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Der bundesweite Aktionstag mit Großdemonstration, der am 14.9. von Attac, der Gewerkschaftsjugend, der
Friedensbewegung und den Erwerbslosen organisiert wurde, war eine sehr heterogene Veranstaltung, die je nach Gesichtspunkt unterschiedliche Bewertungen
zulässt.
Immerhin war ihr größtes Verdienst, dass sie überhaupt stattgefunden hat:
eine Großaktion eine Woche vor der Bundestagswahl, die nicht zu einer Massenkundgebung für "Rot-Grün" umfunktioniert
werden konnte, sondern sich in großen Teilen ausgesprochen kritisch gegen die alte Bundesregierung abgesetzt hat. Dabei eine Großaktion, die
überwiegend von der Gewerkschaftsjugend getragen war, und nur zu einem verschwindenden Teil von den Resten der radikalen Linken. Zum dritten eine
Großaktion, bei der politisch vor allem die Themen wahrgenommen wurde, die Attac setzte: Globalisierungskritik, Krieg, die sozialen Folgen der
neoliberalen Politik. Dass dies so stattfand, ist eine Neuheit in der Bundesrepublik in vieler Hinsicht ein Fortschritt, der Chancen birgt.
Neu war auch, dass gewerkschaftliche Teilbereiche wie die Jugend und die Erwerbslosen
autonom mit einer den Gewerkschaftsvorständen zum Teil diametral zuwider laufenden Position auftreten konnten. So hatte Frank Bsirkse am Vorabend
der Demonstration seine Zustimmung zu den Hartz-Vorschlägen bekannt gegeben am Tag drauf sprachen nicht nur die Ver.di-Erwerbslosen,
sondern auch Michael Wendl als Vorsitzender des Landesbezirks Bayern und selbst ein Kollege aus dem Kölner Arbeitsamt unmissverständlich
dagegen.
40000 Teilnehmende kündigten die Veranstalter während der
Abschlusskundgebung an das war vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen, aber die Größenordnung dieser Demonstration war dieselbe wie
die vom Juni 1998, die der Vorstand der IG Metall im Bündnis mit anderen gegen die Kohlregierung in Berlin organisiert hat (die IGM hatte damals in der
gewerkschaftsüblichen Übertreibung von 50000 gesprochen). Das allein ist ein Erfolg, stellt man einmal in Rechnung, dass diesmal kein
konservatives Feindbild zur Mobilisierung taugte, das in der Bevölkerung abgewirtschaftet hatte.
Sicher, Köln war keine Demonstration gegen die Bundesregierung dazu war die
Parole der Gewerkschaftsjugend ("Her mit dem schönen Leben") zu allgemein, Attac hatte überhaupt keine zentrale Parole. Aber in der
veröffentlichten Meinung wurde die Demonstration wahrgenommen als Ausdruck des Überdrusses mit der etablierten Politik mithin auch
mit "Rot-Grün".
Attac hat sich viel Mühe gegeben, der Gefahr einer Vereinnahmung entgegenzuarbeiten:
Noch am Demonstrationsmorgen widersprach sie einem Offenen Brief der Grünen, der den Demonstrierenden weis machen wollte, die Grünen
stünden doch für dieselben Ziele wie sie sie hätten es nur noch nicht begriffen.
Ein weiterer Erfolg war die Tatsache, dass die Demonstration trotz sehr unterschiedlicher
Komponenten und Interessen bis zum Schluss gemeinsam organisiert und durchgeführt werden konnte. Die Gemeinsamkeit betraf allerdings rein
organisatorische, nicht inhaltliche Fragen. Auf den sieben Kundgebungsplätzen, die an jenem Samstag in Köln belegt wurden, veranstaltete jeder
sein eigenes Programm; nur im Anschluss traf man sich zur Demonstration. Spätestens da war man aber nicht mehr unter sich und musste unterschiedliche
Kulturen aushalten; das war vor allem für die Gewerkschaftsjugend, die vor vier Jahren noch abseits der in Berlin demonstrierenden
"Erwachsenen" in Frankfurt am Main ihr eigenes Jugendfestival abgezogen hatte, eine neue und positive Erfahrung. Sie musste sich Reden von
Johan Galtung und Ann Pettifor anhören, obwohl sie eigentlich wegen des Konzerts gekommen war.
Trotz aller Schwierigkeiten, die unterschiedliche politische Kulturen in der gemeinsamen
Aktion immer mit sich bringen, wird sich am Ende niemand über den Tisch gezogen gefühlt haben, jeder wird für sich einen Erfolg verbucht
haben, und die Hemmschwelle für gemeinsame Aktionen wird etwas tiefer gehängt worden sein.
Die Zahl der Teilnehmenden war bei allen vier Veranstaltern deutlich geringer als
anfänglich angenommen. Aber die Gewerkschaftslinke kann als Erfolg verbuchen, dass sie den weitaus stärksten Block mobilisiert hat; Attac kann
von sich sagen, dass sie die beste Presse hatte und bundesweit als mobilisierungsfähiger Faktor erschien; die Friedensbewegung kann sagen, dass ihr
Thema eine wichtige Rolle auf der Demonstration gespielt hat; und die Erwerbslosen können sich zugute halten, dass sie diejenigen waren, die dem auch
in den Gewerkschaften verbreiteten Unmut über die Hartz-Vorschläge eine Stimme gegeben haben.
Der Runde Tisch, der sich in den letzten zwei Jahren aufgebaut hat, ist erstmals als Veranstalter
aufgetreten und hat erstmals eine gemeinsame Mobilisierung aller Erwerbslosenverbände erreicht (nur die Erwerbslosen der IG Metall haben gefehlt). Er
hat somit seine Nützlichkeit und politische Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt über den Kreis der Erwerbslosen hinaus.
Die Schwächen sind dennoch unübersehbar. Attac hat kaum die Hälfte ihrer
Mitgliedschaft mobilisiert; die Handlungsfähigkeit dieser Organisation ist nach wie vor begrenzt. Die Friedensbewegung leidet immer noch an ihren alten
Spaltungen. Und die Erwerbslosen können nicht darüber hinwegsehen, dass sie die Gegnerschaft gegen die Politik der sozialen Entrechtung auf
Dauer nicht allein werden tragen können.
Jeder ist sich seiner Schwächen bewusst. Von der Kölner Demonstration geht
keine Dynamik für eine künftige engere Zusammenarbeit zwischen den vier Teilbereichen aus. Es ist allerdings möglich, dass um die Themen
Frieden, Arbeit und Gesundheit/Rente der außerparlamentarische Protest wächst vorausgesetzt, von den Gewerkschaften bewegen sich nicht
nur die Randbereiche Jugend und Erwerbslose.
Angela Klein