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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 9

Berlin wird ‘sparkassenfreie Zone‘

... im Rest der Republik sieht es nicht viel besser aus

Sarrazin setzt Sparkasse vor die Tür", titelte der Tagesspiegel, als Berlins Finanzsenator die Entscheidung bekannt gab, die Verhandlungen zum Verkauf der Bankgesellschaft ab sofort nur noch mit den US-Investoren Lone-Star und BGB Capital Partners weiterzuführen.
Damit setzte der rot-rote Senat aber nicht nur die Nord-LB vor die Tür, die sich um eine öffentlich-rechtliche Lösung bemüht hatte, sondern auch die eigene Sparkasse, die nun kaum noch als öffentliches Kreditinstitut erhalten bleiben kann. Die Bevorzugung der amerikanischen Bieter, mit denen bis zum Verkaufsabschluss Anfang 2003 weiterverhandelt werden soll, kam nicht wirklich überraschend.
Schließlich ließ der rot-rote Senat (vgl. SoZ 9/02) von Anfang an kein wirkliches Interesse an der Rettung der Sparkasse erkennen. Und das, obwohl offensichtlich ist, dass die Renditeerwartungen der privaten Investoren sich nicht erzielen lassen, wenn alle Bevölkerungsgruppen weiterhin bedient und die Sparkasse wichtigster Partner der kleinen und mittleren Unternehmen bleiben will.
Die Strategie des Senats ist klar: Die Bank mit all ihren "Leichen im Keller" soll schnellstmöglich gegen Cash verkauft werden. Das geht nur mit der Sparkasse, dem einzig werthaltigen Teil der Bank. Unterstützung findet Rot-Rot bei der EU-Kommission, die aufgrund der Kapitalerhöhung im Jahr 2001 (1,75 Milliarden Euro) und der Risikoübernahme im April 2002 (21,66 Milliarden Euro) ein Beihilfeverfahren eingeleitet hat und eine Genehmigung an den Verkauf der Bankgesellschaft knüpft.
Dabei lässt sich die Kommission weniger von Sachargumenten, als von den Dogmen ihrer neoliberalen Deregulierungs- und Privatisierungspolitik leiten. Denn alle Verbindlichkeiten, die bis zum 18.Juli 2001 vereinbart wurden und um nichts anderes geht es, sind weiterhin von der Gewährträgerhaftung gedeckt. Denn im Kern geht es der EU-Kommission um die Stärkung der privaten Banken gegenüber der ungeliebten öffentlich-rechtlichen Konkurrenz in Deutschland.

Kumpanei zwischen Senat und EU-Kommission

Die Initiative Berliner Bankenskandal bezeichnete folgerichtig diese stillschweigende Übereinkunft zwischen Senat und Kommission "als Kumpanei zwischen EU-Kommission und Berliner Senat".
Hatten Wirtschaftssenator Harald Wolf und sein Vorgänger Gregor Gysi noch vor wenigen Monaten vollmundig erklärt, dass bei einem Verkauf selbstverständlich ein "Risikoausgleich" der 21-Milliarden- Bürgschaft mit dem zukünftigen Investor vorgenommen werden müsste, ist davon nun nichts mehr zu hören. Stattdessen schlug Lone Star vor, Berlin könne weiterhin öffentlich-rechtlicher Träger der Sparkasse sein, die unternehmerische Führung und das unternehmerische Risiko verbleibe aber beim Investor. Ein durchsichtiges, wenn auch gefährliches Manöver.
Durchsichtig, weil der Investor fürchtet, bei vollzogener Privatisierung vom Sparkassen- und Giroverband (DSGV) sofort das Logo entzogen zu bekommen. Das wäre gar nicht gut fürs Geschäft. Gefährlich, weil dann bei der Sparkasse im Kleinen genau das wiederholt würde, was bei der Bankgesellschaft im Großen das ganze Desaster erst ermöglichte. Eine Verquickung und Unterordnung einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse unter die Interessen privater Gewinnmaximierung.
Als all diese Versuche nicht fruchteten, schlug Lone Star nunmehr vor, die Nord-LB und den DSGV als Koinvestor zu beteiligen. Die Drohung des DSGV, einem privaten Investor unverzüglich das Logo zu entziehen, wird demnach ernst genommen. NordLB und Bankgesellschaft sind zudem über die Landesbausparkasse Berlin/Hannover verflochten. Daneben arbeiten sie im Rahmen einer Allianz bei der Datenverarbeitung eng zusammen. Aufgrund dieser noch bis 2004 festgeschriebenen Allianz hat die NordLB zudem Vetorecht bei Verkäufen von Anteilen an der Bankgesellschaft.
Allerdings befindet sich die NordLB selber in einer Zwickmühle. Zuviel Kapital ist bereits in Berlin vernichtet worden. Das ärgert vor allem die kleinen Gewährträger der NordLB, die noch nie viel von der Bankgesellschaft gehalten haben, einem weiteren Investment ablehnend gegenüber stehen.
Berlin als "sparkassenfreie Zone" wäre für die privaten Großbanken sicherlich der langersehnte Durchbruch. Seit Jahren versuchen die Privatbanken zusammen mit der EU-Kommission die Sparkassen als lästige Konkurrenz zu schwächen und zu privatisieren, um sich ein neues gewinnbringendes Geschäftsfeld zu erschließen. Im Kern nichts weiter als eine weitere Variante der klassischen Methode des Großkapitals, ihre Profitrate auf Kosten des Fortbestands des öffentlichen Eigentums zu sanieren.

EU-Kommission: Hüterin der "Monopolprofite"

Als aller politischer Druck nicht zum erwünschten Erfolg führte, klagte die Europäische Bankenvereinigung 1999 bei der europäischen Kommission gegen das Haftungssystem der öffentlichen Kreditinstitute. Nach Ansicht der Privatbanken verstieße die Haftung der Länder und Kommunen in Form der Gewährträgerhaftung bzw. der Anstaltslast gegen das EU-Wettbewerbsrecht, das staatliche Beihilfen gemäß Artikel 87 des EG-Vertrags verbietet.
Aus mehreren Gründen hätte die Klage eigentlich zugunsten der Sparkassen ausgehen müssen. Erstens war bei der Gründung der Europäischen Union ausdrücklich festgelegt worden, dass die jeweiligen spezifischen Eigentumsordnungen der EU-Länder respektiert werden. Schon bei oberflächlicher Betrachtung ergibt sich zudem, dass die öffentlichen Kreditinstitute diverse Wettbewerbsnachteile hinnehmen müssen. Zu nennen wäre hier vor allem das Regionalprinzip und die eingeschränkte Möglichkeit der Eigenkapitalbeschaffung.
Auch wenn der öffentliche Auftrag der Sparkassen oftmals schon weit ausgehöhlt ist, versorgen die Sparkassen in hohem Maße den Mittelstand und die kleinen Sparer mit Krediten. In der Regel ist das kein sonderlich einträgliches Geschäft.
Der Marktanteil der Sparkassen am gewerblichen Mittelstand beträgt 40%, beim Handwerk sind es sogar 80%. Beides sind Gruppen, die in jeder Krise überproportional von Insolvenzen betroffen sind. Ebenso kostet die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung viel Geld. Während sich die Großbanken immer mehr aus der Fläche zurückziehen, betreibt die Sparkassenfinanzgruppe noch über 25000 Geschäftsstellen im Land.
Dem steht gegenüber, dass sich insbesondere die Landesbanken und indirekt auch die Sparkassen auf den Kreditmärkten günstiger refinanzieren können.
So betrug der Renditeabstand zwischen Anleihen der Landesbanken mit (Bonität AAA) und ohne (Bonität A) staatlicher Garantie von Oktober 2000 bis April 2001 durchschnittlich 0,35% (35 Basispunkte). Ein Vorteil, der mit zur Gründung der Bankgesellschaft führte. Denn nunmehr nahm die Landesbank auf den internationalen Kapitalmärkten Kredite auf, um sie postwendend an die anderen privatrechtlichen Töchter der Bankgesellschaft weiterzureichen. Ein Irrsinnsprinzip, das weder von Brüssel noch vom Bundesaufsichtsamt beanstandet wurde, obwohl es das Sparkassenprinzip ad absurdum führte.
Trotz dieser günstigen Ausgangssituation setzte sich Brüssel letztlich durch und Kanzler Schröder, der vorher noch öffentlichkeitswirksam intervenierte (vgl. Frankfurter Rundschau vom 18.1.2001: "Schröder bricht in Brüssel Lanze für Sparkassen"), scheute eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Es darf vermutet werden, dass der Druck der Bankenlobby immens gewesen sein muss. Von der Gewerkschaft Ver.di, die sich in Hochglanzbroschüren so gern als Hüter und Beschützer der Sparkassen sieht, war weder eine substanzielle Kritik noch ein effizientes Lobbying zu vernehmen.
Der Kompromiss sieht zwar vor, das öffentliche Eigentum zu erhalten, aber die Gewährträgerhaftung entfällt bis 2005 ersatzlos. Darüber hinaus wird die Anstaltslast so modifiziert, dass bei einer Hilfe im Einzelfall die EU-Beihilfevorschriften zu beachten sind. Dieser faule Kompromiss wurde von der rot-grünen Bundesregierung mit dem Argument akzeptiert, dass eine jahrelange juristische Auseinandersetzung und die damit verbundenen Unsicherheiten für den öffentlichen Kreditsektor verhindert werden müssten.

Fortgeschrittene Privatisierung

In der Folge dieser Entscheidung werden die Refinanzierungskosten spürbar steigen und die Zinsmargen zurückgehen. Auch werden die Sicherungsfonds massiv ausgebaut werden müssen. In jedem Fall verschlechtert sich die Wettbewerbsposition nachhaltig. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sparkassenprivatisierung jetzt richtig an Fahrt gewinnt.
So wird beim Städtetag Nordrhein-Westfalen bereits darüber nachgedacht, private Beteiligungen zuzulassen. Auch sollen Fusionen selbst dann möglich sein, wenn die Institute nicht benachbart sind, sondern einem "gemeinsamen Wirtschaftsraum" angehören. Die Zielsetzung des sparkasseninternen "Modernisierungsflügels" ist klar: den Interessen von Anlegern auf anonymen Kapitalmärkten wird zukünftig Priorität eingeräumt.
Nur ist dieser Trend nicht wirklich neu. Bereits Mitte der 80er Jahre führten viele Sparkassen das "Genussrechtskapital" ein. Genussscheine verbriefen kein Eigentumsrecht, sondern sind eine Einlage, die eine Beteiligung am Gewinn und Verlust (der bei Sparkassen gar nicht auftreten kann) ermöglicht.
Dieses "Nurgewinnkapital" wurde eingeführt, um den Sparkassen die Möglichkeit zu geben, ihre Geschäfte gemäß den Richtlinien des Kreditwesengesetzes (KWG) ausdehnen zu können. "Die Privatisierung kommt durch die Hintertür", schrieb die Frankfurter Rundschau am 7.11.1984 treffend.
1989 kam dann der Sparkassenverband auf die Idee das Eigenkapital mit Hilfe von Stillen Gesellschaftern aufzustocken. Die folgerichtig nächsten Schritte ließen nicht lange auf sich warten. Seit 1993 sieht das Sparkassengesetz in Hessen eine Teilprivatisierung von bis zu 49% in Form von "Stillen Beteiligungen" vor.
Nachrangige Verbindlichkeiten, Genussscheine und Stille Beteiligungen stammen aus dem KWG und zielen auf die Erhöhung des Haftungskapitals. Damit sind sie aber im Kern Mittel zur Gewinnerzielung. Denn die Gewinnausschüttung richtet sich in kapitalistischen Unternehmungen nach den Anteilen am Haftungskapital.
Nur ist nach dem alten System der Gewährträgerhaftung gar kein zusätzliches Haftungskapital notwendig, da alle erzielten Gewinne automatisch in die "Sicherungsrücklage" (dem eigentlichen Eigenkapital der Sparkassen) zurückfließen.
Als Erklärung bleibt somit nur die Schaffung hochprofitabler Anlagemöglickeiten für kapitalkräftige Personen und zwar getreu der Devise des Neoliberalismus: "Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste".
Auffallend ist auch die Tendenz, dass die Sparkassen die Ausschüttungen an ihre Gewährträger erhöhen. In Rheinland-Pfalz wurde aus diesem Grunde sogar extra das Sparkassengesetz novelliert.
Mit dem Rückgang der Gewinne und somit der geringeren Zuflüssen für die Sicherungsrücklage wächst der objektive Druck, sich privates Eigenkapital zu verschaffen. Ein solcher Trend stärkt über kurz oder lang die Befürworter einer Sparkassenprivatisierung.
Im aktuellen Strategiepapier des DGSV wird diese jahrelang gängige Praxis sich Optionen für neues Eigenkapital zu erschließen nun auch offiziell zum Programm erhoben. Als Vorbild dient die bereits vollzogene Aufspaltung der West-LB in eine öffentlich-rechtliche Muttergesellschaft und einer privatrechtlichen Tochtergesellschaft (AG), die auch für privates Kapital geöffnet werden soll.

Wie weiter in Berlin?

Gerade Berlin als strukturschwache Region müsste eigentlich ein besonderes Interesse an einer Sparkasse haben. Denn nur in die Boomregionen fließt das Kapital auch von alleine. Aus diesem Grunde sahen sich die USA gezwungen mit dem Community Reinvestment Act die Banken zu verpflichten, einen Teil ihrer Finanzmittel in strukturschwachen und vernachlässigten Regionen einzusetzen.
Säße die PDS noch im Bundestag, wäre ihr genau ein solcher Gesetzentwurf zuzutrauen. Nach der Niederlage der PDS-Rechten in Gera, wo das Thema Bankgesellschaft und der Berliner Anpassungskurs von vielen Rednern scharf kritisiert wurde, werden die Karten auch in der Hauptstadt neu gemischt. So forderte der linke PDS-Abgeordnete Over die eigene Partei auf, endlich "ein kooperatives Verhältnis zur Initiative Berliner Bankenskandal finden" und die Vorschläge kritisch zu prüfen.
Dass sich Widerstand lohnt, zeigt zumindest das erfolgreiche Bürgerbegehren in Sachsen Ende 2001. Nach knapper Niederlage in der ersten Runde (Volksbegehren) setzte sich die Bürgerinitiative "Pro kommunale Sparkasse" in einem Volksentscheid (dem ersten in Sachsen überhaupt) gegen die Pläne der Landesregierung durch, die kommunalen Sparkassen zu einer Landessparkasse zu fusionieren.
Die Zustimmung der klammen Kommunen zur Fusion war dabei mit der Zusage erheblicher Ausschüttungen gewonnen worden. Soweit ist die Initiative Berliner Bankenskandal zwar noch nicht, aber das kann ja noch werden…
Fest eingeplant ist aber ein öffentliches Expertenhearing zur Frage der Neuverhandlung der Immobilienfonds. Risikoeinsparpotenzial nach Berechnung der Initiative: Über 11 Milliarden Euro.

Birger Scholz


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