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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 10

Koch & Schröder - Antisemitismus & Normalität

Kolumne: Winfried Wolf

"Was wir nicht brauchen, ist Sparen zugunsten der Familie Holtzbrinck mit einem geschätzten Familienvermögen von 5—6 Milliarden Euro." Der Ver.di-Vorstandsvorsitzende Bsirske hat mit dieser Aussage die Forderung seiner Gewerkschaft nach einer 3%igen Lohn- und Gehaltserhöhung und den Vorschlag der Gewerkschaften, die Länder sollten die damit entstehenden Mehrkosten über eine Vermögensteuer finanzieren, plausibel begründet.
Wenn in unserem Land die Gefahr droht, dass Vernunft und Logik zuungunsten der großen Konzerne, Banken und der Superreichen befördert werden, dann wird oft die antisemitische Klaviatur bedient. Roland Koch äußerte im hessischen Landtag, Bsirskes Namensnennung sei "eine neue Form von Stern an der Brust".
Mit dieser Gleichsetzung von Stigmatisierung durch den Davidstern als Vorbereitung für den Gastod und Namensnennung als Begründung für die Rückverteilung von oben nach unten hat sich der hessische Ministerpräsident nicht, wie er sagte, "vergaloppiert". Die Financial Times Deutschland erkannte darin zu Recht "Kochs bewährtes Wahlkampfrezept"; die Süddeutsche Zeitung verwies darauf, dass Koch "in den eigenen Reihen als kühl-kalkulierend" gilt. Wie Möllemann es nach seinen antisemtischen Ausfällen im Bundestagswahlkampf vorexerziert hatte, so handelte Koch nun, als er sich nach seinem Landtagsauftritt nicht beim Zentralrat der Juden entschuldigte, sondern beim Ver.di-Vorstandsvorsitzenden, den er nicht habe "verletzen wollen".
Der Vorgang im hessischen Landtagswahlkampf 2002 greift auf doppelbödige Art antisemitische Grundmuster auf: "Armut und niedrige Einkommen kommen vom jüdischen Reichtum" — und nicht von der kapitalistischen Klassenspaltung und Umverteilung. Seit geraumer Zeit wird diese NS-Tradition fortgesetzt. Als es 1986 um die Übernahme der Flick- Aktien durch die Deutsche Bank und die Forderung nach einer Entschädigung der Zwangsarbeiter ging, äußerte der CSU- Bundestagsabgeordnete Fellner, "die Juden" seien "immer schnell dabei, wenn in deutschen Kassen Geld klimpert". Im selben Jahr hatte der damalige Bürgermeister von Korschenbroich, Graf Spee, erklärt, der städtische Haushalt könne nur ausgeglichen werden, "wenn ein paar reiche Juden erschlagen" würden. 1997 ächzte der CSU-Bundestagsabgeordnete Zeitlmann, die Bundesrepublik Deutschland habe "genug eigene Probleme", da werde man "Herrn Bubis doch wohl noch fragen dürfen: Wieviel (zugewanderte) Juden braucht ihr denn noch?" Er wolle "nur wissen, ob‘s die Blutauffrischung gebracht hat".
Kurz nachdem Roland Koch 1999 erstmals hessischer Ministerpräsident wurde und sein CDU-Landesverband im Zentrum der "Bimbes-Affäre" stand, erklärte der damalige CDU-Schatzmeister die Herkunft der Gelder in den schwarzen Kassen des CDU-Landesverbands damit, dass es sich hier um "Vermächtnisse aus jüdischen Kreisen" handle. Als dies als glatte Lüge aufflog, argumentierte derselbe Sayn-Wittgenstein: "Es hätte aber sehr gut sein können, dass jüdische Mitbürger bei einem Todesfall sich doch ihrer alten Stadt Frankfurt ... erkenntlich zeigen wollten."
Dies ist ein weiteres Grundmuster des neuen Antisemitismus: Die Juden könnten sich endlich "erkenntlich zeigen" — jedenfalls nach ihrem Tod. Der "Vorwurf des Antisemitismus" könne "nicht ewig erhoben" werden, es müsse endlich "Normalität" einkehren. Immerhin, so der damalige Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein 1997, gelte: "Antisemitischer als die Briten waren auch wir nicht. Queen Victoria wollte noch 1869 keinen ungetauften Juden im House of Lords sehen, in Bismarcks Norddeutschem Reichstag (1867—1871) saßen hingegen schon einige."
Während Koch die antisemitische Klaviatur benutzt, um den Krieg im Inneren — gegen die Gewerkschaften — zu führen, wird im drohenden Irakkrieg die "Normalität zwischen Juden und Deutschen" eingeklagt bzw. die deutsche Schuld gegenüber der jüdischen Bevölkerung dazu genutzt, um den Krieg nach außen zu rechtfertigen. Bereits im Mai 2002 äußerte der damalige Verteidigungsminister Scharping in dem in New York erscheinenden jüdischen Blatt Aufbau: "Wir sind leider soweit [von einer Friedenslösung] entfernt, dass wir uns dazu [über den möglichen Einsatz von Bundeswehrsoldaten in einer internationalen Friedenstruppe im Nahen Osten] keine Gedanken machen müssen."
Ein halbes Jahr und inmitten der Vorbereitungen auf einen Krieg gegen den Irak, bei dem Israel Teil des "Bündnisses gegen den Terrorismus" ist, macht sich die Berliner Regierung dazu mehr als "Gedanken": An Israel werden deutsche Patriot-Raketen geliefert; die Lieferung von Fuchs-ABC-Panzern ist laut Bundesregierung "kein Problem"; eine Lieferung von "Fuchs-Transportpanzern" wird "ernsthaft geprüft". Grundsätzlich, so Kanzler Schröder, gelte, dass die Deutschen "beim Schutz der jüdischen Bevölkerung eine besondere Verantwortung" haben.
Koch und Schröder beuten auf unterschiedliche Weise das deutsch-jüdische Verhältnis aus. Doch beide Male wird die Verantwortung vor der deutschen Geschichte zynisch geleugnet. Beide Male geht es um die Durchsetzung einer reaktionären und antidemokratischen Politik.


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