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Die Parteirechte um Dietmar Bartsch, der als Bundesgeschäftsführer maßgeblich für das schlechte
Abschneiden der PDS verantwortlich war, hat sich auf dem Parteitag in Gera damit verteidigt, die Regierungsbeteiligungen in Berlin und Schwerin dürften
nicht für die Wahlschlappe verantwortlich gemacht werden, weil die PDS dort qualitativ nicht mehr verloren habe als in anderen Regionen. Die
Vorstellung, der Schmusekurs mit der SPD habe der PDS geschadet, gehe an den Tatsachen vorbei heute müsse jede Partei sagen, welche
Mehrheiten sie zu welchem Preis beschaffen will (vgl. die Wahlanalysen von Michael Nelken und Christoph Spehr auf der Webseite der Rosa-Luxemburg-
Stiftung).
Das in Gera vielgesungene Lied: "Wir haben alle verloren…" übertönt
allerdings die wirkliche Verantwortung für die Wahlniederlage. Denn die PDS hat nicht nur 300000 Stimmen an die SPD verloren, sondern noch einmal
soviel an die Nichtwähler, die, ergänzt um die Stimmen, die die SPD an diese verloren hat, diesmal wieder um 700000 Stimmen angewachsen sind.
Wie Christoph Spehr von einem "Rechtsruck" der Wählerinnen und
Wähler kann man deshalb nur dann sprechen, wenn man die zunehmende politische Unzufriedenheit auch von links, die sich in den steigenden
Nichtwählerzahlen ausdrückt, systematisch nicht zur Kenntnis nimmt.
Tatsache ist, dass die PDS in zwei konträre Richtungen verloren hat:
Zum einen bröckelt ihr die Stammwählerschaft die "ehemalige Dienstklasse der DDR" dauerhaft
weg. Michael Nelken nennt dafür mehrere Gründe: die PDS hat mit einem abgeschlossenen Abschnitt ihres Lebens zu tun und erscheint für
ihr "neues" Leben zunehmend unwichtig; die Vertretung ostdeutscher Interessen steht nicht mehr unmittelbar im Vordergrund viele
Versorgungs- und Eigentumsfragen haben sich mittlerweile so oder so erledigt; die Parteiführung hat die bürgerlichen Sichtweise auf die DDR
übernommen (und damit eine gute Portion Antikommunismus, dem zuletzt Gabi Zimmer zum Opfer fiel, als sie nach Gera in die linksradikale Ecke
gestellt wurde, weil sie sich mit den Stimmen der Linken zur Vorsitzenden hatte wählen lassen).
Zum anderen vermag die Partei es nicht, neue Wählerschichten zu binden weder im Westen noch im Osten. Für den
Osten konstatiert Nelken, den "Verlierern, die den Westen als ungerecht kennen lernten und meinten, dass im Osten doch manches viel besser war",
oder denen "die Selbstherrlichkeit der neuen Herrschaft und deren Weltmachts- und Kriegspolitik suspekt war", habe die PDS "kein plausibles,
überzeugendes Angebot" machen können. Nicht anders verhält es sich im Westen. Das Wählerpotenzial links von der
Regierungslinken lässt sich hier gut und gern auf 5% schätzen, und in dem Maße, wie die "rot-grüne" Regierung ihre
neoliberale Politik fortsetzt, wird der Ruf nach einer linken Alternative lauter werden. Doch bei der PDS verhallte er ungehört und die
Leitanträge der Parteirechten wie der Parteimitte lassen nicht erkennen, dass sich dies ändern wird.
Die Rechte setzt auf eine Mitte-Links-Regierung unter Einschluss der PDS, sie drängt
darauf, in das "Reformlager" aufgenommen zu werden ungeachtet dessen, dass "Rot-Grün" bei einem zunehmenden Teil
der Bevölkerung nicht mehr als "Reform"lager wahrgenommen wird. Der Leitantrag von Gabi Zimmer setzt auf eine "Linksentwicklung
von SPD und Teilen der Grünen", für die es außer Oscar Lafontaine, der nicht will, derzeit keine Adresse gibt.
Beide Optionen führen in die Sackgasse, weil sie nicht an Bedürfnissen der neuen
Wählerschichten ansetzen. Diese, die politische Seite, ist aber nur ein Teil des Problems. Der andere Teil ist sozialer Natur und vielleicht noch
gravierender: Die Existenzgrundlage der Partei bilden die über 6500 Mandatsträger in den Kommunen und einige Hundert in Landtagen.
Wenn man Pfründe zu verteilen hat, ist das eine gute Ausstattung. Hat man keine, und
hat man sich darüber hinaus keine Basis in einer Bewegung geschaffen, die einen trägt, hängt so ein Mandatsträger in der Luft.
Deswegen kann man Nelken und Spehr nur zustimmen, wenn sie schreiben: "Die
Chancen, 2006 wieder in den Bundestag zu kommen, stehen relativ schlecht es ist schwer vorstellbar, dass die PDS im Osten bei Bundestagswahlen
langfristig wieder Ergebnisse von 20% erzielen kann.
Ohne einen Ausbau der Wählerzustimmung in den westlichen Bundesländern wird
die PDS die 5%-Hürde nicht mehr überschreiten können." Der Leitantrag von Zimmer formuliert das Problem so: "Je sicherer die
PDS auf eigenem Grund steht, desto souveräner können wir zu Allianzen des Fortschritts beitragen. Der PDS in ihrer gegenwärtigen
Verfassung mangelt es an beidem." Nur, wie kommt die Partei an neue Wählerinnen und Wähler und zu "eigenem Grund"?
Um die Frage zu beantworten, scheint es, muss ein Perspektivwechsel vorgenommen werden: Die Diskussion über die Zukunft der Partei darf nicht
länger aus der Sicht des Erhalts der Partei, sondern muss aus der Sicht der zahlreichen Nichtwähler geführt werden, die sich von ihr nicht
vertreten fühlen. Aus deren Sicht hat sich der Politikstil der PDS dem der anderen etablierten Parteien angepasst dabei kommt nicht mehr heraus,
als dass selbsternannte sog. "Leistungsträger" nicht mehr gesellschaftliche Interessen vertreten, nur noch ihre eigenen. Das hat mit dem
bürgerlichen (repräsentativen) Demokratiebetrieb zu tun, in dem Vertreter gesellschaftlicher Interessen nur solange geduldet werden, wie sie die
herrschenden Zwänge zur Umverteilung von unten nach oben auch gegen große Teile der Bevölkerung durchsetzen.
Die Krise der repräsentativen Demokratie und die Folgen, die sich daraus für das
Politik- und das Parteiverständnis der PDS ergeben, sind bis heute in der Partei kein Thema selbst bei der Parteilinken sucht man es vergebens. Im
Aufruf der Parteirechten zur Gründung einer politischen Plattform in der PDS (am 9.11. in Berlin) ist gar von der "repräsentativen Demokratie
als dem bestmöglichen politischen Modell auch unter sozialistisch gewendeten Verhältnissen" die Rede. Die PDS könnte
punkten, wenn sie konsequent das Recht aller, die von den Folgen der kapitalistischen Globalisierung betroffen sind, auf Mitsprache und Mitentscheidung
einfordern und einlösen würde.
Ein solcher Standpunkt führt notwendig über die Parteigrenzen hinaus. Eine PDS,
die sich dafür einsetzt, dass die örtliche Arbeitsloseninitiative Räume und Gelder bekommt, die in der Gemeinde eine
Bürgerversammlung gegen Privatisierungsvorhaben auf die Beine stellt, und die in Stadtrat und Landesregierung darauf besteht, dass die Bürger ein
Recht haben, über Teile des Haushalts mitzuentscheiden, denkt vom Standpunkt der Gesellschaft, nicht vom Standpunkt der Partei.
Die versteht sich nicht mehr, wie der Leitantrag von Zimmer noch ganz traditionalistisch
formuliert, als "Brücke zwischen den an den Rand Gedrängten und den Leistungsträgern", die "beide Elemente, Protest und
kompetente Problemlösung, miteinander verbindet", sondern als ein Instrument der sozialen Bewegung. Ein solches Angebot, systematisch und
für alle Politikfelder formuliert, würde ihr Zulauf verschaffen. Die Gründung von Attac zeigt: Der Wunsch sich einzumischen wächst,
aber es gibt keine Bereitschaft, zum nützlichen Idioten einer Partei zu werden, deren Vertreter in den Institutionen ihre eigenen Interessen verfolgen.
Zimmer hat auf dem Parteitag die Notwendigkeit der Öffnung zu den sozialen
Bewegungen betont. Aber ihre Definition der Rollenverteilung zwischen Bewegungen und Partei kann nicht überzeugen: "Bewegungen
können einseitig sein, das ist ihr gutes Recht. Konzepte gegen die neoliberale Herrschaft müssen politische Bedingungen der Durchsetzung
berücksichtigen und die auch formulieren." Von dieser Arroganz möge man Abstand nehmen. Dahinter steht ein Verständnis, das
Politik auf institutionelle Politik reduziert und Bewegungen außerhalb für liebenswerte, aber nicht ernstzunehmende Träumer hält.
Solche "Politiker" ficht es auch nicht an, dass die Anti-AKW-Bewegung und die
globalisierungskritische Bewegung, übrigens auch die Bürgerbewegung am Ende der DDR, das exakte Gegenteil beweisen. Solange die PDS das
nicht zur Kenntnis nimmt und die richtigen Schlüsse daraus zieht, wird sie weder einen Brückenschlag zu den Bewegungen hinbekommen, noch
sich einen "eigenen Grund" erarbeiten.
Eine solche "Öffnung" zu den Bewegungen hat ihren Preis: Sie müsste
erstens integraler Bestandteil der Parteireform sein, die Gabi Zimmer bereits auf dem letzten Parteitag und jetzt wieder in Gera versprochen hat. Auch hier gilt es,
Parteigrenzen niederzureißen: Öffnung der Partei für Nicht-Mitglieder, Wiedereinrichtung der IGs und AGs, deren Aufwertung als
ZuarbeiterInnen für Vorstände und Fraktionen, usw. Die "Apparatfraktion" würde damit erheblich zurechtgestutzt.
Sie müsste zweitens auf Wahlbündnisse orientieren Kommunalwahlen
und Europawahlen bieten sich dafür an. Die PDS kann nicht länger den Anspruch erheben, "die sozialistische Partei" in Deutschland zu
sein. Ebensowenig können allerdings politische Organisationen außerhalb der PDS die Haltung pflegen, eine solche Partei könnte ohne
Beteiligung nenneswerter Teile von und ohne Auseinandersetzung mit der PDS zustandekommen. Ein positiver Neuansatz kommt nur dann dabei heraus, wenn
parteiübergreifend ein gemeinsamer Dialog zustande kommt über die Partei, die wir brauchen.
Angela Klein