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Anfang Oktober fand im nordenglischen Küstenort Blackpool der diesjährige Parteitag der Labour Party statt. Die
Vorzeichen für diesen Kongress waren stürmisch, da sich die Labour-Regierung von Monat zu Monat unbeliebter gemacht hatte. Kurz vor dem
Parteitag gab es die bis dahin größte Friedensdemonstration in England mit 400000 Teilnehmenden. Der gemeinsame Konsens war der Protest
gegen die uneingeschränkte Solidarität der englischen Regierung mit den Kriegsplänen der USA.
Auf der ökonomischen Flanke muss Labour der Radikalisierung der englischen
Gewerkschaftsbewegung begegnen. Insbesondere im öffentlichen Sektor brodelt es derzeit, Privatisierungspläne der Regierung werden weithin
abgelehnt. Zudem verlor die Labour-Rechte einige ihrer treuesten Repräsentanten innerhalb der Gewerkschaftsbewegung. In einer Reihe von Wahlen
wurden New-Labour-treue, rechte Gewerkschaftsführer durch linke, kampfbereitere ersetzt. Dies spiegelt sich nun in der Praxis wider.
Die Eisenbahnergewerkschaft RMT hat sich für die Renationalisierung der Eisenbahnen
ausgesprochen. Ihr Vorsitzender, Bob Crow, drohte an, jegliche Finanzierung der Labour Party durch die RMT einzustellen, sollte die Regierung diesem
Vorschlag nicht nachkommen.
Die Regierungsvorhaben gehen jedoch in genau entgegengesetzte Richtung. So sind im
öffentlichen Sektor weitere Stellenstreichungen und Privatisierungsmaßnahmen vorgesehen. Nicht vorgesehen sind jedoch nennenswerte
Lohnerhöhungen für die Beschäftigten. Dies alles brachte verschiedene Gewerkschaften auf die Barrikaden, und so gab es vor dem Parteitag
unter anderem Streiks von Eisenbahnern, Beschäftigten der Londoner U-Bahn und des städtischen Dienstleistungswesens.
Dies alles dürften unter anderem die Gründe gewesen sein, die den Parteitag zu
einem der schwierigsten seit langem für die New-Labour-Führungsriege gemacht haben. Immerhin 40% aller Delegierten stimmten gegen eine
Kriegsbeteiligung Großbritanniens im Falle eines Angriffs auf den Irak. Um dieses doch relativ knappe Ergebnis zu erhalten, musste die
Führungsriege taktieren. Anstatt über eine uneingeschränkte Solidarität mit den USA durften die Delegierten über
Militäraktionen "im Rahmen der Autorität der UN" abstimmen.
Eine Niederlage wurde Blair und Co. durch den Gewerkschaftsflügel beigebracht. Es waren vor allem die Stimmen aus den Gewerkschaften, die eine
Mehrheit gegen eine Parteivorstandsresolution für die private Finanzierung von Krankenhäusern zustande brachten. Private Finanzierung von
Krankenhäusern bedeutet nichts weniger, als den Privatunternehmen die Kontrolle über diese zu überlassen. Dort wo dieses System bereits
eingeführt wurde, hat es zu Mismanagement und großer Verschlechterung der Dienstleistungen geführt.
Sobald ein Privatunternehmen die Kontrolle über ein Krankenhaus übernommen
hat, werden zum Zwecke der Profitmaximierung Kosten eingespart. Das bedeutet Stellenstreichungen, längere Arbeitszeiten und damit mehr Stress
für die bleibenden Beschäftigten sowie keinerlei Investitionen in die Infrastruktur des Krankenhauses. Auf der anderen Seite, wie John Edmonds,
der Chef der Gewerkschaft GMB auf dem Parteitag feststellte, hätten sich die Manager eben jener privatisierten Krankenhäuser eine
Gehaltserhöhung von 32% geleistet.
Die harten Debatten auf dem Parteitag über die Kriegsfrage und über die
Privatisierungsfrage haben die Diskussion darüber, ob Labour noch zu retten ist, neu eröffnet. Einige sehen hier ein Neuerwachen einer
parteiinternen Opposition. Doch worin besteht diese? Zunächst einmal ist festzustellen, dass Labour seinen Charakter in den letzten Jahren grundlegend
verändert hat. Paragraph 4, Absatz 4 des Parteistatuts von Labour, der eine sozialistische Umwandlung der englischen Gesellschaft vorsieht, wurde schon
vor Jahren auf Initiative Tony Blairs abgeschafft. Linke Gruppierungen wurden weitestgehend verdrängt. Es gibt nur noch eine Hand voll alteingesessener
Linker, die als Parlamentarier für Labour standhalten. Dazu gehören Tony Benn und George Galloway.
Es sind Parteimitglieder wie diese, die dazu beitrugen, die Kriegsdebatte auf die Tagesordnung
für den Parteitag zu setzen. Dann gibt es eine größere Gruppe von Labour-Mitgliedern, insbesondere von Stadträten und anderen
Mitgliedern örtlicher Verwaltungsgremien, die den Parteivorstand zu mehr Vorsicht mahnen wollen. Sie sehen die steigende Wut auf Labour vor Ort und
fürchten, nicht wiedergewählt zu werden, sollten die Privatisierungs- und Kriegspläne von Labour zu offensiv umgesetzt werden. Diese
Furcht ist durchaus berechtigt.
So gab es während der letzten Stadtratswahlen durchweg die Tendenz alles zu
wählen, was irgendwie alternativ daherkommt. In einer Stadt setzte sich das Maskottchen des örtlichen Fußballclubs gegen den Labour-
Kandidaten in der Stadtratswahl durch.
Auf keinen Fall bedeutet die Furcht dieser Labour-Mitglieder, dass sie sonderlich links sind.
Grundsätzlich tragen sie alle Privatisierungsvorhaben der Regierung mit, sie wollen lediglich mehr taktisches Gefühl erreichen.
Dann ist da noch der Gewerkschaftsblock. Gewerkschafter in Großbritannien haben insbesondere in den letzten Monaten die Erfahrung gemacht, alle
Auseinandersetzungen gegen Labour und nicht mit Labour zu führen. Dies wirkt sich dann in Entscheidungen verschiedener Gewerkschaften aus,
Zahlungen an Labour einzuschränken. Es stehen Überlegungen im Raum, diese ganz einzustellen.
Derzeit steht in England ein Streik der Feuerwehrgewerkschaft für ein höheres
Gehalt an. Dieser wird gegen die Labour-Regierung geführt, die als Arbeitgeberseite auftritt. Labour hat angedroht, Polizei einzusetzen, um Streikbrecher
zu schützen. Viele Mitglieder der Feuerwehrgewerkschaft haben angefangen, Labour als die neuen Torys und Blair als Reinkarnation Thatchers zu
bezeichnen.
Derweil macht Labour sich von den Finanzspritzen aus der Gewerkschaftsbewegung mehr und
mehr unabhängig. Inzwischen kommen weit mehr Spenden aus den Reihen der Großindustrie als aus den Gewerkschaften. Gegen eventuelle
Linksabweichungen schützt ein rigoroser parteiinterner Zensurapparat. Für linke, radikalisierte Jugendliche hat Labour, im Gegensatz zu den 80er
Jahren, jegliche Attraktivität verloren. Die Mitgliederzahlen gingen von 405000 Mitgliedern im Jahr 1997 auf nur 288000 in diesem Jahr zurück.
Als kämpferische, linke Kraft scheint Labour verloren zu sein. Soziale Kämpfe
werden gegen Labour geführt. Jugendliche, die sich linken und sozialistischen Ideen zuwenden, bleiben Labour aus Prinzip fern. Für viele
sozialistische Aktivisten stellt sich deshalb nicht die Frage der Rückeroberung, sondern des Ersatzes durch eine neue Arbeiterpartei.
Christian Bunke (Manchester)