SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 4

Rot-grüne Doktorspiele

Fieberphantasien und blutleere Parolen

von TOBIAS MICHEL

In der Gesundheitspolitik begnügen sich die rot-grünen Koalitionäre bislang mit Doktorspielen: Interessiert streichen sie um die Tabuzonen herum, ohne ernsthaft zur eigentlichen Sache zu kommen - dem Defizit der Krankenkassen, verursacht durch die Einnahmeausfälle bei den Er- werbslosen und bei den geringfügig Entlohnten. Ihre Radikaloperation nach Hartz wird die AOK, Barmer und Co mit etwa 600 Mio. Euro zusätzlich zu Ader lassen.
Noch ist der öffentliche Leidensdruck nicht hoch genug für eine Einwilligung in weitere Notoperationen. Bis die Beitragssätze — zu etwa gleichen Teilen von Beschäftigten und Arbeitgebern bezahlt — die magischen 15 Prozent durch- stoßen haben, bleibt es bei recht konventionellen Therapieversuchen: Versandhandel mit Medikamenten, Quittungen an die Patienten zur Hebung des Kostenbewusst- sein, ein bisschen Markt bei Verträgen zwischen den Kassen und einzelnen Ärzten und Krankenhäusern, der Ruf nach noch mehr Wettbewerb ...
Doch in der fiebrigen Euphorie über die unverhoffte zweite Spielzeit haben sich die Berliner Strate- gen von ihren Phantasien mitreißen lassen. In einem Vorschaltgesetz möchten sie die Versicherungsfluchtgrenze anheben, wenigstens für die ganz jungen AussteigerInnen aus der solidarischen Risikogemeinschaft. Und mit Preisobergrenzen für Pharma-Neuauflagen, mit Zwangsrabatten und maximalen Weiterverkaufs- spannen für Apotheker möchten sie sich ein wenig mit den Hauptgewinnlern anlegen.
Durch so was lassen sich nicht mal Pharmalobby und Privatkassen aus der Ruhe bringen. Sie verlassen sich auf die bewährten Umfallerqualitäten dieser Regierung. Und umgekehrt — wer könnte der Ministerin Ulla Schmidt schon beispringen, wenn sie unter Druck gesetzt wird, um selbst von solch zaghaften Schnitten die Finger zu lassen?
Pikanterweise hat sich Rot-Grün mit ihren Gedankenspielen grad zwei Schwachstellen der ver.di- Gesundheitskampagne ausgesucht. Die Sozialpartner aus den Betriebsratsbüros der Privatversicherungen und des Pharma-Zwischenhandels haben der Kampagne erfolgreich im innergewerkschaftlichen "Dialog" die Milchzähne gezogen. Zwar hat sich ver.di mächtig ins Zeug gelegt, die enttäuschten Mitglieder noch mal an die Wahlurnen zu bekommen - gegen Stoiber. Die blutleeren Parolen "für eine gesunde Reform" taugen nun wenig, um von Schröder eine verdiente Belohnung einzufordern.
Im Gegenteil - die sozialdemokratische Gesundheitsministerin hat gleich das erste Stoppzeichen für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst aufgestellt. Die Budgets der Krankenhäuser werden maximal um 0,81 Prozent angehoben. Die geplanten Kli- nikschließungen und der Stellenabbau können so den "unverantwortlichen Lohnforderungen" angelastet werden.
Trotzdem oder grade deswegen liegt es bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst und gerade auch im Gesundheitswesen, mit einer Tarifrunde, die nicht bei 3 Prozent BAT- und B-MTG-Erhöhung stehen bleibt, die Finanzierung einer umfassenden und qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung für alle auf die Tagesordnung zu setzen.


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