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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 12

Bombenanschläge auf Bali

Verlorene Unschuld?

Ein Jahr, einen Monat und einen Tag nach den Anschlägen des 11.September explodierten im Touristenort Kuta auf der indonesischen Ferieninsel Bali zwei Bomben. Der Anschlag kostete rund 200 Menschen das Leben, etwa 300 wurden zum Teil schwer verletzt, die genaue Zahl der Opfer wird man vielleicht niemals erfahren. Ein Paradies sei zerstört worden, hieß es in den Medien, und der australische Premierminister Howard erklärte, Australien habe "seine Unschuld verloren". Doch was bei den journalistischen Berichterstattern einfach historische Unkenntnis sein mag, ist im Falle der australischen Regierung pure Geschichtsklitterung.
In den antikommunistischen Massakern der Jahre 1965/66, mit denen sich General Suharto an die Macht putschte, wurden nach Einschätzung von Historikern auch bis zu 80000 Balinesen, die im Verdacht standen, Mitglieder oder Sympathisanten der Kommunistischen Partei zu sein, von der indonesischen Armee und mit ihr verbündeten islamischen Milizen aus Ostjava ermordet.
Der australische Journalist John Pilger hat vor kurzem noch einmal in einem Artikel im Daily Mirror auf den seit vierzig Jahren bestehenden Staatsterrorismus in Indonesien und seine Unterstützung durch die westlichen Staaten aufmerksam gemacht. So sahen die damalige australische und die damalige US-Regierung dem Massenmord wohlwollend zu, die US-Regierung leistete sogar aktive Beihilfe, indem sie der indonesischen Armee ein modernes Kommunikationssystem mit direkter Verbindung zur CIA, zur Nationalen Sicherheitsbehörde in Washington und zu Präsident Johnson zur Verfügung stellte. Selbst die Todeslisten wurden in der US-Vertretung in Jakarta erstellt, und die australische Botschaft bezeichnete die Massaker anschließend als "Säuberungsprozess".
Viele der heutigen islamistischen Gruppierungen in Indonesien wie etwa die Front Pembela Islam (Islamische Verteidigungsfront — FPI), die Gerakan Pemuda Islam (Islamische Jugendbewegung — GPI), Laskar Jihad (Soldaten des Heiligen Krieges) oder die Jemaah Islamiah (Islamische Gemeinschaft) beziehen sich auch heute noch positiv auf positiv auf die islamischen Milizen der 60er Jahre.
Mit den Anschlägen von Bali werden aber bisher nur die Jemaah Islamiiah und ihr Oberhaupt Abu Bakar Bashir in Verbindung gebracht.
Die Grundlage hierfür sind Aussagen des angeblichen Al-Qaeda-Mitglieds Omar al- Faruq, der Anfang Juni von den indonesischen Behörden an die USA ausgeliefert wurde und seitdem in Afghanistan von der CIA verhört wird.
Al-Faruq hatte behauptet, Jemaah Islamiiah habe Geld für Anschläge in Indonesien direkt von Osama Bin Laden erhalten und sei neben dem Attentat vom 12.Oktober auch für verschiedene Bombenanschläge in Jakarta verantwortlich. Außerdem sei ein Mordanschlag auf Präsidentin Megawati Sukarnoputri geplant gewesen.
Jemaah Islamiiah hat seinen Ursprung und sein Zentrum in einem islamischen Internat im Dorf Ngruki in Zentraljava, erfuhr aber seinen Aufschwung erst Anfang der 70er Jahre, als Agenten des indonesischen Geheimdienstes begannen, die kleinen radikalen islamistischen Gruppen zu unterwandern.
Ziel war einerseits die Diskreditierung und Spaltung der legalen islamischen Opposition, andererseits der Kampf gegen eine angebliche kommunistische Infiltrationsgefahr durch die vietnamesische Regierung. Inwiefern diese Zusammenarbeit in den 70er und 80er Jahren fortgesetzt wurde, ist unklar. Möglicherweise kam es auch zu Spaltungsprozessen innerhalb der Jemaah Islamiah. Schließlich kann es auch sein, dass der Name der Organisation zu verschiedenen Zeiten auch von unterschiedlichen Gruppen verwendet wurde. Ein Ende August von der International Crisis Group, einem privaten Konfliktforschungsinstitut mit Sitz in Brüssel, veröffentlichte Studie über Al Qaeda in Südostasien legt dies nahe. Abu Bakar Bashir jedenfalls wurde 1982 zu neun Jahren Haft verurteilt, 1985 aber wieder freigelassen und konnte kurz darauf nach Malaysia fliehen, nach Indonesien kehrte er erst 1999 wieder zurück.
Während die US-Regierung Jemaah Islamiah als den indonesischen Arm von Al Qaeda bezeichnet, so ist es auffällig, dass eine andere indonesische Islamistengruppe, Laskar Jihad von den Terroristenjägern in Washington überhaupt nicht erwähnt wird, und das obwohl sich deren Führer, Jafar Umar Thalib, öffentlich seiner Kontakte zu Al Qaeda gerühmt hatte. Offensichtlich liegt dies daran, dass diese seit Anfang 2000 bestehende Gruppierung nur allzu deutlich eine direkte Gründung der indonesischen Armee ist.
So erlaubten es die Militärs vor zwei Jahren, dass Laskar Jihad überall im Land Söldner anwarb, sie bewaffnete und als Guerillas auf den Molukken einsetzte. Die dortigen "ethnisch-religiösen" Konflikte zwischen Christen und Muslimen dienten dann dem Militär dazu, wieder eine aktivere Rolle in der indonesischen Politik einzufordern. Nach dem gleichen Muster wurden die "heiligen Krieger" einige Zeit später vom mit Hilfe der Streitkräfte nach Zentralsulawesi gebracht — hier gibt es eiue christliche Bevölkerungsmehrheit.
In jüngster Zeit sollen Laskar-Jihad-Kämpfer Ausbildungslager auch in Westpapua und Aceh eingerichtet haben, offensichtlich, um dort gegen die jeweilige regionale Unabhängigkeitsbewegung vorzugehen. Kurz nach den Anschlägen auf Bali hat Laskar Jihad übrigens mit einer nebulösen Erklärung und wahrscheinlich auf Druck des Militärs seine Auflösung bekanntgegeben.
Weder die US-amerikanische noch die australische Regierung scheinen indessen von diesen offenkundigen Verbindungen des indonesischen Militärs zu radikalen Islamisten besonders beunruhigt zu sein. Im Gegenteil, die Anschläge auf Bali sollen jetzt erst recht den Anlass zu einer verstärkten militärischen aber auch geheimdienstlichen Zusammenarbeit bieten. Australien könnte dabei der regionale Hilfssheriff der US-Außenpolitik werden.
Die Regierung in Canberra gibt sich auch alle Mühe, dieser Rolle gerecht zu werden. So hat sie bereits Agenten ihrer beiden Geheimdienste nach Bali geschickt und es wird öffentlich über eine Ausbildung der berüchtigten indonesischen Kopassus-Spezialeinheiten durch Elitetruppen der australischen Armee nachgedacht. Die an ihren roten Baretten erkennbaren Kopassus-Einheiten sind gefürchtet wegen ihres brutalen Vorgehens gegen die Zivilbevölkerung und in sog. "Unruhegebieten".
Zurzeit stehen Angehörige der Kopassus außerdem in Verdacht, Ende August drei Angestellte des Minenunternehmens Freeport in Westpapua, zwei Amerikaner und einen Indonesier, ermordet zu haben.
Die indonesische Regierung hat unterdessen die Repression nach innen verschärft. Ein neues "Antiterrordekret" bestimmt unter anderem, dass Verdächtige sechs Monate ohne Anklage inhaftiert werden können, auf Waffenbesitz soll künftig die Todesstrafe stehen.
Beobachter befürchten nun eine Wiederbelebung der "Antisubversionsgesetze" der Ära Suharto, mit denen jedwede Opposition kriminalisiert werden konnte. Selbst die im Allgemeinen sehr US- freundliche Asia Times schlägt in ihrer Ausgabe vom 15.Oktober außergewöhnlich pessimistische Töne an. Unter der Überschrift "Die Terrorfront verschiebt sich nach Osten" heißt es, das Land könne sich auf eine Situation zubewegen, in der es zu einer Niederschlagung von Protestbewegungen kommen könne "…ähnlich wie in den 60er Jahren gegen die Kommunisten".

Harald Etzbach


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