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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 22

Demonstration am 14.9. in Köln

Gemischte Gefühle

Der bundesweite Aktionstag mit Großdemonstration, der am 14.9. von Attac, der Gewerkschaftsjugend, der Friedensbewegung und den Erwerbslosen organisiert wurde, war eine sehr heterogene Veranstaltung, die je nach Gesichtspunkt unterschiedliche Bewertungen zulässt.
Immerhin war ihr größtes Verdienst, dass sie überhaupt stattgefunden hat: eine Großaktion eine Woche vor der Bundestagswahl, die nicht zu einer Massenkundgebung für "Rot-Grün" umfunktioniert werden konnte, sondern sich in großen Teilen ausgesprochen kritisch gegen die alte Bundesregierung abgesetzt hat. Dabei eine Großaktion, die überwiegend von der Gewerkschaftsjugend getragen war, und nur zu einem verschwindenden Teil von den Resten der radikalen Linken. Zum dritten eine Großaktion, bei der politisch vor allem die Themen wahrgenommen wurde, die Attac setzte: Globalisierungskritik, Krieg, die sozialen Folgen der neoliberalen Politik. Dass dies so stattfand, ist eine Neuheit in der Bundesrepublik — in vieler Hinsicht ein Fortschritt, der Chancen birgt.
Neu war auch, dass gewerkschaftliche Teilbereiche wie die Jugend und die Erwerbslosen autonom mit einer den Gewerkschaftsvorständen zum Teil diametral zuwider laufenden Position auftreten konnten. So hatte Frank Bsirkse am Vorabend der Demonstration seine Zustimmung zu den Hartz-Vorschlägen bekannt gegeben — am Tag drauf sprachen nicht nur die Ver.di-Erwerbslosen, sondern auch Michael Wendl als Vorsitzender des Landesbezirks Bayern und selbst ein Kollege aus dem Kölner Arbeitsamt unmissverständlich dagegen.
40000 Teilnehmende kündigten die Veranstalter während der Abschlusskundgebung an — das war vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen, aber die Größenordnung dieser Demonstration war dieselbe wie die vom Juni 1998, die der Vorstand der IG Metall im Bündnis mit anderen gegen die Kohlregierung in Berlin organisiert hat (die IGM hatte damals in der gewerkschaftsüblichen Übertreibung von 50000 gesprochen). Das allein ist ein Erfolg, stellt man einmal in Rechnung, dass diesmal kein konservatives Feindbild zur Mobilisierung taugte, das in der Bevölkerung abgewirtschaftet hatte.
Sicher, Köln war keine Demonstration gegen die Bundesregierung — dazu war die Parole der Gewerkschaftsjugend ("Her mit dem schönen Leben") zu allgemein, Attac hatte überhaupt keine zentrale Parole. Aber in der veröffentlichten Meinung wurde die Demonstration wahrgenommen als Ausdruck des Überdrusses mit der etablierten Politik — mithin auch mit "Rot-Grün".
Attac hat sich viel Mühe gegeben, der Gefahr einer Vereinnahmung entgegenzuarbeiten: Noch am Demonstrationsmorgen widersprach sie einem Offenen Brief der Grünen, der den Demonstrierenden weis machen wollte, die Grünen stünden doch für dieselben Ziele wie sie — sie hätten es nur noch nicht begriffen.
Ein weiterer Erfolg war die Tatsache, dass die Demonstration trotz sehr unterschiedlicher Komponenten und Interessen bis zum Schluss gemeinsam organisiert und durchgeführt werden konnte. Die Gemeinsamkeit betraf allerdings rein organisatorische, nicht inhaltliche Fragen. Auf den sieben Kundgebungsplätzen, die an jenem Samstag in Köln belegt wurden, veranstaltete jeder sein eigenes Programm; nur im Anschluss traf man sich zur Demonstration. Spätestens da war man aber nicht mehr unter sich und musste unterschiedliche Kulturen aushalten; das war vor allem für die Gewerkschaftsjugend, die vor vier Jahren noch abseits der in Berlin demonstrierenden "Erwachsenen" in Frankfurt am Main ihr eigenes Jugendfestival abgezogen hatte, eine neue und positive Erfahrung. Sie musste sich Reden von Johan Galtung und Ann Pettifor anhören, obwohl sie eigentlich wegen des Konzerts gekommen war.
Trotz aller Schwierigkeiten, die unterschiedliche politische Kulturen in der gemeinsamen Aktion immer mit sich bringen, wird sich am Ende niemand über den Tisch gezogen gefühlt haben, jeder wird für sich einen Erfolg verbucht haben, und die Hemmschwelle für gemeinsame Aktionen wird etwas tiefer gehängt worden sein.
Die Zahl der Teilnehmenden war bei allen vier Veranstaltern deutlich geringer als anfänglich angenommen. Aber die Gewerkschaftslinke kann als Erfolg verbuchen, dass sie den weitaus stärksten Block mobilisiert hat; Attac kann von sich sagen, dass sie die beste Presse hatte und bundesweit als mobilisierungsfähiger Faktor erschien; die Friedensbewegung kann sagen, dass ihr Thema eine wichtige Rolle auf der Demonstration gespielt hat; und die Erwerbslosen können sich zugute halten, dass sie diejenigen waren, die dem auch in den Gewerkschaften verbreiteten Unmut über die Hartz-Vorschläge eine Stimme gegeben haben.
Der Runde Tisch, der sich in den letzten zwei Jahren aufgebaut hat, ist erstmals als Veranstalter aufgetreten und hat erstmals eine gemeinsame Mobilisierung aller Erwerbslosenverbände erreicht (nur die Erwerbslosen der IG Metall haben gefehlt). Er hat somit seine Nützlichkeit und politische Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt — über den Kreis der Erwerbslosen hinaus.
Die Schwächen sind dennoch unübersehbar. Attac hat kaum die Hälfte ihrer Mitgliedschaft mobilisiert; die Handlungsfähigkeit dieser Organisation ist nach wie vor begrenzt. Die Friedensbewegung leidet immer noch an ihren alten Spaltungen. Und die Erwerbslosen können nicht darüber hinwegsehen, dass sie die Gegnerschaft gegen die Politik der sozialen Entrechtung auf Dauer nicht allein werden tragen können.
Jeder ist sich seiner Schwächen bewusst. Von der Kölner Demonstration geht keine Dynamik für eine künftige engere Zusammenarbeit zwischen den vier Teilbereichen aus. Es ist allerdings möglich, dass um die Themen Frieden, Arbeit und Gesundheit/Rente der außerparlamentarische Protest wächst — vorausgesetzt, von den Gewerkschaften bewegen sich nicht nur die Randbereiche Jugend und Erwerbslose.

Angela Klein


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