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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 18

Was soll aus der PDS werden?

Eine Debatte, die die gesamte Linke angeht

Ein positives Ergebnis des PDS-Parteitags war, dass er bestehende Blockaden aufgebrochen und einer offenen, kritischen Debatte über die Perspektiven der Partei den Weg frei gemacht hat. Man kann getrost davon ausgehen, dass die Diskussion sich jedenfalls bis zum Programmparteitag im nächsten Jahr hinziehen wird. Innerhalb wie außerhalb der PDS gibt es auf der Linken die Tendenz, diese Debatte als eine parteiinterne Angelegenheit zu begreifen. Wir hingegen meinen es umgekehrt: Die Debatte kann sinnvoll nur geführt werden, wenn die gesamte regierungskritische Linke sie als Gelegenheit begreift, wieder darüber zu diskutieren, wie eine sozialistische Partei denn aussehen müsste, die den heutigen Anforderungen genügt. Dazu wollen wir mit dem vorliegenden Beitrag in der SoZ eine Debatte eröffnen. d.Red.

Die Parteirechte um Dietmar Bartsch, der als Bundesgeschäftsführer maßgeblich für das schlechte Abschneiden der PDS verantwortlich war, hat sich auf dem Parteitag in Gera damit verteidigt, die Regierungsbeteiligungen in Berlin und Schwerin dürften nicht für die Wahlschlappe verantwortlich gemacht werden, weil die PDS dort qualitativ nicht mehr verloren habe als in anderen Regionen. Die Vorstellung, der Schmusekurs mit der SPD habe der PDS geschadet, gehe an den Tatsachen vorbei — heute müsse jede Partei sagen, welche Mehrheiten sie zu welchem Preis beschaffen will (vgl. die Wahlanalysen von Michael Nelken und Christoph Spehr auf der Webseite der Rosa-Luxemburg- Stiftung).
Das in Gera vielgesungene Lied: "Wir haben alle verloren…" übertönt allerdings die wirkliche Verantwortung für die Wahlniederlage. Denn die PDS hat nicht nur 300000 Stimmen an die SPD verloren, sondern noch einmal soviel an die Nichtwähler, die, ergänzt um die Stimmen, die die SPD an diese verloren hat, diesmal wieder um 700000 Stimmen angewachsen sind.
Wie Christoph Spehr von einem "Rechtsruck" der Wählerinnen und Wähler kann man deshalb nur dann sprechen, wenn man die zunehmende politische Unzufriedenheit auch von links, die sich in den steigenden Nichtwählerzahlen ausdrückt, systematisch nicht zur Kenntnis nimmt.

Gegensätzliche Anforderungen

Tatsache ist, dass die PDS in zwei konträre Richtungen verloren hat:
• Zum einen bröckelt ihr die Stammwählerschaft — die "ehemalige Dienstklasse der DDR" — dauerhaft weg. Michael Nelken nennt dafür mehrere Gründe: die PDS hat mit einem abgeschlossenen Abschnitt ihres Lebens zu tun und erscheint für ihr "neues" Leben zunehmend unwichtig; die Vertretung ostdeutscher Interessen steht nicht mehr unmittelbar im Vordergrund — viele Versorgungs- und Eigentumsfragen haben sich mittlerweile so oder so erledigt; die Parteiführung hat die bürgerlichen Sichtweise auf die DDR übernommen (und damit eine gute Portion Antikommunismus, dem zuletzt Gabi Zimmer zum Opfer fiel, als sie nach Gera in die linksradikale Ecke gestellt wurde, weil sie sich mit den Stimmen der Linken zur Vorsitzenden hatte wählen lassen).
• Zum anderen vermag die Partei es nicht, neue Wählerschichten zu binden — weder im Westen noch im Osten. Für den Osten konstatiert Nelken, den "Verlierern, die den Westen als ungerecht kennen lernten und meinten, dass im Osten doch manches viel besser war", oder denen "die Selbstherrlichkeit der neuen Herrschaft und deren Weltmachts- und Kriegspolitik suspekt war", habe die PDS "kein plausibles, überzeugendes Angebot" machen können. Nicht anders verhält es sich im Westen. Das Wählerpotenzial links von der Regierungslinken lässt sich hier gut und gern auf 5% schätzen, und in dem Maße, wie die "rot-grüne" Regierung ihre neoliberale Politik fortsetzt, wird der Ruf nach einer linken Alternative lauter werden. Doch bei der PDS verhallte er ungehört — und die Leitanträge der Parteirechten wie der Parteimitte lassen nicht erkennen, dass sich dies ändern wird.
Die Rechte setzt auf eine Mitte-Links-Regierung unter Einschluss der PDS, sie drängt darauf, in das "Reformlager" aufgenommen zu werden — ungeachtet dessen, dass "Rot-Grün" bei einem zunehmenden Teil der Bevölkerung nicht mehr als "Reform"lager wahrgenommen wird. Der Leitantrag von Gabi Zimmer setzt auf eine "Linksentwicklung von SPD und Teilen der Grünen", für die es außer Oscar Lafontaine, der nicht will, derzeit keine Adresse gibt.
Beide Optionen führen in die Sackgasse, weil sie nicht an Bedürfnissen der neuen Wählerschichten ansetzen. Diese, die politische Seite, ist aber nur ein Teil des Problems. Der andere Teil ist sozialer Natur und vielleicht noch gravierender: Die Existenzgrundlage der Partei bilden die über 6500 Mandatsträger in den Kommunen und einige Hundert in Landtagen.
Wenn man Pfründe zu verteilen hat, ist das eine gute Ausstattung. Hat man keine, und hat man sich darüber hinaus keine Basis in einer Bewegung geschaffen, die einen trägt, hängt so ein Mandatsträger in der Luft.
Deswegen kann man Nelken und Spehr nur zustimmen, wenn sie schreiben: "Die Chancen, 2006 wieder in den Bundestag zu kommen, stehen relativ schlecht — es ist schwer vorstellbar, dass die PDS im Osten bei Bundestagswahlen langfristig wieder Ergebnisse von 20% erzielen kann.
Ohne einen Ausbau der Wählerzustimmung in den westlichen Bundesländern wird die PDS die 5%-Hürde nicht mehr überschreiten können." Der Leitantrag von Zimmer formuliert das Problem so: "Je sicherer die PDS auf eigenem Grund steht, desto souveräner können wir zu Allianzen des Fortschritts beitragen. Der PDS in ihrer gegenwärtigen Verfassung mangelt es an beidem." Nur, wie kommt die Partei an neue Wählerinnen und Wähler und zu "eigenem Grund"?

Eine neue Basis für eine neue Partei

Um die Frage zu beantworten, scheint es, muss ein Perspektivwechsel vorgenommen werden: Die Diskussion über die Zukunft der Partei darf nicht länger aus der Sicht des Erhalts der Partei, sondern muss aus der Sicht der zahlreichen Nichtwähler geführt werden, die sich von ihr nicht vertreten fühlen. Aus deren Sicht hat sich der Politikstil der PDS dem der anderen etablierten Parteien angepasst — dabei kommt nicht mehr heraus, als dass selbsternannte sog. "Leistungsträger" nicht mehr gesellschaftliche Interessen vertreten, nur noch ihre eigenen. Das hat mit dem bürgerlichen (repräsentativen) Demokratiebetrieb zu tun, in dem Vertreter gesellschaftlicher Interessen nur solange geduldet werden, wie sie die herrschenden Zwänge zur Umverteilung von unten nach oben auch gegen große Teile der Bevölkerung durchsetzen.
Die Krise der repräsentativen Demokratie und die Folgen, die sich daraus für das Politik- und das Parteiverständnis der PDS ergeben, sind bis heute in der Partei kein Thema — selbst bei der Parteilinken sucht man es vergebens. Im Aufruf der Parteirechten zur Gründung einer politischen Plattform in der PDS (am 9.11. in Berlin) ist gar von der "repräsentativen Demokratie als dem bestmöglichen politischen Modell — auch unter sozialistisch gewendeten Verhältnissen" die Rede. Die PDS könnte punkten, wenn sie konsequent das Recht aller, die von den Folgen der kapitalistischen Globalisierung betroffen sind, auf Mitsprache und Mitentscheidung einfordern und einlösen würde.
Ein solcher Standpunkt führt notwendig über die Parteigrenzen hinaus. Eine PDS, die sich dafür einsetzt, dass die örtliche Arbeitsloseninitiative Räume und Gelder bekommt, die in der Gemeinde eine Bürgerversammlung gegen Privatisierungsvorhaben auf die Beine stellt, und die in Stadtrat und Landesregierung darauf besteht, dass die Bürger ein Recht haben, über Teile des Haushalts mitzuentscheiden, denkt vom Standpunkt der Gesellschaft, nicht vom Standpunkt der Partei.
Die versteht sich nicht mehr, wie der Leitantrag von Zimmer noch ganz traditionalistisch formuliert, als "Brücke zwischen den an den Rand Gedrängten und den Leistungsträgern", die "beide Elemente, Protest und kompetente Problemlösung, miteinander verbindet", sondern als ein Instrument der sozialen Bewegung. Ein solches Angebot, systematisch und für alle Politikfelder formuliert, würde ihr Zulauf verschaffen. Die Gründung von Attac zeigt: Der Wunsch sich einzumischen wächst, aber es gibt keine Bereitschaft, zum nützlichen Idioten einer Partei zu werden, deren Vertreter in den Institutionen ihre eigenen Interessen verfolgen.
Zimmer hat auf dem Parteitag die Notwendigkeit der Öffnung zu den sozialen Bewegungen betont. Aber ihre Definition der Rollenverteilung zwischen Bewegungen und Partei kann nicht überzeugen: "Bewegungen können einseitig sein, das ist ihr gutes Recht. Konzepte gegen die neoliberale Herrschaft müssen politische Bedingungen der Durchsetzung berücksichtigen und die auch formulieren." Von dieser Arroganz möge man Abstand nehmen. Dahinter steht ein Verständnis, das Politik auf institutionelle Politik reduziert und Bewegungen außerhalb für liebenswerte, aber nicht ernstzunehmende Träumer hält.
Solche "Politiker" ficht es auch nicht an, dass die Anti-AKW-Bewegung und die globalisierungskritische Bewegung, übrigens auch die Bürgerbewegung am Ende der DDR, das exakte Gegenteil beweisen. Solange die PDS das nicht zur Kenntnis nimmt und die richtigen Schlüsse daraus zieht, wird sie weder einen Brückenschlag zu den Bewegungen hinbekommen, noch sich einen "eigenen Grund" erarbeiten.
Eine solche "Öffnung" zu den Bewegungen hat ihren Preis: Sie müsste erstens integraler Bestandteil der Parteireform sein, die Gabi Zimmer bereits auf dem letzten Parteitag und jetzt wieder in Gera versprochen hat. Auch hier gilt es, Parteigrenzen niederzureißen: Öffnung der Partei für Nicht-Mitglieder, Wiedereinrichtung der IGs und AGs, deren Aufwertung als ZuarbeiterInnen für Vorstände und Fraktionen, usw. Die "Apparatfraktion" würde damit erheblich zurechtgestutzt.
Sie müsste zweitens auf Wahlbündnisse orientieren — Kommunalwahlen und Europawahlen bieten sich dafür an. Die PDS kann nicht länger den Anspruch erheben, "die sozialistische Partei" in Deutschland zu sein. Ebensowenig können allerdings politische Organisationen außerhalb der PDS die Haltung pflegen, eine solche Partei könnte ohne Beteiligung nenneswerter Teile von und ohne Auseinandersetzung mit der PDS zustandekommen. Ein positiver Neuansatz kommt nur dann dabei heraus, wenn parteiübergreifend ein gemeinsamer Dialog zustande kommt über die Partei, die wir brauchen.

Angela Klein


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