SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 18

Abkehr vom Geraer Parteitag

Frieden mit dieser Gesellschaft

Die größte Massenarbeitslosigkeit seit 1949, unverhüllter Sozialstaatsabbau und drohender neuer US-Angriffskrieg mit partieller deutscher Beteiligung machen eine sozialistische Partei dringend notwendig. Die PDS aber gleicht einem steuerlos auf die Brandung zutreibenden Schiff.

Zwar verlautbarte Gabi Zimmer nach der Vorstandsklausur vom 9./10.11.02 in Elgersburg, ab sofort werde "auf Bundesebene wieder Politik" betrieben. Das aber ist nicht geschehen. Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke diagnostizierte Lähmungserscheinungen an der Spitze.
Für die Parteimitte ist charakteristisch, dass sie zwar an Geraer Parteitagsformeln festhält, zugleich aber um die Parteirechte buhlt, obwohl gerade diese der Hemmschuh ist. Der Vorstand wagt es nicht, die maßgeblich durch sie mitverursachte Wahlniederlage ernsthaft zu analysieren und daraus Konsequenzen zu ziehen. Ungehindert setzt die rechte Avantgarde den in Berlin verheerenden antisozialen Kurs fort und treibt den Fraktionskampf voran.
Am 15.10. stellte Gregor Gysi in einem Offenen Brief, danach in einem Interview mit dem Neuen Deutschland vom 2./3.11. fest, man habe beim Parteitag "keine wirkliche Führung" gewählt, weshalb die PDS "in Vergessenheit zu geraten" drohe. Er polemisierte gegen die Parteitagsparole "Keinen Frieden mit dieser Gesellschaft", der großkapitalistischen und sozialdarwinistischen. Wenn die PDS den Frieden nicht wolle, sei sie keine demokratisch-sozialistische Partei. Hans-Dieter Schütt, bis 1989 Chefredakteur des FDJ-Zentralorgans Junge Welt, zollte Gysi am 18.11. im Neuen Deutschland Beifall und deklarierte, Linke wandelten sich zu "Fremdkörpern".
Am 7.11. rechnete Prof. Wolfgang Ruge, Mitglied des Ältestenrats der PDS, mit dem Oktoberaufstand 1917 ab: Marx habe "sich von der Illusion verführen lassen, ein Dialektiker zu sein", gemeint, die Arbeiterklasse zur künftig machtausübenden erklären zu müssen, und in ihrer Diktatur "die nächste Stufe zur Vervollkommnung des Menschengeschlechts" gesehen. "Doch dies ist ein kapitaler Fehlschluss. Das Proletariat ... hat kein Eigentum und kann sich deshalb nicht in die von Eigentum und Eigentümern geprägten Wirrnisse einbringen." Ich erinnere mich nicht daran, bei Marx gelesen zu haben, dass dies beabsichtigt sei, wohl aber, die Expropriateure würden expropriiert.
Dem Revolutionär Lenin sagt Ruge nach, mittels "Suggestivkraft und Rednergabe ... ein Häuflein aufgeschlossener, durch den Antisemitismus verbitterter Juden um sich geschart" und "eine Partei mit unbekannten und wenig gebildeten Mitgliedern" gegründet zu haben, mit der er den "für bürgerliche Revolutionen bereitstehenden Persönlichkeiten" Russlands den Wind aus den Segeln nahm. Er lässt Lenins Leute den Smolny statt das Winterpalais stürmen und basiert seine Thesen auch sonst großenteils auf falsche Fakten — so über Lenin, Trotzki, Bucharin und Stalin. Krönender Schluss ist der Satz, versagt habe nicht nur "der Sozialismus in seiner bisherigen Form", es gehe offenbar "nichts ohne das widerwärtige Privateigentum".
Praktisch-politisch nutzte der in Gera geschlagene Flügel die sog. Taschenkontroll- oder Wachbuchaffäre aus. Der stellvertretende PDS-Vorsitzende Diether Dehm suchte am 13.10. abends das Karl-Liebknecht-Haus auf, weil dort noch Licht gebrannt haben soll und angeblich Kisten weggeschleppt würden. Dem war aber nicht so, und der Vorfall wurde im Wachbuch mit "o.B." — ohne Besonderheiten — festgehalten. Später ergänzte der Chef der Sicherheitsfirma, Dehm habe die "außerordentliche Anweisung" erteilt, dass der bisherige Bundesgeschäftsführer Bartsch "keinerlei Unterlagen, Dokumente, Mappen" aus dem Haus schaffen dürfe. Diese Nachricht wurde der bürgerlichen Presse zugespielt. Sie machte in Bild, Spiegel und Berliner Kurier Furore.
Dehm bestritt, etwas angewiesen zu haben. Die früheren Parteivorsitzenden Gysi und Bisky aber nahmen die ungeprüfte Sache zum Anlass, sich zu entrüsten. Aber auf seiner Elgersburg-Klausur konnte jedoch der Parteivorstand nur feststellen, es sei kein belastendes Material angefallen, daher gelte die Unschuldsvermutung.
Brie stempelte die Dehm angelastete Verfahrensweise als "eindeutig schmutzigste und für den Zustand der Partei gefährlichste Intrige" ab, verlangte einen Sonderparteitag und wiederholte frühere Überlegungen eines eventuellen eigenen Parteiaustritts. Und Gysi bewertete Dehms Verhalten als "politisch-moralisch verwerflich" und bestand darauf, ihn fallen zu lassen. Beide Briefautoren räsonierten über "Kulturlosigkeit" und "Methoden aus SED-Zeiten" in der PDS.
Die Vorsitzende Zimmer und ihr Stellvertreter Peter Porsch verständigten sich nun auf ein Einerseits—Andererseits, das im Kern Kapitulation vor den Rechten bedeutete. Auf den Landesparteitagen in Ilmenau und Dresden am 23.11. beklagten sie sich, forderten Dehm aber zum Rücktritt auf. Der kam dem Appell nach, wandte sich jedoch an die Parteitagsdelegierten, ihm zu raten, wie er "am besten weiter für die Partei arbeiten" könne.
Acht links stehende Delegierte forderten ihn am 6.12. auf, die Auszeit zu beenden und für eine PDS zu kämpfen, die sich als Teil und Motor der gesellschaftlichen Bewegung von unten verstehe. Ellen Brombacher (Kommunistische Plattform — KPF) stellte zu der von Brie fortgesetzten Kampagne fest, Dehm solle "gehen, weil er zu denen gehört, die exponiert für die Parteitagsergebnisse von Gera stehen. Er soll das Bauernopfer sein, auf dessen Kosten manche seit Gera zerstrittenen Reformer ihre Differenzen beheben können. Sich dem Druck der Medien und ihrer Protagonisten in der Partei ... zu beugen, hieße, Gera zu einer taktischen Episode zu machen."
Die Parteirechte hat den Vorstand nicht nur von Außenarbeit abgehalten, sondern zum Rückzug gezwungen. Die Linke ist kaum aktiv. KPF und Marxistisches Forum scheuten Konflikte mit dem Vorstand. Aber auch der Vorläufer der am 23./24.11. gegründeten Bundesarbeitsgemeinschaft "Linke Opposition in und bei der PDS", das "Netzwerk Linke Initiative", bewirkte wenig. Am 13.11. löste es sich mit der naiven Begründung auf, trotz fortdauernder Meinungsverschiedenheiten gebe es nach Gera keinen Grund mehr, zu opponieren.
Während der Berliner PDS-Basiskonferenz am 7.12. brach Gehrcke eine Lanze für die Sozialstaatsabbauer: "Unsere historische Aufgabe ist es, die Karre aus dem Dreck zu ziehen, denn nur dann, wenn sie da drin ist, kommt es zu rot-roten Bündnissen."
Das Zitat gilt es sich zu merken. Soll die Partei noch einmal nach links marschieren, muss sie das Gegenteil des von Gehrcke Erheischten tun.

Manfred Behrend


zum Anfang