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Im Land, das als eines der letzten auf der Welt ein Verbot der Kommunistischen Partei (KPD 1956) hoch hielt, im Land der
Berufsverbote und der meisten eingeknasteten "Spione" des Ostens, in dem eine schon dreißig Jahre vor Tony Blair zu "New
Labour" mutierte Sozialdemokratie trotzdem fast mühelos die politische Hegemonie in der Arbeiterbewegung bewahrte und selbst die
Herausforderungen durch die "neue Linke" der frühen 70er Jahre und der "Grünen" der frühen 80er Jahre mit wenig
mehr als ein Fingerschnippen bewältigte ausgerechnet in diesem Land gab es plötzlich und buchstäblich über Nacht eine der
größten sozialistischen und nicht in das Spiel der Institutionen eingebundenen Parteien der Welt: die "Partei des demokratischen
Sozialismus".
Gut zehn Jahre lang konnte die PDS ohne großes eigenes Zutun die Funktion als
unerwünschter Störfaktor im bürgerlichen Deutschland, als Schmuddelkind und lästige Erinnerung, dass es auch mal so etwas wie ein
nichtkapitalistisches Deutschland gab, ausfüllen. Das, was den Grünen nur punktuell und auch nur in ihrem ersten Lebensjahrfünft
gegönnt war, wuchs der PDS allein aufgrund ihrer historischen Entstehung als Gesamtpartei zu: ein Stachel im bürgerlichen Fleisch zu sein.
Für die schmale Schicht der politisch Aufgeklärten und nicht im Sold bürgerlicher Medien Stehenden war schnell eines klar: Die PDS ist nur
ein Scheinriese, wie der Scheinriese Turtur in den Fantasiegeschichten von Michael Ende über Jim Knopf und Lukas den Lokomotivführer.
Die Eigenschaft dieses Fabelwesens bestand in einer Umkehrung der normalen optischen
Wahrnehmung: Je weiter er sich entfernte, desto größer und bedrohlicher wirkte er, und je näher er kam, desto niedlicher und zutraulicher
wurde er. Aus der Ferne betrachtet geriet die PDS zum Leuchtturm gegen das neue kapitalistische Großdeutschland und wurde zum Faszinosum der
verbliebenen, von der Rebellion und Grünen-Erfahrung der 70er Jahre ausgebrannten Westlinken. Aus der Nähe besehen entpuppte sie sich jedoch
als ein langweiliges Gemenge aus kleinbürgerlich-deutschen Spießern, strohdummen Überbleibseln der SED-Bürokratenherrschaft und
der 72.Neuauflage von politischen Reformismuskonzeptionen, mit denen zuletzt die Sozialdemokratie in den 70er Jahren und die Grünen in den 80er
Jahren hausieren gingen.
Störfaktor und Spießertum, Faszinosum und Langeweile, Antikapitalismus und
Reformismusaufgüsse diese Gegensätze konnten und können nicht beliebig lang am Leben gehalten werden. Sie funktionieren richtig
nur in einem Vakuum. Je mehr die Wirklichkeit die herrschende Klasse in Deutschland und die Akteure in den Reihen der PDS einholte, desto mehr musste die
PDS vom Scheinriesen zum Realozwerg werden.
Der Verlust an Wählerstimmen für die PDS bei den letzten Bundestagswahlen ist
deshalb natürlich nicht auf Grund einer "zu wenig linken" oder "zu rechten" Politik eingetreten. Wirkliche linke Politik hat heute
leider keine Millionenstimmenkonjunktur. Genauso wenig fand auf dem Parteitag in Gera eine Polarisierung zwischen Rechten und Linken statt, wie es die
bürgerliche Presse fast einstimmig weis machen wollte. Der politisch inhaltslose und nur von Zankereien und Intrigen geprägte Parteitag ist wie
auch der wahlarithmetische Rückgang nur ein Indiz der abnehmenden gesellschaftlichen Funktion der PDS in der konkreten deutschen
Klassengesellschaft.
Wollte die PDS ihre Rolle als Störfaktor der Vorkriegsgeschichte noch ein paar Jahre
länger spielen, müsste sie erstarren und bleiben wie sie war, wie eine Wachsfigur im Horrorkabinett verharren. Aber das wird natürlich nicht
gehen.
Sie könnte auch, und das wäre für die Linke in Deutschland wirklich
reizvoll, geschlossen einen Antrag zur Aufnahme in die SPD stellen. Dann stünde dem Stiegler der Mund offen und dem Müntefering würde
der rote Schal davon wehen. Aber auch das wird natürlich nicht gehen, weil die PDS nicht so geschlossen ist, um etwas geschlossen zu machen. So bleibt
als sichere Entwicklungsvariante nur das immer schnellere Dahinsiechen auf dem jetzt gespurten Weg.
Die SoZ-Leserschaft interessiert vielleicht auch noch der sezierende Blick ins Innere, ob
vielleicht doch noch Leben aus der PDS zu retten ist. Die PDS-Aktiven was nicht mit ihrer Mitgliedschaft oder gar Wählerschaft gleichzusetzen ist
sind wie Hunderte und Tausende Linke vor ihr vom Virus der "Mitmachpolitik" infiziert.
Die Dialektik der partiellen Errungenschaft einer großen Partei hat wie so häufig
gnadenlos zahllose Biografien vom kompromisslosen Rebellen zum tapferen Gestalter der bestehenden Verhältnisse umgebogen. Das allein sollte schon
bedenklich stimmen. Aber die spezifische Entstehung und Funktion der PDS hat aus dieser Viruserkrankung nicht etwa einen ums Überleben ringenden
Organismus gemacht, an dessen Kampf eine interessierte Öffentlichkeit begierig teilnimmt. Im Gegenteil, der Charakter der PDS ähnelt eher einer
sterilen Kultur zur Züchtung gerade dieses Virus. Deshalb interessiert der Meinungskampf in der PDS in der Öffentlichkeit niemanden, deshalb ist
die "Linke" in der Partei völlig kopf- und herzlos und deshalb heißt Streit in der PDS fast nur noch Zankerei und Intrige.
Den Linken in der PDS ist deshalb nur eines zu raten: ganz schnell mit so vielen wie
möglich die Partei verlassen und eine wirkliche sozialistische Kraft aufbauen. Viele von außen, die in der PDS schon lange nur noch ein Schauspiel
mittlerer Güte sehen, würden dabei mitmachen, die sozialen Bewegungen würden sich freuen.
Jedes Kapitel deutscher Geschichte bekommt das Ende, was es verdient auch die PDS.
Hubert Kaiser