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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 7

Rürup-Kommission

Keine Sicherheit, nirgends

Die Presse tönt, der Bundesregierung fehle es an Mut zu den notwendigen radikalen Reformen und der Bundeskanzler betreibe inzwischen Gewerkschaftspolitik. Aber tatsächlich kann dieser Eindruck nur entstehen (soweit die Schreiberlinge ihn denn überhaupt haben und nicht einfach lügen), weil die Gewerkschaften fast vollständig in den neoliberalen Konsens eingebunden sind. Und die Einrichtung der Rürup-Kommission zeigt: Die Bundesregierung macht ernst mit dem Generalangriff auf die öffentliche Daseinsvorsorge.

Sechsundzwanzig sog. Expertinnen und Experten zählt das Gremium, das im Idealfall tun soll, was seine Vorbilder Hartz- Kommission und Nationaler Ethikrat vorgemacht haben: Es soll den weiteren Umbau der BRD zum Wettbewerbsstaat als nationalen Konsens darstellen. Damit‘s alle glauben, muss es natürlich vorher ein wenig Streit geben. So redet die Frankfurter Rundschau davon, dass dort "vehemente Verfechter der kapitalgedeckten Altersvorsorge" ebenso vertreten seien "wie der IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel, der ein umlagefinanziertes System mit extremen Umverteilungselementen vertritt". In der Tat hatte die IG BAU ein solches Modell während der Rentenreformdebatte vorgelegt — allerdings war Wiesehügel als SPD-MdB im Bundestag dann doch auf Riester-Kurs gebracht worden.
Dabei ist er immer noch dasjenige Kommissionsmitglied, das am ehesten sozialstaatliche Vorstellungen vertreten dürfte. DGB-Vizevorsitzende Ursula Engelen-Kefer war schon engstens in den Hartz-Konsens eingebunden und wird sich auch diesmal nicht lumpen lassen. Von der Kollegin aus der IG BCE und dem Betriebsratsvorsitzenden von BMW ist eine Orientierung auf harte Auseinandersetzung mit den neoliberalen Einpeitschern nicht ernsthaft zu erwarten. Und auch der Vertreter der Rentenversicherungsträger dürfte so wenig auf gesellschaftliche Gegenmobilisierung setzen wie die Dame aus dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (eine ehemalige hessische SPD- Ministerin). Das war‘s dann auch schon. Ansonsten haben wir‘s mit Leuten aus Wissenschaft und Verbänden zu tun, von denen niemand jemals eine sozialstaatliche Vorstellung vertreten hat.
Der Kommissionsvorsitzende selbst, der Darmstädter Wirtschaftwissenschaftler Bert Rürup, ist ein gestandener Neoliberaler und Privatisierer. In seiner Tätigkeit als Wirtschaftsgutachter ebenso wie als Berater bei Riesters Rentenreform hat er diesen Ruf stets sorgfältig gepflegt. Die drastische Senkung der "Lohnnebenkosten" genannten Bestandteile des Arbeitsentgelts ist ihm ebenso ein Herzensanliegen wie der Aufbau einer kapitalgedeckten privaten Alterssicherung.
Da passt es gut, dass seine Kommission auch dafür zuständig sein wird, Vorschläge für die langfristige Gestaltung der Altersrenten zu machen. Schon im März hatte Kanzler Schröder angekündigt, in der kommenden Legislaturperiode sei eine weitere, vielleicht sogar eine vollständige Privatisierung der Altersversorgung notwendig. Nunmehr hat seine Sozialministerin den passenden "Experten" berufen.
Da ist es nicht mehr als Theaterdonner, wenn Ministerin Schmidt einzelne Widersprüche betont wie den, dass sie sich nicht unmittelbar dem Vorschlag anschließt, eine nach den Regeln der Privatversicherung gestaltete Krankenversicherung aufzubauen und den sozialen Ausgleich aus der Steuerkasse zu bezahlen. Das Spiel mit verteilten Rollen — hier die Ministerin, die den Sozialstaat umbauend erhalten will, dort der Experte, der auch die unbequemen Wahrheiten ausspricht — ist weder originell noch glaubwürdig: Warum sollte sich die Ministerin eine Kommission berufen haben, die etwas anderes herausbekommen wird, als sie politisch will? Wie sagte der Vorsitzende: "Es wird natürlich auch Konflikte geben. Wir wollen versuchen, damit rational umzugehen."

Alter, Gesundheit, Arbeit, Lohn

Die Rentenreform vor zwei Jahren markierte die perspektivische Wiederbelebung des Armutsrisikos Alter, indem sie sich von der Lebensstandard sichernden Rente verabschiedete. Die Rürup-Kommission soll Vorschläge präsentieren, wie die Lebensrisiken Krankheit und Alter ganz oder doch sehr weitgehend privatisiert werden können.
Doch das aktuelle Herzstück sozialer Demontage ist augenblicklich die Arbeitsmarktpolitik. Kern des Konzepts sind: Staatlich organisierte flächendeckende Leiharbeit, also Ausweitung der Niedriglohnbeschäftigung per Tarifvertrag, "Neutralisierung des Kündigungsschutzes", wie die Hartz-Kommission selbst formuliert, massive Ausweitung der Scheinselbstständigkeit durch "Ich-AGs", massive Förderung ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten und den Aufbau eines starken Drucks, schon mit 50 zu miesesten finanziellen Bedingungen aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, während Rürup von der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre redet, also die Rentenabschläge weiter anheben will. Perspektivisch kommt die Beseitigung der Arbeitslosenhilfe und die Kürzung der Sozialhilfe dazu.
Das Risiko, ohne Erwerbsarbeit auch einkommenslos dazustehen, wird damit komplett auf die Betroffenen verlagert. Und war es bisher so, dass die in Beschäftigung Befindlichen zwar oft eine Scheißarbeit, aber immerhin ein (manchmal sogar halbwegs akzeptables) Einkommen haben, will die SPD auch hier Abhilfe schaffen — und diesmal unterstützt sie auch die PDS, wo sonst immer die Grünen die Rolle des neoliberalen Wadenbeißers übernehmen: Das Land Berlin hat beschlossen, den Arbeitgeberverband zu verlassen und damit aus der Tarifgebundenheit auszusteigen.
Das ist im Bundesrat auf das Wohlwollen vieler Länder gestoßen. Die Privaten werden‘s mit Vergnügen hören. Was könnte ihnen Besseres passieren, als dass die öffentlichen Arbeitgeber den Flächentarifvertrag zerstören, immerhin das soziale Sicherungssystem, das immer noch die relativ meisten Menschen vor ökonomischer Not bewahrt? Wer wollte es den Privaten übelnehmen, wenn sie‘s den Öffentlichen gleichtun?
Alter, Krankheit, Erwerbslosigkeit, Hungerlöhne, schutzlose Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt — alle Sicherungen gegen die Risiken des kapitalistischen Ausbeutungssystems halten nicht mehr. Und nun?

Werner Rätz

Werner Rätz ist Mitarbeiter der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn und vertritt die ila im Koordinierungskreis von Attac Deutschland.




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