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Inwiefern stellte der Generalstreik vom 18.Oktober einen Wendepunkt für die Gewerkschaftsbewegung in Italien dar?
Giorgio Cremaschi: Der Generalstreik der CGIL richtete sich nicht in erster Linie gegen die Haushaltspolitik der Regierung gegen die es
von verschiedener Seite unterschiedliche Kritik gegeben hat , sondern vor allem gegen den Solidarpakt (Patto per lItalia eine Art
Bündnis für Arbeit) und die dahinterstehende Ideologie.
Die CGIL hat in diesem Jahr versucht, eine Gewerkschaftspolitik zu überwinden, die
sich auf den Handel "Mitmachen gegen Flexibilisierung" stützt. Der Generalstreik vom 18.Oktober war der politische Schritt, der am
stärksten und sichtbarsten das Nein der CGIL zu dieser Logik zum Ausdruck gebracht hat.
Die Kämpfe, die stattgefunden haben, aber auch die wirtschaftliche Krise, haben den
Solidarpakt, den die beiden anderen gewerkschaftlichen Dachverbände, CISL und UIL, unterzeichnet haben und die Möglichkeiten seiner
Umsetzung erheblich unterminiert. Aber die Vorstellung, Rechte der abhängig Beschäftigten zugunsten der Bewahrung von Machtpositionen
für die gewerkschaftlichen Apparate zu opfern, die die Gewerkschaftsgeschichte der letzten 25 Jahren geprägt hat, ist damit noch nicht
untergegangen auch in der CGIL nicht.
In diesem Sinn stellt der Generalstreik vom 18.10.nicht den Endpunkt einer Phase dar, sondern
eher den Anfangspunkt eines Kurswechsels in der Strategie der Gewerkschaftsbewegung.
Glaubst du, dass die CGIL dazu in der Lage sein wird?
Die Wende, die Sergio Cofferati in seiner Zeit als Generalsekretär der CGIL seiner Gewerkschaft auferlegt hat, hatte Grenzen. Sie war
hauptsächlich eine Reaktion auf die Offensive des Unternehmerverbands Confindustria und der Regierung. Es fehlt aber bis heute eine
eigenständige kritische Reflexion, die das Konfliktniveau, das uns unsere Gegner aufgedrängt haben, politisch-programmatisch untermauern
würde. Nach dem 18.10. kann die CGIL dem nicht mehr ausweichen, wenn sie sich nicht selbst zur Ohnmacht verdammen und früher oder
später wieder vom Strudel der Verhandlungen um niedrigere Standards aufgesogen werden will. Viele in der CGIL erwarten, dass die Phase des
Neinsagens von Cofferati jetzt zu Ende geht sie betrachteten sie als einen Ausrutscher in der Positionierung der Gewerkschaft, und man muss sich darauf
einstellen, dass sie verlangen, nach dem Generalstreik vom 18.10. müsse damit nun Schluss sein.
Auf der anderen Seite scheint man auch im Unternehmerlager die bisherige Haltung zu
überdenken; die Versuche, die CGIL frontal anzugehen und zu vernichten, werden als gescheitert betrachtet, und man denkt dort über neue
Möglichkeiten nach, die größte Gewerkschaft Italiens wieder in eine Kollaboration einzubinden. Im Hinblick auf die strategischen Ziele der
Confindustria würde dies keine Wende bedeuten; das Gewehr, das auf die CGIL und die italienischen Arbeiter gerichtet ist, würde nur anders
geschultert.
Der neue Generalsekretär der CGIL, Guglielmo Epifani, tritt ein schweres Erbe an. Meinst du, er wird die CGIL auf dem Weg, den sie im
letzten Jahr eingeschlagen hat, weiterführen können?
Ich wünsche es mir, aber einige seiner jüngsten Erklärungen machen mich sehr besorgt. Da ist zum einen seine Ankündigung, die
CGIL könne sich beim Referendum, das eine Ausdehnung des Art.18 (des Kündigungsschutzes) auf Kleinbetriebe vorsieht, enthalten oder sogar
dagegen stimmen. Ich glaube, dass die Entscheidung der Metallarbeitergewerkschaft FIOM und der Gewerkschaftslinken, dieses Referendum zu
unterstützen, richtig ist und auch dazu beiträgt, die Nebelschwaden über der Debatte über die Ausdehnung der Rechte aufzulösen.
[Die Aufhebung des Kündigungsschutzes in bestimmten Bereichen war von Regierung und Unternehmern als ein Eintreten für die Rechte der
Jüngeren gegen das egoistische Besitzstandsdenken der Älteren dargestellt worden.] Das Referendum wird weichenstellend für das Land sein,
und es ist tatsächlich die einzige Antwort, die es auf lange Sicht gegen die Angriffe auf den Art.18 geben wird. Um so unverständlicher wäre
seine Ablehnung.
Zum andern ist da die Haltung von Epifani zur innergewerkschaftlichen Demokratie und seine
Erklärung, der alte Gesetzentwurf von Smuraglia über gewerkschaftliche Vertretung der längst nicht weit genug geht sei
"zu radikal". Und schließlich geht es um die Politik gegenüber dem Süden, also das Feld, wo es den größten Konflikt
mit CISL und UIL gegeben hat: ausgerechnet hier kann sich Epifani eine Wiederauflage gewerkschaftlicher Einheitsinitiativen vorstellen.
Ich bin besorgt, weil diese Erklärungen von Epifani vor dem Hintergrund einer
ausdrücklichen Offensive der Führungsgruppe der Linksdemokraten (DS) erfolgen, die Linie der CGIL in gesellschaftspolitischen Fragen und die
der FIOM in der Tarifpolitik zu mäßigen. Piero Fassino und Massimo DAlema [das Führungsduo der DS] versuchen, die CGIL zu
erpressen: Ohne Wiederherstellung der Einheit mit CISL und UIL werde es keine Einheit des Mitte-Links-Bündnisses Ulivo (Olivenbaum) geben
können. Das ist ein starker Druck, auch wenn man sich fragen kann, wozu die gewerkschaftliche Einheit oder auch die des Ulivo denn gut sein soll, wenn
ihre Inhalte nicht definiert werden.
Alles in allem wird es für die Führung der CGIL nach den Kämpfen der
vergangenen Monate und des Generalstreiks sehr schwer werden, eine Kehrtwende zu vollführen; aber ich sehe mit Sorge, dass man erneut zu einem
illusorischen gewerkschaftlichen und politischen Projekt zurückkehren will: ein Projekt, das die Alternative zum radikalen Liberalismus vom Schlage
Berlusconis in einem gemäßigten und konzertierten (verhandelten) Liberalismus sucht, der den abhängig Beschäftigten schon so viel
Schaden zugefügt hat.
Wie siehst du in diesem Konflikt die Rolle der Gewerkschaftslinken und des Kreises Lavoro Società/Cambiare Rotta (Arbeit und
Gesellschaft/Den Kurs ändern)?
Der Gewerkschaftslinken kommt eine entscheidende Rolle zu. Wenn wir zurückschauen, müssen wir erkennen, dass die CGIL sich auf eine
Linie des Kampfes eingelassen hat, weil die FIOM in den Tarifauseinandersetzungen eine klare Linie durchgehalten hat und der Kreis Lavoro
Società/Cambiare Rotta auf dem Gewerkschaftstag für seine Positionen gekämpft hat.
Trotz dieser positiven Ergebnisse mussten wir dennoch erkennen, dass sich in den letzten
Monaten eine "schizophrene" Art der Gewerkschaftspolitik ausgebreitet hat: auf der allgemeinpolitischen Ebene werden die Rechte verteidigt, auf
der Ebene der Tarifverhandlungen hingegen bleibt die Gewerkschaft einer konsensorientierten Verhandlungslinie verhaftet. Ich beziehe mich da nicht nur auf die
jüngsten Abschlüsse.
Ich könnte eine lange Liste anführen, wo auch der Dachverband Abschlüsse
getätigt hat und wo es scheint, als habe für die CGIL der Generalstreik nie existiert. Das erklärt sich mit der Lethargie der mittleren
Apparatschichten in der CGIL, die eine konfliktfreudige Linie abblocken, während der demokratische Druck von unten noch zu schwach und nicht in der
Lage ist, ausgehend von den Betrieben und Arbeitsstätten den Funktionärskörper personell zu erneuern.
Das sind die Grenzen einer Wende von oben, wie sie zu Anfang beschrieben wurde: Ein Teil
der Führung hat positiv auf eine Forderung der Arbeitenden reagiert, aber diese haben noch nicht das Selbstvertrauen, sich selbst für einen
Führungswechsel vorzuschlagen.
Vor allem die Tarifpolitik wird nun zu einem für die CGIL entscheidenden Terrain: hier
wird sich herausstellen, wie weit ihre Wende geht und ob sie wirklich mit der Politik der Vergangenheit brechen will. Es ist wichtig, dass die FIOM da die Linie
hält, aber sie darf nicht von anderen Gewerkschaftssektoren (in denen ebenfalls Tarifabschlüsse anstehen) isoliert bleiben, wie dies in der
Vergangenheit der Fall war. Dafür kann Lavoro Società/Cambiare Rotta eine unersetzliche Rolle spielen.
In den Mittelpunkt der Tarifauseinandersetzungen muss nicht nur ein ordentlicher
Lohnnachschlag gerückt werden und die Forderung nach demokratischer Abstimmung über die Verhandlungsergebnisse, es muss vor allem der
prekären Beschäftigung der Kampf angesagt werden, denn das ist der Weg, über den der Kampf um den Art.18 [gegen die Lockerung des
Kündigungsschutzes] in die Betriebe getragen wird, und es ist zugleich ein zentraler Baustein in der Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. In meinen
Augen ist dies auch das Terrain, wo die Erfahrungen der globalisierungskritischen Bewegung am leichtesten in Beziehung mit der traditionellen
Arbeiterbewegung treten können.
Der Fall Fiat, der uns abrupt mit dem totalen Bankrott der industriellen Strategie der
Unternehmer in unserem Land konfrontiert hat, hat einige zum Glauben verleitet, es wäre einfacher, die Gewerkschaftseinheit mit CISL und UIL gegen
die Regierung als gegen die Unternehmer herzustellen. Das ist eine Illusion. Die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise treiben die italienischen
Unternehmer verstärkt dazu, auf schnellere und leichtere Massenentlassungen zu drängen. Damit sind wir aber wieder bei der Konfrontation
über die Rechte der abhängig Beschäftigten, die wir mit der Regierung schon führen. Der Solidarpakt wird damit für die CGIL
und für die abhängig Beschäftigten nur noch unerträglicher.
Wie siehst du die Rolle von Rifondazione Comunista (PRC) in all dem?
Ich schicke voraus, dass ich viele Initiativen und Positionen teile, die die Partei in der letzten Zeit ergriffen hat, zuletzt mit ihrem Vorschlag, Fiat zu
verstaatlichen. Dennoch bin ich auch mit einigem unzufrieden. In erster Linie damit, dass die richtige Initiative der PRC eine zu geringe soziale Verankerung hat.
Zum Teil liegt dies an den objektiven Bedingungen, aber es überrascht mich, dass es darüber kein ausreichendes Problembewusstsein gibt
was sich in der Art der Umsetzung dieser Initiative niederschlägt.
Wenn die Aktiven der Partei in den gesellschaftlichen Strukturen, vor allem am Arbeitsplatz,
keine vorantreibende Rolle spielen, wird die Initiative oberflächlich bleiben und versanden. Ich habe darauf keine fertigen Antworten, aber ich glaube
nicht, dass die Antwort in einer besseren Parteistruktur liegt; ich für meinen Teil glaube, dass die alten Parteimodelle wie die PCI der Vergangenheit
angehören.
Ein weiterer Mangel besteht darin, dass die PRC nicht über eine strategisch-
programmatische Antwort verfügt, die auf der Höhe der Zeit wäre. Ich glaube, dass angesichts der Krise, die die Menschheit in all ihren
Lebenssituationen bedroht, deren Ursache in der kapitalistischen Globalisierung und im anhaltenden Krieg liegt, die Alternative, auf die wir setzen, noch wenig
Überzeugungskraft hat.
Vor einigen Jahren sagte die Umweltbewegung, wir müssten "global denken und
lokal handeln". Nach Seattle, Genua und Porto Alegre haben wir nun angefangen, auch global zu handeln, aber letzten Endes werden wir die Kraft
für die Bekämpfung des globalen Liberalismus in unserem Alltag finden müssen. Mir fehlen Vorschläge, die das Lokale mit dem
Globalen zu einem geschlossenen Ganzen verbindet, die Teilaspekte mit dem Gesamten.
In anderen Zeiten hätte man das ein Übergangsprojekt oder
Übergangsprogramm genannt, aber unabhängig von der Bezeichnung glaube ich, dass wir eine Strategie brauchen, die die Alltagskämpfe mit
einem gesellschaftlichen Gesamtprogramm verbindet, das zur herrschenden Politik alternativ steht. Wir müssen Realismus und Hoffnung in eins bringen.
Es kann sein, dass die Verschärfung der Krise, das Herannahen des Krieges und die
wachsenden Widersprüche in der Regierungskoalition und beim Ulivo erneut zur Konvergenz in der Mitte drängen und die Idee einer Art nationaler
Einheit Raum gewinnt. In diesem Fall würden die Aufgaben und die Verantwortung der PRC stark zunehmen, und darauf muss die Partei vorbereitet sein.