SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 4

Am Boden

Möllemann wird gegangen, der Fall FDP bleibt

von CHRISTOPH JÜNKE

Der Sturz ist tief und durchaus unerwartet. Noch kurz vor dem geplanten FDP-Landesparteitag in NRW wurde spekuliert, ob und wie sich Jürgen W. Möllemann gegen den vereinten Ansturm seiner Bundespartei und Teile seiner Landespartei verteidigen wird. Seine Herzkrankheit schien ihm zuerst behilflich zu sein, Zeit zu gewinnen. Doch seine innerparteilichen Gegner förderten zutage, dass er sich bei seiner berühmt-berüchtigten Flugblattaktion vom September wahrscheinlich illegaler Methoden bedient hatte. 840000 Euro hat er irregulär gesammelt und er tut nichts, die schwerwiegenden Verdächtigungen aufzuklären, die gegen ihn und seine Hintermänner vorliegen.
Die FDP-Führung hat sich diesen Vorwand nicht nehmen lassen, Möllemann zu stürzen. Der sieht sich nun nicht nur mit politischer Ausgrenzung konfrontiert, sondern auch mit weitreichenden Strafanklagen. Schon einmal, als damaliger Wirtschaftsminister, stolperte er über solcherart "Unregelmäßigkeiten". Diesmal jedoch kommt die politische Isolation hinzu, die ihm seine so falsche wie gefährliche, weil mit antisemitischen Klischees spielende Israel- und Friedman-Kritik eingebracht hat. Auch wenn die Zeiten des "They‘ll never come back" vorbei sind und Möllemann ein erprobtes Stehaufmännchen ist — diesmal dürfte sein Ende eingeleitet sein.
Der Fall Möllemann war und ist aber auch ein Fall FDP. Nicht in dem Sinne jener, die da behaupten, die 18%-Strategie sei eine explizit rechtspopulistische und antisemitische, eine Strategie, die Möllemann zudem mit der Parteispitze um Westerwelle teile. Bei dieser Interpretation handelt es sich wohl eher um jene linke "Hannibal-ante-portas"-Aufgeregtheit, die Analyse durch Verschwörungstheorie ersetzt.
Weder gibt es irgendeinen Hinweis, dass Möllemann mit Wissen und Billigung Westerwelles gehandelt hat — die gegenwärtige Schlammschlacht ist ein deutliches Indiz dagegen. Noch ist jene allzu oft vorgebrachte These stichhaltig, das FDP- Wahlergebnis, zumal das in NRW-Möllemannland, sei ein Zeichen, dass Antisemitismus wieder wahlfähig sei in der BRD. Möllemann habe doch, so die Begründung, 2 Prozentpunkte hinzu gewonnen im Vergleich zu 1998, sagen sie. Doch das ist methodisch unsauber. Nicht 1998 ist der Vergleichsmaßstab für Erfolg und Misserfolg, sondern jener Frühsommer 2002, als die FDP bei 12—13% lag. Dieser tiefe Sturz geht nicht nur, aber eben auch und nicht zu knapp auf Kosten Möllemanns.
Möllemann ist auch heute noch das, was er immer war, ein notorischer Intrigant, der spiegelbildlich immer auch unter Verschwörungsängsten gelitten hat. Ein Politiker, der, wie es einer seiner Biografen bereits vor 15 Jahren sagte, "menschlich erschreckend unreif, unzuverlässig und skrupellos" ist, "weder links noch rechts in der politischen Landschaft". Dass er politisch so groß werden konnte, verweist auf den spezifischen Charakter der FDP als einer Honoratiorenpartei. Die faktische Kontrolle lokaler und regionaler Parteistrukturen durch Einzelne ist hier die Basis einer über persönliche Verbundenheiten organisierten Gesamtpartei, die eine demokratische Parteikultur nicht kennt. Es war diese Struktur, die "Genschers Libero" Möllemann solange geschützt hat, nicht jener angeblich breit geteilte Antisemitismus. Und insofern ist der Fall Möllemann auch ein Fall FDP.
Der Fall Möllemann ist aber auch ein Fall FDP, weil Möllemann als neoliberaler, zu Irregularität und Korruption neigender politischer Hasardeur ein weitgehend getreues Spiegelbild seiner FDP ist, die als neoliberale Programmpartei der politische Arm wesentlicher Teile des bundesdeutschen Kapitals ist und entsprechend mitregieren will. Die FDP-Riege ist integraler Teil des herrschenden Machtkartells und als solche, d.h. solange sie die Partei ist, die sie nunmal ist, zu einer konsequenten Haiderisierung strukturell unfähig. Ein entsprechender Rechtsruck ist mit dem vorhandenen Parteipersonal nicht umzusetzen und mit den Kapitalinteressen des deutschen Imperialismus unvereinbar.
Auch ein Schwenk nach links ist unwahrscheinlich. Nicht nur, weil die letzten Linksliberalen der FDP politisch gescheiterte Existenzen sind — unwillens und unfähig zum politischen Kampf um ihre Partei —, sondern vor allem weil der FDP mit den Grünen ein dauerhafter und sehr viel glaubwürdigerer Konkurrent erwachsen ist, der ihr auf absehbare Zeit die linksliberale Schau stehlen wird.
Das ist das Dilemma der FDP. Und mit der gewaltsamen Austreibung Möllemanns wird es nicht gelöst werden.


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