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Die deutsche Finanzpolitik hat sich in eine Lage manövriert, in der sie die wirtschaftliche Entwicklung blockiert und die
soziale Spaltung vertieft. Sie richtet sich vorrangig darauf, die Ausgaben der öffentlichen Haushalte zu senken und durch immer neue Sparprogramme die
Haushaltsdefizite bis zum Jahre 2004 auf nahezu Null zu bringen.
Betroffen von den Streichungen und Kürzungen sind vor allem Sozialleistungen,
Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie die öffentlichen Investitionen. Die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden
für Sachinvestitionen sind in den letzten zehn Jahren absolut von 52 Mrd. Euro im Jahre 1992 auf 40 Mrd. Euro im vergangenen Jahr, also um über
ein Fünftel gesenkt worden, darunter die öffentlichen Investitionen der Länder und Gemeinden Ostdeutschlands (ohne Berlin) von 11,6 Mrd.
Euro auf 7,8 Mrd. Euro (2000).
Dies führt zu irreparablen Schäden an der Infrastruktur, die die wirtschaftliche
Entwicklung blockieren. Die Einsparungen bei Bildung, Ausbildung und Wissenschaft lassen das geistige Potenzial der Menschen ungenutzt, und die
Kürzungen der Sozialleistungen drücken Millionen an den Rand der Gesellschaft. Überdies ist staatliche Sparpolitik in Zeiten anhaltender
Massenarbeitslosigkeit wirtschaftlich unvernünftig, weil sie zur allgemeinen Schwäche der Nachfrage beiträgt und damit
krisenverschärfend wirkt.
Zur Begründung der von Rot-Grün verfolgten Sparpolitik wird neben dem
ökonomisch nicht sinnvollen Ziel, die öffentliche Kreditaufnahme auf Null zurückzuführen, der Mangel an staatlichen Einnahmen
angeführt. Dieser Mangel ist jedoch weitgehend selbst verschuldet. Die konservative Bundesregierung hatte in den 16 Jahren ihrer Amtszeit ihren
wirtschaftspolitischen Ehrgeiz vorrangig darauf gesetzt, die Steuern zu senken; und die nachfolgende rot-grüne Regierung hat diese Orientierung im
Widerspruch zu ihrem Koalitionsvertrag nach einer kurzen Aufbruchphase übernommen.
Die jüngsten Senkungen der Körperschaftsteuer und des Spitzensteuersatzes bei
der Einkommensteuer sowie die Steuerbefreiung von Gewinnen aus der Veräußerung von inländischen Kapitalbeteiligungen haben die
Notlage der öffentlichen Haushalte insbesondere bei den Ländern und Gemeinden dramatisch verschärft und die soziale
Polarisierung weiter vorangetrieben.
In dieser Situation ist es ein besonderer Skandal, dass die rot-grüne Bundesregierung
trotz gegenteiliger Versprechen im Wahlkampf 1998 und einem Hinweis im Koalitionsvertrag die Vermögensteuer nun definitiv nicht mehr erheben will.
Die bis 1997 bestehende Vermögensteuer war 1995 vom Bundesverfassungsgericht u.a. beanstandet worden, weil das Grund- und
Immobilienvermögen wegen der niedrigen Bemessungsgrundlagen zu gering besteuert und damit der Grundsatz der Gleichbehandlung aller
Vermögensarten verletzt werde. Statt die Berechnung des Grund- und Immobilienvermögens nun auf eine realistische höhere Grundlage zu
stellen, hatte die alte Bundesregierung die Erhebung der Vermögensteuer kurzerhand ganz ausgesetzt.
Dieser Verzicht auf die Vermögensteuer hat die Haushaltssituation weiter angespannt und die soziale Ungerechtigkeit verschärft.
Dass die Erhebung einer Vermögensteuer vor allem aus Gründen der sozialen
Gerechtigkeit angemessen ist, belegt auch die außerordentlich große und in den 90er Jahren weiter gestiegene Ungleichheit der
Vermögensverteilung in Deutschland. Nach der letzten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Bundes verfügten die 10% reichsten
Haushalte in Deutschland 1998 über gut die Hälfte (50,4%) des gesamten Nettogeldvermögens; 1993 hatte dieser Anteil noch bei 46,4%
gelegen. Am anderen Ende der Verteilung hatte 1993 die untere Hälfte aller Haushalte 7,7% des Nettogeldvermögens besessen, und dieser Anteil
sank bis 1998 auf 4,7%. Während das untere Viertel der Haushalte 1993 noch einen kleinen positiven Anteil am Nettogeldvermögen besaß
(0,1%), überstiegen 1998 hier die Schulden sogar das Vermögen (1,5%).
Die leistungslosen Vermögenseinkommen sind in den 90er Jahren im Vergleich zu allen
anderen Einkommensarten weitaus am schnellsten gestiegen. Nach Berechnungen des WSI nahmen sie (brutto, saldiert) von 125 Mrd. Euro 1991 auf 205 Mrd.
Euro 2000, damit um 64% zu.
Vermögensteuern sind in anderen Ländern üblich und tragen dort in
erheblichem Umfang in den USA, Großbritannien und Japan bspw. zu über 10% zum gesamten Steueraufkommen bei. Schon Mitte
der 90er Jahre, als die Vermögensteuer in Deutschland noch erhoben wurde, lag ihr Beitrag zu den Steuereinnahmen mit 2,8% weit unter dem der
genannten Vergleichsländer. Es kann also auch nicht argumentiert werden, dass die Wiedereinführung der Vermögensteuer in Deutschland
einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Ländern schaffe.
Wir fordern daher die Bundesregierung und die Landesregierungen auf, die Vermögensteuer auf einer neuen, den Geboten des
Bundesverfassungsgerichts entsprechenden Grundlage in Deutschland wieder einzuführen.
Im Einzelnen sollte die Ausgestaltung wie folgt aussehen:
Immobilienvermögen wird mit dem Ertragswert (d.h. dem 18fachen der Jahresmiete) angesetzt;
pro Haushalt gibt es einen Freibetrag von 350000 Euro der sich um 75000 Euro je Kind erhöht;
der Steuersatz beträgt 1% auf das Nettovermögen (= Bruttovermögen minus Schulden).
Auf dieser Grundlage würde die Vermögensteuer bei vorsichtiger Schätzung zu einem Steueraufkommen von 16 Mrd. Euro pro Jahr
führen.
Dies ist ein relativ bescheidener Betrag, der keinesfalls die Lösung aller Finanzprobleme
in Deutschland ermöglicht. Weitere Steuererhöhungen z.B. die Wiedereinführung der Anfang der 90er Jahre abgeschafften
Kapitalverkehrssteuern sowie die stärkere und konsequent kontrollierte Besteuerung von Spekulationsgewinnen sind mittelfristig erforderlich.
Die schnelle Wiedereinführung der Vermögensteuer würde jedoch ein
wichtiges politisches Signal setzen. Sie ist ein deutlich sichtbarer Schritt des politischen Umsteuerns weg von einer Politik ökonomischer
Unvernunft und sozialer Polarisierung, hin zu mehr wirtschaftlicher Vernunft und zu sozialer Gerechtigkeit.