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Wenn aber Unternehmen untergehen, weil sie den auf dem freien Markt geltenden Regeln nicht gewachsen sind, ist das die
zwar harte, aber logische Folge eines fairen europäischen Wettbewerbs", kommentiert die Financial Times Deutschland, die Entscheidung der
Europäischen Union vom 9.Dezember dieses Jahres, ein "marktorientiertes" Emissionshandelssystem, also das "Recht" auf Kauf
und Verkauf von Verschmutzungsrechten, in der EU einzuführen. Die ökologische Zukunftsfähigkeit wird auf diese Weise zu einem
ökonomischen Effizienzkriterium degradiert. Das weite Feld der sozialen Nachhaltigkeit wird aus diesen Überlegungen vollkommen ausgeblendet.
Diese Reaktion ist somit typisch für die Bewertung der gesamten Debatte im
"Norden". Dabei war alles einmal ganz anders gedacht: Einen Kompromiss zwischen Umwelt- und Entwicklungsbelangen sollte es darstellen, das
1997 in Japan verabschiedete Klimaschutzprotokoll (das sog. Kyoto-Protokoll). Aber wie viele andere internationale Belange wurde auch dieser Grundsatz durch
ökonomische Interessen des Nordens von Anbeginn in Frage gestellt.
Das Kyoto-Protokoll ist durch eine Reihe an "Schlupflöchern"
gekennzeichnet, die die Forderung des Südens nach mehr Gerechtigkeit beim Klimaschutz aushebeln. Aber bereits für dieses Jahr ist das
Inkrafttreten des Protokolls zu erwarten, da eine ausreichende Zahl an Ländern das Protokoll ratifiziert haben wird, um die im Protokoll dafür
geforderten 55% der Emissionen in den Industrieländern zu erfassen.
Damit geht auch das umstrittene Kapitel "Gerechtigkeit" vorerst seinem Ende
entgegen. Sunita Narain und Anir Agarwal vom indischen Centre for Science and Environment, Aubrey Meyer vom Global Commons Institute in London und
etliche andere machten sich im Laufe dieser Jahre viele Feinde unter den marktorientierten Klimaexperten und nördlichen Regierungen, weil sie immer
wieder auf eine Deckelung der Emissionen im Norden und die Nutzung erneuerbarer Energien bei gleichzeitiger Vermeidung der Schlupflöcher
drängten.
Der "Süden" sollte hingegen das Recht erhalten, seine Emissionen weiter zu
steigern, um dann ebenfalls durch die Nutzung alternativer Energien das Emissionsniveau zu senken. Diese Strategie sollte im Verlauf einiger Jahrzehnte auf eine
Annäherung der Pro-Kopf-Emissionen in Nord und Süd weit unter dem heutigen Gesamtniveau hinauslaufen und den Weg für eine alternative
Entwicklung in Nord und Süd eröffnen.
Soweit die Wünsche des Südens. Nun zur Realität des zu Ende gehenden Jahres, das mit dem Johannesburg-Gipfel, der achten
Vertragsstaatenkonferenz zum Kyoto-Protokoll (COP8) in Indien und der Debatte um die Ausgestaltung des Emissionshandels in der EU drei wichtige
Ereignisse auf der Klimaschutz-Agenda verzeichnete.
"Die USA haben ihr neues Gesicht gezeigt", fasst Greenpeace-Experte Martin
Kaiser die Ergebnisse des Johannesburg-Gipfels zusammen. Die Konturen werden von US-Vertretern klar umrissen: Unverbindlichkeit internationaler
Vereinbarungen zur Armutsbekämpfung und beim Umweltschutz und absolute Priorität privatwirtschaftlicher Initiativen.
Die Sprache der US-Repräsentanten ist deutlich, das katastrophale Ergebnis des Gipfels
auch: Statt der dringend notwendigen Verpflichtung weiterer Staaten auf die CO2-Reduzierungsziele des Kyoto-Protokolls, kommt es, mit freundlicher
Unterstützung der OPEC-Staaten, nur zu einem zeitlich unverbindlichen, "dringenden" Appell zur Ratifizierung.
Auch in einem weiteren Punkt haben sich diese Staaten durchgesetzt: Es kommt zu keiner
verbindlichen Zusage für den zukünftigen Anteil "erneuerbarer Energien" an der Gesamtenergieproduktion. Vorschläge hierzu
lagen auf dem Tisch, der weitestgehende mit 15% bis zum Jahr 2010 von der Europäischen Union und ein ökologisch ausgereifterer mit 10% bis
2010, der Holz als Brennstoff ausschließt, von Brasilien.
Dennoch geht ein erstes positives Signal hierzu von Johannesburg aus: Bereits kurz nach Ende
der Konferenz haben sich mehr als 80 Staaten einer Initiative der EU angeschlossen und den verbindlichen Ausbau erneuerbarer Energien zugesagt. Neben den
EU-Staaten und den Beitrittskandidaten beteiligen sich auch Brasilien, Chile, Neuseeland, Südafrika, die Schweiz und zahlreiche kleine Inselstaaten.
Mit Johannesburg scheint aber das Ende der Mammutkonferenzen besiegelt zu sein und die
"internationale Gemeinschaft" wendet sich wieder thematischen, regionalen und bilateralen Regelungen zu. Diese Entwicklung bringt eine
"neue" Gefahr mit sich: Die Gipfeldeklaration ist wesentlich schwächer formuliert als zunächst vorgesehen. So wurde das Ziel nicht
aufgenommen, die Entwicklungshilfe auf 0,7% des BSP zu erhöhen. Ebenso fehlt der Zusammenhang zwischen dem Schuldenberg der
"Entwicklungsländer" und den Misserfolgen in punkto nachhaltiger Entwicklung.
Unter diesen Voraussetzungen lebt die zukünftige Umsetzung von vielen Einzelzusagen,
insbesondere die EU ist gefordert. Nun hieß es, den Lackmustest zu bestehen und zu zeigen, dass sie tatsächlich bereit war, durch Finanzierung und
Unterstützung bei der Entwicklung angepasster Technologien in die Bresche zu springen.
Und tatsächlich konkretisierte die EU ihre Zusagen auf der Klimakonferenz (COP) in Indien. Allerdings sollte diese Linie nicht überbewertet
werden: Während die EU sich in diesem Punkt als Bündnispartner der Entwicklungsländer profiliert, fordert sie diese gleichzeitig auf, eigene
Verpflichtungen ins Auge zu fassen.
Damit schwächt sie deren Position bei den Verhandlungen mit den USA. Diese
drängen seit jeher auf eigene Verpflichtungen der EL und, seit die Linien für die EU-Erweiterung sich deutlicher abzeichnen, auch der
osteuropäischen Beitrittsländer. Die Strategie ist simpel: Es gilt so viele Staaten wie möglich zu verpflichten, um die eigenen
ökonomischen "Belastungen" so gering wie möglich zu halten.
Aber auch die Differenzen zwischen Teilen der "Zivilgesellschaft" werden
deutlich. Mit klarem Blick auf ökologische Zielsetzungen fordert die Geschäftsführerin des weltweiten Climate Action Network (CAN), Kate
Hamtion, der Süden sollte sich nicht weigern, Anpassungsmaßnahmen durchzuführen, "nur" weil die Industrieländer noch
nicht ihren finanziellen Verpflichtungen nachgekommen wären. Diesem Schritt sollten schließlich Maßnahmen zur Verringerung der
Klimabelastung folgen.
Auf viel Gegenliebe treffen solche Statements im Süden natürlich nicht:
"Für die Entwicklungsländer ist die Überlebensfrage wichtiger als alles andere, und erst danach kommen die Umwelt oder die
Verringerung der Klimaauswirkungen", erklärt Kalipada Chatterjee von der indischen Nichtregierungsorganisation Development Alternatives.
Auch der indische Premierminister Atal Bihari Vajpayee fordert ein gleiches Pro-Kopf-Recht
auf globale Umweltressourcen. Den Vorschlag der Industrieländer, die Entwicklungsländer sollten ebenfalls mit Klimaschutzmaßnahmen
beginnen, hält er in seiner diplomatischen Weise für "unangebracht".
Dieser Protest ist allzu verständlich: Die OECD-Staaten hinken weit hinter ihren
Verpflichtungen hinterher. Nach aktuellen Schätzungen werden ihre Emissionen im Jahre 2010 um 29% über dem Kyoto-Ziel liegen.
Gleichzeitig rächen sich hier die Misserfolge der "großen"
Konferenzen in Hinblick auf die Schuldenstreichung und die Frage angepasster, ökologisch zukunftsfähiger Technologien. Die
"Entwicklungsländer" sehen sich außerstande die drängensten sozialen Probleme zu lösen, geschweige denn Ressourcen
für die Klimapolitik zur Verfügung zustellen ein Problem, das auch Russland auf der COP angeführt hat.
Währenddessen steigen die Folgeschäden des Klimawandels in
schwindelerregende Höhen: das UN-Umweltprogramm geht allein für das Jahr 2002 von 70 Mrd. US-Dollar aus und erwartet für die
kommenden zehn Jahre einen Schaden von 150 Mrd. US-Dollar durch Umweltkatastrophen. Die Belastungen treffen vor allem den Süden, Regionen wie
das Gangesdelta, das Nildelta und die kleineren Inselstaaten. Ohne Unterstützung des Nordens werden sie sich kaum vor dem steigenden Meeresspiegel
und anderen Folgen schützen können. Grundlegend ist aber die Erfüllung der Reduzierungsverpflichtungen des Nordens, denn nur dieser geht
die Ursachen an.
Wie schwer der EU dieser Schritt fällt, zeigte der Streit um den Emissionshandel. Nationale Interessen spielten wieder einmal eine entscheidende
Rolle, vor allem der Bundesrepublik war am Schutz energieintensiver Industriezweige wie der Aluminium-, der Kalk- und der chemischen Industrie
gelegen. Nachdem sie bei ihrer "Ökosteuer" diese Branchen bereits ausgenommen hat, versuchte Wolfgang Clement bei EU-
Umweltkommissarin Margot Wallström, eine zwangsweise Beteiligung aller Unternehmen einer Branche an einem Pool durchzusetzen, um die
Nachzügler zu schützen.
Die Bundesrepublik lobt gerne ihre Spitzenposition unter den Exportnationen. Dass sie diese
auf Kosten des globalen Klimas und vor allem des Südens erlangt, verschweigt sie, wenn sie über die Kosten des Klimaschutzes lamentiert.
Das Pokern um die Ausgestaltung des europäischen Emissionshandels ist hierfür
symptomatisch: Großspurig erklärt Umweltminister Jürgen Trittin, die Bundesrepublik benötige den Emissionshandel gar nicht, da sie
ihre Reduzierungsverpflichtungen auch so erreiche. Dass die Reduzierungen aber zu einem erheblichen Anteil aus dem Zusammenbruch der DDR-Industrie
resultieren und die Ziele selbst mit diesem historischen "Glücksfall" kaum erreicht werden, unterschlägt er diskret.
Der Wandel ist allerdings nur vertagt: Selbst Tony Blair, nicht gerade als Vertreter einer sozial-
ökologischen Avantgarde verschrien, attestiert auf der COP8: Das Kyoto-Protokoll "verlangsamt die derzeitige Zerstörungsrate nur. Um diese
umzukehren, müssen wir das Emissionsniveau dramatisch reduzieren." Großbritannien gelang es nach Aussage der Umweltministerin
Margarete Beckett zwar, die Intensität der Treibhausgasemissionen zwischen 1990 und 1999 um 30% zu senken, verzeichnete aber gleichzeitig einen
Produktionszuwachs um 49%.
Hier liegt die eigentliche Crux: Solange die Industrieländer ihren Wachstums- und
Konsumpfad weiter verfolgen, wird weder die Frage des Klimaschutzes noch die einer sozial und ökologisch zukunftsfähigen Entwicklung in Nord
und Süd beantwortet.
Dirk Krüger