SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 20

Bücherkiste

Neues über SED und DDR /1

Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch, hrsg. von G.-R. Stephan u.a., Berlin: Karl Dietz Verlag 2002, 1488 Seiten, 64 Euro.

Das Buch ist nicht nur wegen seines Umfangs gewichtig. 38 Autoren, vorwiegend solche aus der DDR und meist Historiker, haben wesentliche Fakten und Vorgänge aus der Geschichte einst mit der SED verbundener Parteien und Organisationen, ihrer Politik und Struktur zutage gefördert. Hochgradig auf Archivmaterial basierend, vermitteln sie einen Einblick in wichtige Abschnitte der DDR-Entwicklung, wie es ihn bisher nicht gegeben hat. Der Sammelband ergänzt das 1997 erschienene Dietz-Handbuch Die SED (Rezension in SoZ 5/98).
Zehn Verfasser beschreiben, wie das Parteiensystem der Sowjetischen Besatzungszone und nachmaligen DDR entstand und bis 1989/90 fortgeführt wurde. Hauptphasen waren die antifaschistisch-demokratische Etappe, die stalinistische Gleichschaltung mit Liquidation bürgerlicher und anderer oppositioneller Kräfte auf administrativem Weg und Bildung eines vom SED-Apparat dirigierten Pseudoparlamentarismus, tatsächlich einer bürokratischen Diktatur, die mit Abstrichen bis zum bitteren Ende erhalten blieb. Durch Ungerechtigkeiten und den fortdauernden Widerspruch zwischen Schein und Sein, Fassade und Wirklichkeit stieß das System die Massen mit jeweils unterschiedlicher Intensität von sich ab. Es diskriminierte den Sozialismus und ließ soziale Errungenschaften gering erscheinen, die am heute gültigen Standard gemessen enorm waren.
Im zweiten Buchteil vervollständigen fünf Autoren das Bild vom System, indem sie über die Blockparteien CDU, LDPD, Demokratische Bauernpartei Deutschlands, NDPD u.a. berichten.
Teil 3 enthält Arbeiten von sieben Verfassern über die in der Volkskammer vertretenen Massenorganisationen FDGB, FDJ, Demokratischer Frauenbund Deutschlands, Kulturbund, Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe und VVN. Gleich den Parteien waren sie der SED-Führung untertänig, vertraten aber auch Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen.
Der von neun Autoren geschriebene Teil 4 gilt mitgliederstarken gesellschaftlichen Vereinigungen, die keine Parlamentsfraktion hatten — der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, dem Deutschen Turn- und Sportbund, und manchen anderen. Die Artikel behandeln wichtige, mit dem Organisationsleben zusammenhängende Themen wie das getrübte Verhältnis Ostdeutscher zu "den Russen" und das Geschick der Vereinigungen nach "Wende" und Anschluss.
Drei Autoren geben im fünften Teil einen Überblick über 22 weitere DDR- Organisationen von der Liga für Völkerfreundschaft über den Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter bis zu wissenschaftlichen Gesellschaften. Der Verfasser von Teil 6 würdigt die ab Mitte der 80er Jahre bzw. 1990 entstandenen kritisch-oppositionellen, z.T. auch konservativen Organisationen. Die extreme Rechte bleibt ausgespart. Inhalt von Teil 7 sind die Leitungsgremien der Parteien und Organisationen sowie 666 Kurzbiografien der Leitungskader. Der achte Teil schließlich enthält 50 Dokumente, über deren Auswahlprinzipien sich streiten ließe.
Trotz manch notwendiger Ergänzungen und Korrekturen kann an dem neuen Buch aber niemand vorbeigehen, der sich ernsthaft mit DDR-Geschichte befasst.
Manfred Behrend

Neues über SED und DDR / 2

Thomas Klein, Für die Einheit und Reinheit der Partei. Die innerparteilichen Kontrollorgane der SED in der Ära Ulbricht, Weimar-Wien: Böhlau 2002, 501 Seiten, geb., 54 Euro.

Parteikontrollkommissionen entstanden Ende der 40er Jahre in "Volksdemokratien" und der DDR. Sie waren kein Produkt der einheimischen Arbeiterbewegung, sondern wurden nach KPdSU-Vorbild von der jeweiligen Parteispitze als neues Instrument installiert, um die Umwandlung zur stalinistischen Partei durchsetzen, die Herrschaft der Politbürokratie über Mitgliedschaft und Volk sowie die von oben verordnete nominalsozialistische Diktatur errichten und ausbauen zu helfen.
Die seit Februar 1949 agierende Zentrale Parteikontrollkommission der SED (ZPKK) unter Hermann Matern mit den Landes- (später Bezirks-), Kreis- und Stadtkommissionen hatte keinen Vorläufer in den Schiedsgerichten von SPD und KPD, wohl aber, wie der Verfasser belegt, im parteikommunistischen Abwehr- und Nachrichtendienst, der 1945 unter veränderten Namen als Teil der Personalpolitischen Abteilung beim KPD-Vorstand wiederhergestellt worden war. Teils im Zusammenwirken mit der sowjetischen Besatzungsmacht und den K5-Abteilungen der Kriminalpolizei als Vorgängern der Stasi befasste sich die Parteiabwehr damit, ehemalige Mitglieder von KPO und SAP, "trotzkistischen" und anderen Gruppen zu observieren und gleich unliebsam gewordenen frühere Sozialdemokraten zu bekämpfen, wobei sie mit letzteren leichter fertig wurde.
Klein schildert das Wirken der Parteikontrollkommissionen in der eigentlichen Stalinisierungsphase bis 1953 und der durchweg stalinistisch, d.h. ohne legale Möglichkeit zur Opposition strukturierten SED bis 1956, in der Phase poststalinistischer Rekonstruktion bis 1960, der Zeit von Ulbrichts Reformversuchen bis 1965 und der Phase bis zu Honeckers Machtantritt. Die Methoden innerparteilicher Repression und Pazifikation wandelten sich von brutaler Unterdrückung potentieller Gegner in den eigenen Reihen bis zur Anwendung des Prinzips der Prävention, Erziehung und z.T. Korrumpierung. Dieser von den Kommissionen mit bewirkte Wandel trug zum unter Honecker endgültig durchgesetzten "impliziten Gesellschaftsvertrag" bei, der allen DDR-Bürgern bei politischem Wohlverhalten materielle und soziale Sicherheit garantierte.
Die Geschichte der Parteikontrollkommissionen ist besonders deshalb interessant und wesentlich, weil sie an fast allen großen und kleinen SED-Aktionen beteiligt waren, diese samt den Führungsbeschlüssen und der Stimmung an der Basis auswerteten und das sorgfältig protokollierten. Anders als die Medien sprachen sie in der Regel Klartext und verschwiegen keine Tabuthemen. Daher sind ihre Berichte heute eine wesentliche, oft einzigartige Quelle über die SED- und DDR-Vergangenheit. Klein gibt eine Vielzahl Kostproben und steuert teilweise bisher unbekanntes Archivmaterial bei. Zugleich beschreibt er mit dessen Hilfe Schattenseiten des DDR-Alltagslebens, geht auf Streiks, Konflikte mit "parteitreuen" Funktonären und Unterdrückung von Kritik durch diese ein.
Wären die Vorgänge in ihrer Gesamtheit damals bekannt gewesen, hätten kritische Kräfte in und außerhalb der Partei sich meines Erachtens zur Tat aufraffen müssen, und sie hätten trotz sowjetischer Schutzmacht für das Regime eine Chance zur politischen Revolution im Interesse des Sozialismus gehabt. Mit den Augen der Politbürokratie betrachtet hat diese ihr gefährliche Wahrheiten zu Recht unterdrückt. Sie legte so aber auch den Keim zum Anwachsen der gesellschaftlichen Spannungen und schließlich zu ihrem eigenen Untergang, in den sie den Staat mitriss.
Aufschlussreich ist, dass den Berichten der Kontrollkommissionen zufolge die Fälle von Veruntreuung, Korruption und Amtsmissbrauch durch SED-Funktionäre seit 1963 unaufhaltsam zunahmen, während die Zahl der politischen Delikte zurückging. Mit der Entpolitisierung des Volkes ging die großer Teile der Partei einher, entgegen neueren Behauptungen bereits unter Ulbricht. Zu Honeckers Zeit hat sich der Trend erheblich verstärkt.

Günter Grenzroth

Neues über SED und DDR / 3

Hermann Weber, Damals, als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten. Die SED-Parteihochschule "Karl Marx" bis 1949, Berlin: Aufbau-Verlag 2002, 445 Seiten, 25 Euro.

Der Mannheimer Historiker Hermann Weber gehört zu den wenigen, die 1946 die FDJ-Hochschule am Bogensee, 1947 bis 1949 die erst in Liebenwalde, dann in Kleinmachnow angesiedelte SED-Parteihochschule (PHS) absolvierten. Hier nahm er am ersten Zweijahreslehrgang teil, des für alle westdeutschen Kursanten geltenden Tarnungsgebots wegen unter dem Decknamen Wunderlich. Diesem Besuch gilt der Erinnerungsband. Doch schildert Weber auch, welch geistiges Gepäck er zur höchsten politischen Bildungsstätte der Ostzone mitbrachte.
Sohn eines Metallarbeiters, Kommunisten und Widerstandskämpfers, hatte er das Hitlerregime früh hassen gelernt, illegal BBC gehört und wie ein anderer Mannheimer SED-Parteihochschüler, Herbert Mies, den Beitritt zur Waffen-SS verweigert. Seine Arbeit für die KPD nach 1945 brachte ihn mit dem späteren "Trotzkisten" Willy Boepple, früheren Angehörigen der KPD-Opposition und des Leninbunds zusammen. Sie ließen ihm wichtige Informationen und Druckschriften zukommen, die dann in der stalinistischen Phase als "parteifeindlich" galten.
An der SED-Parteihochschule traf Weber ähnlich denkende Kursanten. Die PHS war in Liebenwalde, anfangs auch in Kleinmachnow eine Bildungsanstalt, die der Vermittlung humanistischen, vornehmlich marxistischen Wissens und der entsprechenden Ideale diente, für freimütige Diskussionen offen war und deren Bibliothek und Lesesaal später streng verpönte Bücher, Zeitschriften und Zeitungen aufwiesen.
Zu den günstigen Bedingungen des PHS-Aufenthalts zählten ein reges Kulturleben und der mögliche Besuch Ost- wie Westberlins. Zu den Hochschullehrern zählten Persönlichkeiten wie der Spartakus- und KPD-Mitgründer Hermann Duncker, die Lenin-, Trotzki- und Bucharin-Übersetzerin Frida Rubiner, der Historiker Erich Paterna und der jüngste Dozent Wolfgang Leonhard.
Der Verfasser schildert, wie — auch im Zeichen des Kalten Krieges — die Stalinisierung der SED und ihrer Hochschule durchgesetzt wurde. Charakteristisch waren der Aufstieg der Geschichte der KPdSU(B). Kurzer Lehrgang, eines der verlogensten Pamphlete der Welthistorie, zum wichtigsten Lehrgegenstand; das Verschwinden dem entgegenstehender Schriften in "Giftschränken"; die Dogmatisierung des Unterrichts; endlose Versammlungen mit nervtötender Indoktrination und dem Ritual von "Kritik und Selbstkritik"; das Aufblühen von Spitzelwesen und Denunziation. Was Weber mit bedrückenden Einzelheiten schildert, hat vordem Leonhard an der Kominternschule in Baschkirien erlebt. Es stimmt mit dem Bild überein, das bald auch FDJ-Schulen boten.
Nach dem vom Autor absolvierten Lehrgang wurden an der PHS sowjetische Drillmethoden eingeführt. Ihr Resultat waren vorwiegend mittelmä?ige Zöglinge, die zur Nomenklatura passten und eine von der Führung gewünschte verderbliche Diensteifrigkeit bei gleichzeitiger geistiger Unbeweglichkeit aufwiesen.
Hermann Weber und seine von ihm an der PHS kennengelernte Frau waren zu Beginn der 50er Jahre in der westdeutschen FDJ bzw. im Demokratischen Frauenbund aktiv. Ereignisse wie der Prager Slansky-Prozess, der 17.Juni und die zur Lähmung führende KPD-Stalinisierung führten bei ihnen zu wachsender Distanz vom parteikommunistisch-bürokratischen System. Als sie austraten, wurde der zuvor gefeierte Friedenskämpfer Weber als Dulles-Agent, Helfer der Faschisten, Kriegstreiber und Verschwörer gegen die UdSSR verleumdet. Mit seiner Frau vegetierte er zum niedrigsten Unterstützungssatz und mittels Gelegenheitsarbeiten dahin. Ein Preisausschreiben verhalf ihm dazu, sein eigentliches Metier zu entdecken und sich zum bedeutenden Historiker der Arbeiterbewegung, stalinistischer Verfolgung und der DDR zu entwickeln.

Fred Wilm


zum Anfang