SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 21

Musik

aus den Bergen

Wozu ein Jahr der Berge gut sein kann, war mir bis vor kurzem kaum klar. Nach dem Jahr des Kindes, dem internationalen Jahr der Freiwilligen hat die UNO das Jahr 2002 zum internationalen Jahr der Berge erklärt. Dass die Schweiz dann mit dem offiziellen Motto "Berge verbinden" einige Gipfeltreffen veranstaltete, ist naheliegend. Ein ganz besonderes Highlight war dabei der Tien-Shan-Schweiz Express. Einundzwanzig Musiker und Musikerinnen aus Chakasien, Kirgistan, der Mongolei, Österreich und der Schweiz trafen sich im Sommer 2002 zu einer Konzertreise durch die Schweiz. Die Leitung des Projekts hatte der Bassist und Musikwissenschaftler Heiri Känzig übernommen. Was der in New York geborene Wahlschweizer in kürzester Zeit aus so unterschiedlichen Musikkulturen herausholte, liegt jetzt auf der CD Tien-Shan-Schweiz Express vor.
Innerhalb einer Woche hatten die Künstlerinnen und Künstler ein Programm einstudiert, das zuerst die unterschiedlichen Musikkulturen der jeweiligen Bergregion vorstellt und dann alle Musikerinnen und Musiker zusammen auf die Bühne brachte. Wer mit leichter Folklorekost rechnet, liegt völlig daneben. Der Konzertmitschnitt aus dem Juli 2002, aufgenommen auf dem Open Air Paléo Festival Nyon ist voller Überraschungen. Am wenigsten überrascht, dass die gemeinsam vorgetragenen Stücke etwas jazzig klingen. Immerhin ist Heiri Känzig Jazzmusiker.
Den ersten Konzertteil ("Morgenrot") bestreiten die drei Gruppen aus den Berg- und Steppenlandscharten Asiens im Alleingang. Egschiglen ("schöne Melodie") singen den traditionellen Kehlkopf- und Obertongesang der mongolischen Nomaden und streuen neue Elemente ein die bis zu wirklich schrillen Klangpassagen reichen. Die Gruppe Sabjilar aus der russischen Republik Chakasien begeistert mit der flexiblen Stimme von Wjatscheslaw Kutschenow, von dem der Covertext behauptet das er der beste Obertonsänger Sibiriens wäre. Die Sängerin Kenjegul Kubatowa, der Multiinstrumentalist Nurlanbek Nyschanow und der Komuz-Spieler Rahatbek Kochorbajew aus Kirgistan schließlich schließen diese Runde hervoragend ab.
Im zweiten Konzertteil ("Alpenglühn") brechen die neun Schweizer Sänger, Jodlerinnen und Instrumentalisten mit musikalischen Alpenkonventionen. Sie erkunden verloren geglaubte kulturelle Wurzeln und stellen diese in neuen Kontexten und Spielarten dar: Hans Kennel, Paul Haag und Melanie Schiesser blasen auf Alphörnern, Trompeten und Posaunen afroamerikanische Pattern, Die Tirolerin Zabine jodelt in rasender Geschwindigkeit über lokale und globale Begleitmuster. Unter die Haut geht der Gesang von Laurence Revey, wenn sie z.B. im aussterbenden Walliser Dialekt mit immenser Präsenz glasklar die Ballade "Antan" vorträgt. Erfrischend, wie wenige Klischees trotz einer eindeutig zu verortenden Musik zu Ohren gebracht werden. Ob das Maultrommelsolo (Kukuk) unbedingt auf die Platte musste sei einmal dahingestellt.
Der dritte Teil des Auftritts ist der gemeinsamen Musik vorbehalten. Das Motto "Berge verbinden" wird spielerisch dermaßen locker umgesetzt, dass es sich die Frage warum es ein internationales Jahr der Berge gibt ganz von allein erklärt. Besonders hinter dem Titel "Babylon" verbirgt sich eine gemeinsame Sprache die sich erst nach häufigerem Hören richtig erschließt.
Dem Veranstalter dieses musikalischen Experiments, die "Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit" Bern ist hier etwas Besonderes gelungen und dem Label Blanko Musik ist zu danken, dass sie den Live-Auftritt in einer hervorragenden Klangqualität auf einer CD produziert haben.
Der Erfolg der Auftritte in der Schweiz kommt den Interessierten im Ruhrgebiet zugute. Im Rahmen der Off-Womex spielt der Tien-Shan-Schweiz Express am 24.Oktober um 20 Uhr in Essen in der Zeche Carl. Sicherlich ein Konzert, wie es nicht oft zu genießen ist.

Tommy Schroedter


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