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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 12

Fiat verstaatlichen

Die Fiat-Krise und der damit drohende Deindustrialisierungsprozess im siebtgrößten Industrieland der Welt wirft ein grelles Schlaglicht auf die Unfähigkeit des Kapitalismus, komme er nun in Gestalt von Fiat oder von GM daher, unter Bedingungen verschärfter globaler Konkurrenz seine Reproduktionsbasis zu erhalten. Der grenzenlose Markt eröffnet nur zu Beginn neue Märkte und Akkumulationsmöglichkeiten; am Ende bedeutet er für schwächere Kapitalien eine absolute Grenze. Auf der Suche nach Möglichkeiten, selbst unmittelbare Tagesprobleme zu lösen, muss deshalb der Rahmen der globalen Konkurrenz als solcher in Frage gestellt werden. Rifondazione Comunista hat als erste die Forderung nach staatlicher Übernahme von Fiat in die Debatte geworfen — mit einigem Erfolg.
Die Idee, dass der Staat einspringen soll, gewinnt Anhänger. Die Regierung sträubt sich noch, aber der Gouverneur der Zentralbank, Antonio Fazio, hat verlauten lassen: "Das wäre keine Sünde." Der EU- Wettbewerbskommissar Mario Monti, sonst gern ein unerschütterlicher Verfechter des Freihandels, sekundiert: "Die Kommission ist neutral zwischen öffentlichem und privatem Eigentum; sie hat keine Vorurteile." Ach, und was ist mit dem Privatisierungsdogma? Neben der Praxis des Neoliberalismus gerät nun offenkundig auch seine Lehre unter die Räder. Kommissionspräsident Prodi entschuldigt sich: "Italien kann nicht ohne Industrie gelassen werden."
Aber wofür soll der Staat das Geld der Steuerzahler ausgeben? Immer wieder geistert das Beispiel Renault und Volkswagen durch die Presse, zwei Autofirmen mit mehrheitlich staatlicher Beteiligung. Dabei wird vergessen, dass diese Firmen nicht weniger dem globalen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind und ihn nicht weniger drastisch an die Belegschaften weitergeben. Renault hat gerade einen Umstrukturierungsplan hinter sich; VW erwägt, das Seat-Werk von Katalonien nach Osteuropa zu verlagern.
Stellt sich also die Frage: Gibt es eine Automobiltechnologie, die (mit staatlicher Hilfe) international wettbewerbsfähig wäre und dem Sektor eine neue Zukunft erschließt? Claudio Sabattini, Vorsitzender der Fiom Sizilien, spricht für seine Gewerkschaft, wenn er sagt: "Mit der Wasserstofftechnologie geht das Auto seiner größten industriellen und technologischen Innovation entgegen." GM forsche seit Jahren auf dem Gebiet und habe das erste Modell dafür schon auf dem letzten Autosalon vorgestellt. Aber der US-Konzern werde das Wasserstoffauto erst in 30 Jahren rentabel bauen können; warum sollte Europa dann etwas gelingen, was dem Branchenprimus nicht gelingt? Die Frage wird nicht gestellt.
Der Soziologe Oscar Marchisio plädiert dafür, technologisch über das Auto hinauszudenken, statt sich nur mit einer neuen Antriebstechnik zu begnügen. In Liberazione vom 9.10. erklärt er: "Wir müssen unser Modell von Mobilität so ändern, dass Mobilität nicht mehr nur durch private Transportmittel gewährleistet wird. Wir müssen den gesamten Nahverkehr, den öffentlichen wie den privaten, neu konzipieren. Denkbar wäre z.B., Autos für den Stadtgebrauch zu vermieten statt zu verkaufen. Man könnte eine ‚Mobilitäts-Kreditkarte‘ einrichten." Die Autobranche sei weltweit an ihr Ende angelangt, nicht nur in Italien.
Der Ansatz von Marchisio hat mindestens den Vorteil, dass er die industrielle Zukunft nicht an eine neue, globale Technologiekonkurrenz bindet, sondern an lokale und ökologisch nachhaltige Alternativen zum derzeitigen Transportsystem, die zudem den Vorteil hätten, vom Erdöl wegzuführen, das in wachsendem Maß eine Kriegsursache geworden ist. Dafür würde sich eine staatliche Übernahme von Fiat lohnen.
Beim Fiom-Vorsitzenden der Lombardei stoßen solche Vorschläge auf offene Ohren: "Ich hoffe, die anderen Gewerkschaften erkennen, dass mit Fiat eine ganze Phase der industriellen Entwicklung zu Ende gegangen ist." Aber eine staatliche Rettungsaktion möchte er noch an andere Bedingungen geknüpft sehen: "Der Staat darf nicht die Schulden der Familie Agnelli finanzieren. Alle Einnahmen müssen blockiert und für die industrielle Umstrukturierung zur Verfügung gestellt werden." Keine Fabrikschließungen, keine Entlassungen, keine Kurzarbeit Null. "Gegen die drohende Schließung hilft nur die Fabrikbesetzung. Kurzarbeit muss rotieren, die bestehenden Aufträge müssen solidarisch auf die Werke aufgeteilt werden, die Arbeitszeit herabgesetzt, Umschulungen und Weiterbildung angeboten werden."
Ein ziemlich konkretes Programm für die Arbeitskämpfe, die anstehen. Der sie verbindende gemeinsame Nenner und Ausgangspunkt lautet: Fiat muss in Gemeineigentum übergehen — nicht weil diese Eigentumsform als solche die Probleme lösen würde, sondern weil der Eigentumswechsel die Voraussetzung ist, neue Wege mit Zukunft zu beschreiten.


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