SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 10

Hupende Autos

Beim britischen Feuerwehrstreik geht es um mehr als Geld

Auf den ersten Blick erscheint alles als eine ganz normale Tarifauseinandersetzung. Die englische Feuerwehrgewerkschaft FBU fordert für ihre Mitglieder 30000 Pfund jährlich, das wären ca. 8,50 Pfund (ca. 12 Euro) pro Stunde. Die EU meint, das sei ein akzeptabler Minimallohn. Die Gewerkschaft meint das auch.
Nur die britische Regierung sieht dies anders. Aus dem Finanzministerium wurde verlautbart, es sei kein Geld da. Auf keinen Fall würde auf die "unverschämte" Gehaltsforderung der Feuerwehrleute eingegangen. Also kam es zu Streikaktionen, erst zu einem zweitägigen, dann einem achttägigen Streik. Weitere Streikaktionen sind angekündigt.
Allerdings wurde schnell deutlich, dass es in Wirklichkeit um viel mehr geht als "nur" um eine Gehaltserhöhung. Die Auseinandersetzung zwischen der FBU und dem englischen Staat ist in Wirklichkeit der bisherige Höhepunkt in einem lange schwelenden Kampf zwischen den Beschäftigten im öffentlichen Sektor und der Blair-Regierung, die derzeit eine tiefgreifende Privatisierungs- und Mittelkürzungskampagne im öffentlichen Sektor durchzuführen versucht.

Kämpfe um den öffentlichen Sektor

Schon mehrfach kam es deswegen zu Konflikten, unter anderem mit Beschäftigten der Londoner U-Bahnen, die die Regierung derzeit teilweise zu privatisieren versucht. Weil die Beschäftigten Mittelkürzungen und sich daraus ergebende Sicherheitsprobleme befürchten, kam es zu Streiks. Auch in englischen Krankenhäusern kam es verschiedentlich zu Konflikten, da immer mehr Angestellte, Krankenschwestern und Pflegekräfte die durch Mittelkürzungen verursachten Verhältnisse für untragbar halten.
Weil es im öffentlichen Sektor rumort und es immer häufiger zu Kampfmaßnahmen der Gewerkschaften kommt, versucht die Regierung nun, bei den Feuerwehren ein Exempel zu setzen. Die Gewerkschaftsführung legte vor der achttägigen Streikperiode Verhandlungsangebote vor. Diese beinhalten, die Verhandlungsbasis auf eine 16% Gehaltsforderung herunter zu schrauben. Die Regierung ignorierte all diese Verhandlungsangebote. Statt dessen antwortete sie mit weiteren Provokationen. Es wurde ein umfassendes Kürzungsprogramm für den englischen Feuerschutz vorgelegt. 10000 Stellenstreichungen seien nötig, um die englischen Feuerwehren zu sanieren.
Außerdem soll die Anzahl der vorhandenen Löschzüge drastisch abgebaut werden. Beispielsweise soll die nordenglische Stadt Salford mit mehr als 300000 Einwohnern den einzigen vorhandenen Löschzug verlieren. Stattdessen soll Feuerschutz dieser Art zukünftig aus dem nahegelegenen Manchester kommen. Schließlich sollen die Notrufzentralen von Sanitätsdiensten und Feuerwehren zusammengelegt werden. Feuerwehrleute sollen dazu ausgebildet werden, auch Aufgaben anderer Rettungsdienste zu übernehmen. Damit will die Regierung Sparmaßnahmen bei anderen Rettungskräften einleiten.
Der Feuerwehrstreik ist von der Regierung bewusst provoziert. Dabei geht es nicht nur darum, ein Privatisierungsprogramm durchzusetzen. Es geht auch um die Zerschlagung einer der aktivsten und kämpferischsten Gewerkschaften.
Die FBU hat für ihre Mitglieder viel erreicht. So haben Feuerwehrleute bspw. eine sehr weitreichende Kontrolle über die Feuerwehrstationen. Viele Feuerwehrleute betrachten die Feuerwachen als ihr zweites Zuhause — alle Feuerwachen sind mit Schlafplätzen und Küchen ausgestattet. Das zahlt sich während der Streiks aus. Während der Streikaktionen halten Feuerwehrleute die Wachen einfach besetzt, schon Wochen vor Beginn der ersten Streikaktionen waren viele Wachen mit Postern, Aufklebern und Fahnen der Gewerkschaft geschmückt.
Die englischen Herrschenden sind über derlei Kreativität nicht erfreut. Die Financial Times rief die Regierung mehrfach zum harten Durchgreifen gegen die Streikenden auf. Von Regierungsseite wurde angedroht, das Militär gegen Streikposten einzusetzen, um die Löschzüge aus den Feuerwachen herauszuholen. Militär wird bereits eingesetzt, um Brandschutz während der Streikperioden zu gewährleisten. Dabei verwendet das Militär ungeübtes Personal, das mit völlig veraltetem Material aus den 50er Jahren ausgestattet ist. Das Militär reagierte nur mäßig begeistert auf den Regierungsvorschlag, Streikposten zu zerschlagen. Es könne nicht garantiert werden, dass einfache Soldaten einen solchen Befehl befolgen würden, hieß es von hohen Offizieren.
Daraufhin sollte die Polizei diese Aufgabe übernehmen, doch auch hier ging die Rechnung nicht auf. Die Polizei fürchtet die gewalttätigen Auswirkungen, die eine Zerschlagung der Streikposten mit sich bringen könnte. Insbesondere in den Großstädten liegen viele Feuerwachen innerhalb traditioneller Arbeiterviertel. Der Feuerwehrstreik hat eine Welle der Sympathie für die Streikenden ausgelöst. Jedes Auto, das an einer Feuerwache vorbei fährt, hupt zur Unterstützung, den Streikposten wird ununterbrochen Feuerholz und Verpflegung vorbei gebracht. Die Polizei fürchtet diese Solidarität, könnte sie doch schwere Auseinandersetzungen bedeuten.

Knickt die Gewerkschaftsführung ein?

Dennoch muss die englische Gewerkschaftsbewegung die Bedrohungssituation sehr ernst nehmen. Die Herrschenden bezeichnen den Feuerwehrstreik als eine Neuauflage des Bergarbeiterstreiks der 80er Jahre. Damals kam es zu einem langatmigen Arbeitskampf, um die Schließung der englischen Minen zu verhindern. Premierministerin Thatcher setzte sie schließlich unter Anwendung schwerer Polizeigewalt durch.
Die Führung der FBU scheint jedoch Angst vor der Situation bekommen zu haben. Eine weitere achttägige Streikwelle wurde ohne Befragung der Mitgliedschaft abgesagt. Nun ist ein "unabhängiger", aber vom Staat gegründeter Verhandlungsservice eingeschaltet, um die Sache zu beheben. Aus Sicht der Regierung gibt es aber nach wie vor nichts zu verhandeln, Kompromissangebote werden derzeit nicht gemacht. Die Regierung erwartet ein völliges Einlenken der Gewerkschaft, andernfalls werden Repressionsmaßnahmen angedroht. So sollen Feuerwehrstreiks demnächst für illegal erklärt werden.
Die Gewerkschaftsbasis zeigt derweil Kampfbereitschaft. Am 7.Dezember gab es in London eine Großdemonstration in Solidarität mit den Feuerwehrleuten mit über 20000 Teilnehmenden. Darunter auch Mitglieder aus anderen Gewerkschaften des öffentlichen Sektors. Aufgerufen hatte der englische Gewerkschaftsverband TUC.
Theoretisch gibt es viel Potenzial, den Arbeitskampf der Feuerwehrleute mit den Beschäftigten von Krankenhäusern, Eisenbahnen, der Londoner U-Bahnen, kurz, des gesamten öffentlichen Sektors zu verbinden. Es gibt viel Sympathie und Unterstützung aus diesen Gewerkschaften. Belegschaften ganzer Arbeitsplätze sammeln Geld, in London gab es Solidaritätsstreiks der U-Bahn-Angestellten.
Die für einen gemeinsamen Streik aller Gewerkschaften des öffentlichen Sektors notwendige Stimmung existiert. Sollte allerdings der bisherige Schmusekurs der Gewerkschaftsführung weitergefahren werden und wird die Bedeutung dieser Auseinandersetzung für den öffentlichen Sektor ignoriert, dann besteht die Gefahr, dass diese Auseinandersetzung verloren geht und mit ihr eine von Englands besten Gewerkschaften dauerhaft ausgeschaltet wird.
Auch die Gefahr der Demoralisierung der Gewerkschaftsmitglieder ist akut. Andy Gilchrist, Generalsekretär der FBU, erklärte wiederholt seine Bereitschaft, tiefgreifende Einschnitte in den Brandschutz, unter anderem drastische Mittelkürzungen, hinzunehmen, wenn dies zu einem Kompromiss mit der Regierung führen würde. Ein solcher Kompromiss würde die FBU zwar nicht zerschlagen, als Gesamtorganisation hätte sie sich dann allerdings selbst entwaffnet.
Im englischen Feuerwehrstreik sind derzeit alle Möglichkeiten offen. Die der weiteren Eskalation, Ausweitung und Politisierung des Konflikts, die der Zerschlagung und Zermürbung der FBU, oder die einer erniedrigenden Verhandlungslösung. Die nächsten zwei Monate werden zeigen, wie es weitergeht.

Christian Bunke (Manchester)


zum Anfang