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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 17

Wohin geht die DKP?

Zum Interview mit Heinz Stehr in SoZ 8/2002

Allmählich mehren sich die Anzeichen, dass für die DKP die Eiszeit zu Ende geht. Der Aufbruch einer neuen Generation der Linken wird zur Herausforderung, an der alle überkommenen Organisationen sich bewähren müssen. Dass die DKP diese Herausforderung annimmt, machte das SoZ-Interview (Heft 8/2002) mit dem Parteivorsitzenden Heinz Stehr deutlich. Wird sie sie meistern können?
Für über den Tellerrand der eigenen Partei hinausblickende DKP-Mitglieder wie mich war es eine Sensation: Heinz Stehr, der im eigenen Zentralorgan UZ meist eher vorsichtig laviert, stellt sich kritischen Fragen und muss Flagge zeigen. Er hat einiges gesagt, woran die DKP sich wird messen lassen müssen. Wenn es zutrifft, dass Selbsterkenntnis der erste Weg zur Besserung ist, dann wäre allerdings eine illusionslose Bestandsaufnahme des Zustands der Partei die erste Voraussetzung, ihr wieder auf die Sprünge zu helfen.
Die von Stehr behauptete "geistig-politische Präsenz" erweist sich bei nüchterner Betrachtung als Fiktion. Das Theorieorgan Marxistische Blätter ist, obwohl offener und pluralistischer geworden, von einem für ein breiteres Spektrum interessanten Forum Lichtjahre entfernt. Innovatives kommt eher von Autoren außerhalb der Partei, während parteieigene Vordenker mit Weisheiten aufwarten wie: "Unus homo nullus homo — ein Mensch ist kein Mensch, sagten die Römer. Kommunistinnen und Kommunisten werden zu solchen in der Partei, darum ist die Organisationsfrage nicht nur eine praktisch-soziologische, sondern eine philosophische Wesensfrage" (Hans Heinz Holz, Kommunisten heute. Die Partei und ihre Weltanschauung, Neue Impulse Verlag). Wer als intellektuelles Paradepferd einen Theoretiker präsentiert, der mit lateinischen Zitaten ein Recycling stalinistischer Metaphysik untermauert, darf sich über ein schlechtes Image nicht wundern.
Die praktisch-politische Präsenz der DKP beschränkt sich weitgehend auf das Mitschwimmen in Minimalkonsensbündnissen. Hugo Braun warb vor einigen Monaten in der UZ für Attac mit dem Argument, die Kernforderungen des Netzwerks seien doch im Grunde identisch mit dem alten DKP-Programm der "antimonopolistischen Demokratie". Dass ausgerechnet das jetzt wieder ausgegraben wird, lässt erkennen, dass auch diejenigen Genossinnen und Genossen, die ernsthaft eine Öffnung und Erneuerung wollen, kaum verstehen, dass die eigentlichen emanzipativen Chancen der Bewegungen von heute in einer ganz anderen Perspektive jenseits neoreformistischer Apparatpolitik liegen.
Der einzige eigenständige Akzent, den die DKP in den letzten Jahren im Kontext der Friedensbewegung gesetzt hat, bestätigte alle Klischeevorstellungen über die Partei: Kritiklos wurde Milosevi´c beweihräuchert. Dabei mutet es wie ein Witz an, dass Leute, auf deren politischer Weltkarte vor 1989 Jugoslawien und China nicht existierten, heute den Abfallprodukten der einst "abtrünnigen" Varianten des Staatssozialismus huldigen. Der wachsende Widerstand chinesischer Arbeiterinnen und Arbeiter gegen Privatisierungen und Entlassungen, die Versuche des Regimes, China dem westlichen Kapital als noch billigere Alternative zu anderen asiatischen Billiglohnländern anzudienen und in der imperialistischen Konkurrenz um afrikanische Ölquellen mitzumischen, sind für die UZ ebensowenig ein Thema wie Milosevi´c‘ Paktieren mit ultrareaktionären Nationalisten.
Es gibt heute in der Linken einen Grundkonsens, der Staats-, Herrschafts- und Institutionenkritik einschließt. Die DKP aber hat dazu immer noch ein ungeklärtes Verhältnis. Das relativiert ihre Lernprozesse in puncto Sozialismus und Demokratie.

Aus Alt mach Neu?

Die 1998 vom 14.Parteitag als Diskussionsgrundlage verabschiedeten "Sozialismusvorstellungen" lassen zwar das Bemühen um einen Sozialismus erkennen, der die Scheußlichkeiten des 1989/90 abgetretenen vermeidet. Dennoch sind diese Sozialismusvorstellungen in gewisser Weise eine Fortschreibung der von Stalin bis Ulbricht entwickelten Konzeption des "Sozialismus" als eigenständige Gesellschafts- und Staatsform, in der die Perspektive des Übergangs zur kommunistischen "freien Assoziation" ohne Markt, Warenproduktion und Staat ad calendas graecas [bis zum St.Nimmerleinstag] vertagt wird.
Die von Stalin erfundene Gleichsetzung einer Übergangsgesellschaft mit verwirklichtem Sozialismus wird von der DKP nun in einer Weise "neu" konzipiert, die nichts anderes darstellt als einen um dreißig Jahre verspäteten Remix aus Prager Frühling, Eurokommunismus und titoistischem Selbstverwaltungsmodell. Der von ehemaligen SED-Kadern dominierte orthodoxe Parteiflügel hat leichtes Spiel, das neue "Modell" als "revisionistisch" anzugreifen.
Hier liegt das Problem der innerparteilichen Auseinandersetzungen: Die Mehrheit um Heinz Stehr will keine neostalinistische Linie. Aber sie tut sich schwer damit, der doktrinären Minderheit eine qualifizierte marxistische Alternative entgegenzusetzen. Deshalb meidet die Mehrheit eine offensive Auseinandersetzung mit den "harten" Traditionalisten, weil sie dabei ins offene Messer laufen und die eigenen Legitimationsgrundlagen untergraben würde.
Der Schwerpunkt der Diskussion über ein neues Parteiprogramm liegt bislang auf dem Streit um den Charakter des heutigen Imperialismus: Ist weiterhin von einem nationalstaatlich verfassten Imperialismus auszugehen, der die Gefahr eines Krieges zwischen den imperialistischen Zentren in sich birgt, oder dominiert die Tendenz transnationaler Kapitalverflechtungen, die dazu führt, dass Kriege von den imperialistischen Mächten gemeinsam gegen die Peripherie geführt werden? Diesem Streit fehlen die strategischen Konturen, mit denen dieselbe Auseinandersetzung etwa in der italienischen Rifondazione Comunista verbunden ist. Deren Mehrheit geht davon aus, dass effektiver Widerstand gegen das transnationale Kapital nur auf der Basis eines neuen Internationalismus möglich ist, während die sich "leninistisch" nennende Minderheit gegen den Durchmarsch der multinationalen Konzerne auf weltweite Allianzen mit allen Arten nationalistischer und antiamerikanischer Bewegungen setzt, wie es auch die russische KPRF oder die griechische KKE tun.
In der DKP erhitzte Ende 1998 eine Debatte um den damals in der KPRF offen zutage getretenen Antisemitismus die Gemüter. Aber eine an die Wurzeln gehende Kritik der "patriotischen" Politik der russischen "Bruderpartei" unterblieb, und wer es wagt, auf die Ambivalenzen der leninschen Imperialismustheorie hinzuweisen, die durch die Ausklammerung der marxschen Wertkritik und die Akzentuierung des Finanzkapitals nolens volens den Humus für jenen folkloristischen "Antiimperialismus" mitbereitet hat, dem heute auch die NPD huldigt, wird garantiert heftig angekläfft.

Zwischen den Stühlen

Die DKP ist hin- und hergerissen zwischen dem von Heinz Stehr betonten Willen, wieder zu einer interventionsfähigen politischen Kraft zu werden, und dem Wunsch, die alte ideologische "Identität" zu bewahren. Für die Minderheit hat Letzteres die absolute Priorität, auch um den Preis der Isolation als sektenhafte Glaubensgemeinschaft. Die Mehrheit will im Prinzip beides und erkennt nicht die Unvereinbarkeit der beiden Desiderate. Von der Minderheit wird sie des Opportunismus bezichtigt, aber die von den Höhlenvätern des "Marxismus-Leninismus" bereits als "Verrat" verdammten kosmetischen Korrekturen am alten Weltbild genügen nicht, um die Partei zu einer für heutige linke Bewegungen ernst zu nehmenden Instanz zu machen. Die Voraussetzung dafür wäre, die Gründe für das Scheitern der alten Strategie der Partei sowie die Veränderungen in der Linken nach 1989 zu verstehen.
In den 70er Jahren ging die DKP von der Annahme aus, der Sozialismus sei weltweit auf dem Vormarsch. Es gelte, die sich zunächst systemimmanent artikulierenden Tagesforderungen der werktätigen Massen aufzugreifen und als Alternative zu den Krisenerscheinungen des Kapitalismus den "realen Sozialismus" als eine Gesellschaftsordnung zu propagieren, in der soziale Grundrechte auf Arbeit, Wohnung, Bildung usw. verwirklicht sind. Man glaubte, dass unter den Vorzeichen der Systemauseinandersetzung ein massiver Reformdruck schließlich in eine revolutionäre Qualität umschlagen werde.
Das Ende des "realen Sozialismus" läutete aber zugleich das Ende der alten Sozialdemokratie ein. Damit sind die Voraussetzungen des Versuchs, den Sozialismus als Antwort auf Forderungen der "Massen" im Kontext von Reformbewegungen anzubieten, entfallen. Nichtsdestotrotz hält die DKP an ihren alten Denkmodellen fest, mit denen sie heute eine Art imaginären Reformismus betreibt. Es werden Umverteilungsforderungen erhoben, zu finanzieren durch Streichung von Rüstungsausgaben, höhere Unternehmensteuern usw., ohne dass irgendeine gesellschaftliche Kraft existiert, die willens und fähig wäre, so etwas durchzusetzen.
Während die DKP vergeblich versucht, mit unglaubwürdigen, rein hypothetischen Programmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen ("Arbeit statt Profite") das Massenbewusstsein anzusprechen (das in seinem Konformismus immerhin weiß, dass erfolgreicher Verkauf von Arbeitskraft von der Existenz einer Gewinne erzielenden Nachfrage abhängt), wird sie von den fortgeschrittenen Teilen sozialer Bewegungen, die mehr wollen als Umverteilungen und anderes als mehr Lohnarbeit, abgehängt.
Die tatsächlichen "Avantgarden", die in Europa heute in neuen radikal- linksalternativen Gewerkschaftsbewegungen (SUD in Frankreich, Cobas in Italien) Gestalt annehmen, fordern nicht bloß "Arbeit", sondern gesellschaftlich sinnvolle Arbeit, ein anderes Verhältnis von Arbeit und Leben; sie haben den fordistischen Produktivitätspakt von Lohnarbeit und Kapital ebenso wie die sozialdemokratischen und stalinistischen Politikformen der Repräsentation durch Hierarchien und Apparate aufgekündigt und setzen der "ganzheitlichen" Strategie des Kapitals, das über "Flexibilisierung", "Teamarbeit" und "corporate identity" nicht mehr bloß manuelle Arbeitskraft und fachliche Qualifikationen, sondern den ganzen Menschen zum Objekt der Ausbeutung macht, einen ebenso "ganzheitlichen", den gesellschaftlichen Nutzen der Arbeit zum Thema machenden Widerstand entgegen.
Es wird fragwürdig, den Sozialismus als Verwirklichung eines "Rechts auf Arbeit" (das schon Marx eine "unbeholfene Formel" nannte) zu konzipieren, wenn gesellschaftliche Bewegungen entstehen, die nicht die staatliche Selbstverwirklichung der Lohnarbeit, sondern die Emanzipation von ihr anstreben. Der Streit in der französischen Arbeitslosenbewegung über "Recht auf Arbeit" und "garantiertes Einkommen" verweist darauf.
Die DKP jedoch klebt an dem von aller Erfahrung Lügen gestraften Konzept, immer mehr zur Fiktion werdende "Kernschichten der Arbeiterklasse" auf Umwegen über reformistische Appelle erreichen zu wollen. Den realen Prozess der Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse und die in ihm steckenden Potenziale eines neuen Antikapitalismus hat die DKP bislang kaum verstanden.

Linke "Identitäten" im Wandel

In den 70er Jahren war die Gliederung der Linken durch Organisations-"Identitäten" bestimmt. Es gab die DKP, es gab eine SPD/Juso- Linke mit verschiedenen Fraktionen, es gab diverse maoistische und trotzkistische Gruppen. Alle bekämpften sich gegenseitig, und alle betrachteten ihre Mitglieder als "Parteisoldaten", die den Standpunkt der Organisation zu vertreten hatten. Die Segmente der heutigen Linken sind hingegen nicht durch Organisationspositionen umrissen, sondern durch die Praxisfelder, in denen verschiedene Diskurse verankert sind: Es gibt Betriebs- und Gewerkschaftslinke, Antifa- und antirassistische Linke, Kultur- und Poplinke.
Die DKP redet in geradezu ritueller Hartnäckigkeit sich selbst ein, der Diskurs der "wissenschaftlichen Weltanschauung" sei ihr Gütesiegel, ohne irgendeine konkrete Vermitteltheit des "Weltanschauungs"- Diskurses mit irgendeiner konkreten Praxis ausweisen zu können. Eine gemeinsame linke Perspektive eines neuen sozialistischen Gesellschaftsprojekts wird nur aus einem Zusammenwachsen der verschiedenen Felder linker Praxis hervorgehen können, nicht aus privilegierten Geltungsansprüchen einer "Weltanschauung", die im Kern bloß aus geschichtsphilosophischen Glaubenssätzen besteht.
Trotz aller Orientierungsprobleme ist die DKP immer noch die größte, am besten ausgestattete antikapitalistische Organisation in Deutschland, die zu erhalten und zu stärken sich schon deshalb lohnt, weil keine Alternative zu ihr in Sichtweite ist. In ihr existiert ein inzwischen auch wieder durch Neueintritte junger Genossinnen und Genossen wachsendes Potenzial, das einer künftigen modernen revolutionären Kraft zugute kommen könnte. Die Diskrepanzen zwischen den offenen und tabulosen Diskussionen, die mancherorts an der Basis geführt werden, und dem hermetischen Parteikauderwelsch, mit dem die Führungsgremien die tiefen Risse in der Partei zu kitten versuchen, sind erheblich. Um ein neues Profil zu finden, brauchen wir die kritische Diskussion mit anderen Linken, etwa den Lesern und Autoren der SoZ.
Wo linke Aktion stattfindet, kommt es heute zu einer Durchmischung verschiedener Milieus und Kulturen, die auch vor der DKP nicht Halt macht. Dieser Prozess erzwingt in allen nicht ganz belanglosen Organisationen eine Entdogmatisierung. (Die tiefe Krise des noch vor wenigen Jahren in der Mobilisierung von Jugendlichen erfolgreichen Linksruck kann hier als Menetekel gelten.) In künftigen Bewegungen werden sich die Konturen einer Um- und Neugruppierung der antikapitalistischen Kräfte herausbilden. Dann wird sich die Frage einer "rifondazione comunista" stellen. Bis dahin ist es sinnvoll, in der DKP darauf hinzuarbeiten, dass aus ihren Reihen Substanzielles in ein solches Projekt einfließen kann.

Henning Böke


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