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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 9

Soziale Sicherungssysteme

Mehr Stimmung gegen Hartz!

Seit Oktober entstehen überall Initiativen gegen die Hartz-Pläne, klären auf, planen Proteste und Aktionen. Aber es ist wichtig, dies noch auszuweiten!

Einhellig wird von den Betroffenen festgehalten, dass die Verwirklichung der Vorschläge der Hartz-Kommission, den augenblicklich massivsten Angriff auf die sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik darstellen, was sich nicht nur auf die Arbeitslosen, und hier besonders auf die weiblichen auswirken wird, sondern in alle Beschäftigungsverhältnisse den Druck der Niedriglohn-, Leih- und Zeitarbeit hinein tragen soll.
Nach Konferenzen und Veranstaltungen unter anderem in Berlin, Frankfurt und im Ruhrgebiet wird die Vernetzung aller Initiativen und Aktionen geplant. Dabei geht es um
—Aktionen am Tag der Arbeitslosen im Februar,
—Proteste der Betroffenen bei Politikern und Arbeitsämtern,
—Vorplanung einer Konferenz, die nicht nur die Angriffe auf die Arbeitslosenversicherung sondern auf alle sozialen Sicherungssysteme im Auge hat!

Im Labournet ist eine Dokumentation vieler Aufrufe und Artikel sowie Aktuelles zur Vernetzung einsehbar. Unter anderem ein Sondermemorandum der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik gegen die Hartz-Vorschläge.
In Berlin kam es sehr früh schon zu einer Initiative gegen die Hartz-Vorschläge, die dann zu einer Veranstaltung im Audimax der Humboldt-Universität aufrief:
"Obwohl sich das Leben vieler Bürgerinnen und Bürger erheblich geändert haben wird, wenn die Hartz-Module Wirklichkeit geworden sind, ist deren Wirkung bisher nur in Expertenkreisen diskutiert worden. Die Gewerkschaftsspitzen sind mit im Boot und die rot-grüne Regierung verkauft ihre Ideen wie auf dem Jahrmarkt. Die Medien organisieren die Show.
Inzwischen regt sich Empörung in vielen gesellschaftlichen Gruppen über die Arbeitsmarktvorhaben der Regierung. Die Gewerkschaft Ver.di Berlin hat sich gegen die Hartz-Pläne positioniert, in der IG Metall kritisiert die Basis das Konzept, verschiedene Erwerbslosengruppen, soziale und politische Inis, GewerkschafterInnen und Einzelpersonen haben sich in Berlin zu einem Anti-Hartz- Bündnis zusammengeschlossen. Ihr Protest richtet sich nicht nur gegen einzelne Vorschläge, sondern gegen das gesamte Konzept. Lasst uns die Proteste bündeln und eine Gegenöffentlichkeit herstellen!"
Zu dieser Veranstaltung kamen über 500 Menschen, die unter anderem von Detlev Hensche, früher IG-Medien-Vorsitzender, Mag Wompel, Redakteurin von Labournet, und Christa Sonnenfeld, früher Mitarbeiterin beim Frankfurter Arbeitslosenzentrum, über die Folgen der Angriffe auf die Arbeitenden und die Arbeitslosen informiert wurden.
Die AG Soziale Sicherungssysteme von Attac tagte im November mit so vielen Leuten wie noch nie, und zwar hauptsächlich zu den Fragen des Gesundheitswesens. Gleichzeitig wurde aber unter dem Stichwort "Hartz" eingeschätzt, dass dies der im Augenblick weitestreichende Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme wäre, dem nur durch Druck von unten zu begegnen wäre. Die Zeitung Express berichtete seitenlang über Argumente gegen die Hartz-Pläne.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG SHI) rief für den 18.Dezember zur Gründung einer regionalen Initiative im Frankfurter Raum auf, nachdem sich schon vorher Hunderte von Menschen auf einer Veranstaltung im Haus des DGB in Frankfurt an den Protesten gegen die Hartz-Pläne beteiligt hatten. Sie schreiben:
"Die Leiharbeit soll nach dem Willen der Regierung massiv ausgedehnt werden. Hier werden Löhne angestrebt, die nach wie vor erheblich unter dem Lohnniveau der Entleihbetriebe liegen. Dadurch werden Normalbeschäftigte durch LeiharbeiterInnen ersetzt. Die gleichen Verdrängungseffekte werden durch die Ausdehnung der geringfügigen Beschäftigung (Minijobs) und der Scheinselbstständigkeit (Ich-AG) ausgelöst. Der Druck auf Erwerbslose, zu niedrigen Löhnen zu arbeiten, wächst, wenn ihnen noch leichter als vorher die Unterstützung gekürzt werden kann, weil die Zumutbarkeit erhöht wird. Für ältere Arbeitnehmer ab 50 Jahre sollen jederzeit befristete Arbeitsstellen zumutbar sein. Wer das nicht mehr mitmachen kann, darf sich mit 55 gerne aus dem Erwerbsleben verabschieden, und von der Hälfte des Arbeitslosengeldes bzw. der Arbeitslosenhilfe leben..."
Die Nationale Armutskonferenz stellt in einer Presseerklärung heraus, "dass die geplanten Einsparungen in Höhe von insgesamt 5,84 Mrd. Euro — davon 2,48 Mrd. bei der Arbeitslosenhilfe — die Armutsproblematik in Deutschland weiter verschärfen werden. Die Kürzungen in Folge der Arbeitsmarktreform treffen vor allem Familien und insbesondere Frauen, weil Partnereinkommen und Vermögen noch stärker als bisher berücksichtigt werden." Aus Sicht der Nationalen Armutskonferenz ein weiterer Schritt, hin zu "amerikanischen Verhältnissen", mit dem Ziel, die US-amerikanischen "working poor" auch in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen.
Der Arbeitslosenverband Deutschland, Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, schreibt im Dezember 2002 an Minister Clement: "Insgesamt ist es der Hartz-Kommission nicht gelungen, der besonderen Situation der Massenlangzeitarbeitslosigkeit im Osten Deutschlands auch nur in Ansätzen gerecht zu werden. Uns fehlen Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und es gibt durch den dramatischen Rückgang von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen immer weniger Entlastung durch die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ... Die Losung heißt somit nicht Kampf für mehr Arbeitsplätze, sondern Kampf den Arbeitslosenzahlen."
Die Ruhrgebietsinitiative gegen die Hartz-Pläne schreibt: "Am 9.12.02 hat sich ... die Arbeitsgemeinschaft ‘Soziale Grundrechte — stoppt die Hartz-Pläne!‘ gegründet ... Die anwesenden Vertreter der Studierenden an den Ruhrgebietsuniversitäten kündigten an, dass sie sich dem Bündnis mit ihrem Protest gegen Studiengebühren, die jetzt Studienkonten heißen, anschließen werden."
Nach Auffassung der Anwesenden in Bochum "steht im Mittelpunkt der derzeitigen neoliberalen Sozial- und Verteilungspolitik unter dem Schlagwort ‘Modernisierung des Sozialstaats‘ dessen weitere Abschaffung. Hierbei sind die von Wirtschaft und Regierung verfolgten Hartz-Pläne die vermutlich massivsten Angriffe auf grundlegende Standards und soziale Grundrechte der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit seit Bestehen der Bundesrepublik." Die AG erblickt darin den entscheidenden Teil eines antisozialstaatlichen Systemwechsels: "Wirkliche Beschäftigungseffekte finden kaum statt. Dagegen soll ein Einspareffekt von rund 7 Mrd. Euro jährlich auf dem Rücken der Erwerbslosen erzielt werden."

Rolf Euler


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