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Vor einem Jahr, im Dezember 2001, beauftragte der EU-Rat in Brüssel/Laeken den 2.Konvent, noch vor der Vollendung
der EU-Osterweiterung im Juni 2004 einen Katalog von vier Fragen zu beantworten, die die Grundlage für eine Reform der EU-Institutionen bilden
sollten. Die vier Fragen lauteten:
1. Wie sollen die Zuständigkeiten zwischen der Union, den Staaten und den Regionen verteilt sein?
2.Soll die Charta der Grundrechte Teil des neuen Grundlagenvertrags sein und soll die EU die Europäische
Menschrechtskonvention unterzeichnen?
3. Wie sollen im EU-Rat und in den Ministerräten die Entscheidungen getroffen werden einstimmig oder mit
qualifizierter Mehrheit?
4. Welche Rolle spielen das Europaparlament und die nationalen Parlamente im europäischen Entscheidungsprozess?
Der Charakter des Dokuments, das der Konvent redigieren sollte, wurde offengelassen. Es
sollte nur ausgewiesen werden, was darin einstimmige Empfehlungen, was unterschiedliche Optionen wären.
Ende Oktober hat nun der Präsident des Konvents, Valéry Giscard
dEstaing, Mitglied der liberalen Partei UDF und ehemals Staatspräsident von Frankreich, die Gliederung für einen Verfassungsvertrag
vorgestellt. Das bedeutet zweierlei:
Erstens: Der Konvent will dem Rat der Staats- und Regierungschefs ein geschlossenes
Dokument präsentieren und auf diese Weise verhindern, dass wie in Nizza das Gros der Reformvorschläge zwischen den
Regierungschefs verhandelt wird und in ihrem nationalstaatlichen Gezänk untergeht.
Zweitens: Das angestrebte Dokument soll ein Verfassungsvertrag, nicht eine Verfassung sein.
Der Unterschied geht bei der ähnlich lautenden Formulierung fast unter, ist aber erheblich: Ein Vertrag wird zwischen souveränen Staaten
geschlossen, eine Verfassung geben sich Völker. Ein Vertrag wird mehr oder weniger hinter veschlossenen Türen ausgehandelt, über eine
Verfassung hat die Bevölkerung zu diskutieren und zu entscheiden. Sie regelt das interne Leben der Gemeinschaft.
"Ein Verfassungsvertrag", empörte sich ein Journalist der
französischen Tageszeitung Le Monde, "ist ein juristisches Monster" ein Widerspruch in sich. Bestenfalls könne er juristisch
verstanden werden als "ein Vertrag, in dem die verhandelnden europäischen Staaten beschließen, eine Versammlung einzuberufen, die von
den europäischen Bürgerinnen und Bürgern gewählt wird, um einen Entwurf für eine europäische Verfassung
auszuarbeiten und den Völkern Europas zur Abstimmung vorzulegen".
Es bestehe die Gefahr, dass hier ein Text "Verfassung" genannt werde, um ihm
eine Legitimität zu geben, die ihm nicht zustehe, weil das dafür vorgesehene Verfahren einer Konstituierenden Versammlung nicht eingehalten
wurde. Jedes Bestreben, über den "Verfassungsvertrag" Volksentscheide herbeizuführen, könnte dann mit dem Hinweis
abgebügelt werden, dass es sich ja nicht um eine Verfassung, sondern um einen Vertrag zwischen souveränen Staaten handele. Umgekehrt aber
werde dieser Vertrag durch besonders hohe Hürden für seine Veränderung in einen Verfassungsrang gehoben: In den bisherigen
Ausführungen zum Vertrag steht geschrieben, dass der Wortlaut des "Verfassungsvertrags" erst in zehn Jahren und nur einstimmig
verändert werden darf auch wenn sonst das Prinzip der Einstimmigkeit aufgehoben ist.
Angela Klein