
Wenn man nicht bloß Phrasen dreschen, sondern Schwarz-Blau wirklich in die Wüste schicken will, also "revolutionäre Realpolitik" (Lenin) betreibt, bleibt nur Rot-Grün. Aber nicht als Blankoscheck verstanden — siehe das abschreckende Beispiel der BRD, wo sich ein Joschka Fischer die längste Zeit als Oberkriegstreiber aufführte und ein Jürgen Trittin den gescheiterten Umweltgipfel in Johannesburg als "Erfolg" verkauft.
Damit das nicht ein frommer Wunsch bleibt, wären jetzt "Korrektive" anzudenken und anzupeilen, damit eine etwaige rot-grüne Regierung mit uns nicht Schlitten fährt: "Widerstandstandszentren", von denen aus mobilisiert werden kann.
Es ist bitter nötig, über den nationalen Tellerrand hinaus zu blicken. In Österreich hat der Spuk mit der Beteiligung rechtsextremer/rechtspopulistischer Parteien an der Regierung begonnen — sieht man von dem kurzfristigen Berlusconi-Fini-Bossi-Zwischenspiel in den 90er Jahren ab. Hier soll der Spuk auch sein Ende nehmen. Schließlich geht es darum, dem Oberpopulisten Haider einen Karrieresprung auf kontinentaler Ebene endgültig zu verbauen. Seine Chancen, "leader of the European gang", also "Führer" der Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in der Festung Europa zu werden, sind in seinem derzeitigen ramponierten Zustand nicht gerade rosig. Nutzen wir die jetzige Chance, versalzen wir ihm kräftig die Suppe!

Hermann Dworczak (Wien)


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