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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 18

Ende eines Störfaktors

Warum es besser ist, die PDS zu verlassen

Die in den 70er Jahren, lange vor dem Ende der stalinistischen Staaten Osteuropas, von Henry Kissinger gemachte Prognose, dass "in zehn Jahren" auch noch die Hälfte des kapitalistischen Europas marxistisch wäre, hat sich leider nicht bewahrheitet. Aber der in den heutigen imperialistischen Machtzentralen immer noch feurig gefeierte bedeutendste historische Triumph, die Beseitigung der nichtkapitalistischen Staaten vom Modell der Sowjetunion, hat ausgerechnet im Frontstaat Nummer 1, dem ergebenen Musterschüler des "westlichen Bündnisses", im kapitalistischen Westdeutschland, ein kurioses Erbe hinterlassen.

Im Land, das als eines der letzten auf der Welt ein Verbot der Kommunistischen Partei (KPD 1956) hoch hielt, im Land der Berufsverbote und der meisten eingeknasteten "Spione" des Ostens, in dem eine schon dreißig Jahre vor Tony Blair zu "New Labour" mutierte Sozialdemokratie trotzdem fast mühelos die politische Hegemonie in der Arbeiterbewegung bewahrte und selbst die Herausforderungen durch die "neue Linke" der frühen 70er Jahre und der "Grünen" der frühen 80er Jahre mit wenig mehr als ein Fingerschnippen bewältigte — ausgerechnet in diesem Land gab es plötzlich und buchstäblich über Nacht eine der größten sozialistischen und nicht in das Spiel der Institutionen eingebundenen Parteien der Welt: die "Partei des demokratischen Sozialismus".
Gut zehn Jahre lang konnte die PDS ohne großes eigenes Zutun die Funktion als unerwünschter Störfaktor im bürgerlichen Deutschland, als Schmuddelkind und lästige Erinnerung, dass es auch mal so etwas wie ein nichtkapitalistisches Deutschland gab, ausfüllen. Das, was den Grünen nur punktuell und auch nur in ihrem ersten Lebensjahrfünft gegönnt war, wuchs der PDS allein aufgrund ihrer historischen Entstehung als Gesamtpartei zu: ein Stachel im bürgerlichen Fleisch zu sein. Für die schmale Schicht der politisch Aufgeklärten und nicht im Sold bürgerlicher Medien Stehenden war schnell eines klar: Die PDS ist nur ein Scheinriese, wie der Scheinriese Turtur in den Fantasiegeschichten von Michael Ende über Jim Knopf und Lukas den Lokomotivführer.
Die Eigenschaft dieses Fabelwesens bestand in einer Umkehrung der normalen optischen Wahrnehmung: Je weiter er sich entfernte, desto größer und bedrohlicher wirkte er, und je näher er kam, desto niedlicher und zutraulicher wurde er. Aus der Ferne betrachtet geriet die PDS zum Leuchtturm gegen das neue kapitalistische Großdeutschland und wurde zum Faszinosum der verbliebenen, von der Rebellion und Grünen-Erfahrung der 70er Jahre ausgebrannten Westlinken. Aus der Nähe besehen entpuppte sie sich jedoch als ein langweiliges Gemenge aus kleinbürgerlich-deutschen Spießern, strohdummen Überbleibseln der SED-Bürokratenherrschaft und der 72.Neuauflage von politischen Reformismuskonzeptionen, mit denen zuletzt die Sozialdemokratie in den 70er Jahren und die Grünen in den 80er Jahren hausieren gingen.
Störfaktor und Spießertum, Faszinosum und Langeweile, Antikapitalismus und Reformismusaufgüsse — diese Gegensätze konnten und können nicht beliebig lang am Leben gehalten werden. Sie funktionieren richtig nur in einem Vakuum. Je mehr die Wirklichkeit die herrschende Klasse in Deutschland und die Akteure in den Reihen der PDS einholte, desto mehr musste die PDS vom Scheinriesen zum Realozwerg werden.
Der Verlust an Wählerstimmen für die PDS bei den letzten Bundestagswahlen ist deshalb natürlich nicht auf Grund einer "zu wenig linken" oder "zu rechten" Politik eingetreten. Wirkliche linke Politik hat heute leider keine Millionenstimmenkonjunktur. Genauso wenig fand auf dem Parteitag in Gera eine Polarisierung zwischen Rechten und Linken statt, wie es die bürgerliche Presse fast einstimmig weis machen wollte. Der politisch inhaltslose und nur von Zankereien und Intrigen geprägte Parteitag ist wie auch der wahlarithmetische Rückgang nur ein Indiz der abnehmenden gesellschaftlichen Funktion der PDS in der konkreten deutschen Klassengesellschaft.
Wollte die PDS ihre Rolle als Störfaktor der Vorkriegsgeschichte noch ein paar Jahre länger spielen, müsste sie erstarren und bleiben wie sie war, wie eine Wachsfigur im Horrorkabinett verharren. Aber das wird natürlich nicht gehen.
Sie könnte auch, und das wäre für die Linke in Deutschland wirklich reizvoll, geschlossen einen Antrag zur Aufnahme in die SPD stellen. Dann stünde dem Stiegler der Mund offen und dem Müntefering würde der rote Schal davon wehen. Aber auch das wird natürlich nicht gehen, weil die PDS nicht so geschlossen ist, um etwas geschlossen zu machen. So bleibt als sichere Entwicklungsvariante nur das immer schnellere Dahinsiechen auf dem jetzt gespurten Weg.
Die SoZ-Leserschaft interessiert vielleicht auch noch der sezierende Blick ins Innere, ob vielleicht doch noch Leben aus der PDS zu retten ist. Die PDS-Aktiven — was nicht mit ihrer Mitgliedschaft oder gar Wählerschaft gleichzusetzen ist — sind wie Hunderte und Tausende Linke vor ihr vom Virus der "Mitmachpolitik" infiziert.
Die Dialektik der partiellen Errungenschaft einer großen Partei hat wie so häufig gnadenlos zahllose Biografien vom kompromisslosen Rebellen zum tapferen Gestalter der bestehenden Verhältnisse umgebogen. Das allein sollte schon bedenklich stimmen. Aber die spezifische Entstehung und Funktion der PDS hat aus dieser Viruserkrankung nicht etwa einen ums Überleben ringenden Organismus gemacht, an dessen Kampf eine interessierte Öffentlichkeit begierig teilnimmt. Im Gegenteil, der Charakter der PDS ähnelt eher einer sterilen Kultur zur Züchtung gerade dieses Virus. Deshalb interessiert der Meinungskampf in der PDS in der Öffentlichkeit niemanden, deshalb ist die "Linke" in der Partei völlig kopf- und herzlos und deshalb heißt Streit in der PDS fast nur noch Zankerei und Intrige.
Den Linken in der PDS ist deshalb nur eines zu raten: ganz schnell mit so vielen wie möglich die Partei verlassen und eine wirkliche sozialistische Kraft aufbauen. Viele von außen, die in der PDS schon lange nur noch ein Schauspiel mittlerer Güte sehen, würden dabei mitmachen, die sozialen Bewegungen würden sich freuen.
Jedes Kapitel deutscher Geschichte bekommt das Ende, was es verdient — auch die PDS.

Hubert Kaiser


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