SoZ Sozialistische Zeitung |
Die neuen globalisierungskritischen Bewegungen sind ein amorpher Haufen heterogenster Gruppen und Strömungen.
Revolutionäre und Reformisten, Demokraten und Sozialisten, Gewerkschafter und Jugendliche, Arbeitslose und Politfunktionäre usw. usf. Man
weiß, sie agieren in vielen Ländern und in der Regel sogar grenzüberschreitend. Man weiß auch, dass sie eine etwas andere Form der
Globalisierung wollen, aber was genau, da beginnen schon die Streitigkeiten. Und je mehr sie bekannt (und beliebt) werden, desto mehr wächst der Bedarf
an Orientierung und Analyse. Das ist der Moment der Verlage. Und in der Tat: seit einigen Monaten mehren sich die Buchveröffentlichungen zu den
neuen außerparlamentarischen Bewegungen rund um die Gruppe Attac.
Es sind zumeist Sammelbände, in denen Exponenten und Aktivisten der diversesten
Gruppierungen Beiträge zu den Themen und Positionen ihrer Arbeit beisteuern. Christophe Aguitons Werk über die Akteure des Widerstands hebt
sich von ihnen insofern ab, als er es unternommen hat, nicht nur einen Überblick über die breite Palette dessen zu geben, was sich da weltweit
bewegt. Er versucht auch eine analytische Gesamteinschätzung jener so genannten "Antiglobalisierungsbewegung", die seit den Ereignissen
von Genua vor einem Jahr auch in Deutschland zum umstrittenen Objekt theoriepolitischer Diskussionen geworden ist.
Aguiton, "ein Aktivist der ersten Stunde und internationaler Sprecher von Attac
Frankreich" (O-Ton Verlagswerbung), zieht seinen analytischen Bogen von den strukturellen Veränderungen der kapitalistischen
Weltökonomie seit Beginn der 80er Jahre über die damit verbundenen politischen Kampfzyklen bis zum Wendejahr 2001. Es ist dieser ganzheitliche
Blick, der das Buch zu einem gelungenen und wichtigen Beitrag macht.
Ausführlich beschreibt Aguiton das neue Akkumulationsregime als eine spezifische
Form des internationalen Finanzkapitalismus. Und er beschreibt sehr schön, wie diese neuen ökonomischen Imperative durch neue politische
Institutionalisierungsformen abgesichert werden. Vor allem die Rolle von IWF und Weltbank nimmt er aufs Korn, zeigt aber auch, dass sie letztlich versuchen,
die gleichermaßen politischen wie ökonomischen Vorgaben des neuen Welthegemon, der USA, durchzusetzen und abzusichern
("Washingtoner Consensus"): Begrenzung des Haushaltsdefizits, Sparzwang und Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften; Reform des
Steuerwesens zugunsten der Vermögenden, Liberalisierung der Finanzmärkte, Öffnung der Märkte und Subventionsabbau,
Privatisierung, Deregulierung und Konkurrenzwettkampf.
Dass und wie Aguiton aufzeigt, dass sich mit der Durchsetzung des Neoliberalismus auch der
politische Kampfzyklus verändert hat, ist der für deutsche Leserinnen und Leser wahrscheinlich wichtigste, weil am wenigsten vertraute Teil des
Buches. Er zeigt auf, dass wir es seit Beginn der 80er Jahre mit einer tiefen Krise sowohl der autozentrierten Entwicklungsmodelle in der Dritten Welt, wie auch
des sozialdemokratischen Nachkriegskeynesianismus zu tun haben. Die Todeskrise der bürokratischen Planwirtschaften hat schließlich die
welthistorische Niederlage der Linken zu Beginn der 90er Jahre so perfekt wie umfassend gemacht.
Da Aguiton nicht zu jenen Linken gehört, die, weil mal der Wind frontal bläst, aus
der Not die Tugend des Fatalismus machen, hat er sich die nötige Sensibilität bewahrt, das historisch neue und ausgesprochen wichtige an den neuen
globalisierungskritischen Bewegungen zu erkennen. Es sind die unter diesen weltpolitischen Bedingungen zwangsläufigen Versuche, eine breite neue
Widerstandskultur gegen die Zumutungen des globalisierten Kapitals hervorzubringen. Detailliert beschreibt er die diversen Bewegungen: die neue
Jugendbewegung ebenso wie die Bewegungen gegen soziale Ausgrenzung, Bewegungen gegen das Patriarchat ebenso wie Bauernbewegungen, die
Nichtregierungsorganisationen ebenso wie die umfangreichen Versuche einer radikalreformerischen Erneuerung der Gewerkschaftsbewegungen weltweit.
Im Zentrum dieser Bewegungen steht der Protest gegen die die Gesellschaft durchdringende
Profit- und Konkurrenzökonomie, gegen Verdinglichung und Entfremdung. Ganz praktisch wird hier angegangen gegen zentrale Institutionen der
kapitalistischen Weltwirtschaft und gegen jene vorherrschenden Parteien, die sich denselben unterordnen. Man will teilhaben, mitbestimmen, ändern
und dies im Geiste internationaler Solidarität. Es ist also ernstlich kaum zu bestreiten, dass die neuen sozialen Bewegungen gegen die aktuelle
Verfasstheit des neoliberal herrschenden Kapitalismus aufbegehren, und dass sie damit ihrer objektiven Logik nach antikapitalistisch sind, ohne dass sich dies bei
jedem in dieser Form subjektiv niederschlagen muss.
Aguiton weiß um diese Spannung. Trotz gelegentlicher Überhöhung der
Verdienste und Originalitäten der neuen Bewegungen, ist er nicht unkritisch: Es gelte deswegen, "den kämpferischen Flügel der
Bewegung aufzubauen".
Christoph Jünke