SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 1

11‘09"01 — September 11

Elf Regisseurinnen und Regisseure aus elf Ländern haben an diesem Film über den 11.September 2001 und seine Folgen mitgewirkt: Samira Makhmalbaf (Iran), Claude Lelouch (Frankreich), Youssef Chahine (Ägypten), Danis Tanovi´c (Bosnien-Herzegowina), Idrissa Ouedraogo (Burkina Faso), Ken Loach (Großbritannien), Alejandro González Inárritu (Mexiko), Amos Gitaļ (Israel), Mira Nair (Indien), Sean Penn (USA) und Shohei Imamura (Japan). Jede(r) drehte einen Film von je 11 Minuten, 9 Sekunden und einem Bild Dauer. Diese symbolische Begrenzung der Filmlänge wurde von Mira Nair als "konzeptueller Unsinn" bezeichnet.

Diese elf Filme hintereinander ergeben den Film 11‘09"01 — September 11. Der künstlerische Produzent Alain Brigand sagt dazu: "Diesem filmischen Mosaik liegt kein Konsens zugrunde. Zwangsläufig ist es voller Kontraste, so dass es möglicherweise Gefahr läuft, vom künstlerischen und ethischen Standard abzuweichen, dem sich jeder Regisseur verpflichtet fühlt."
In der Tat sind die elf Filme kaum auf einen Nenner zu bringen. Die Iranerin Makhmalbaf zeigt, wie eine Schulklasse und ihre Lehrerin in einem afghanischen Flüchtlingscamp im Iran den 11.September 2001 erleben. Für die Kinder ist der tödliche Unfall zweier Menschen beim Brunnenbau im Camp wesentlich wichtiger als die Ereignisse im fernen New York.
Ken Loach befasst sich in seinem Beitrag überhaupt nicht mit dem Anschlag auf das World Trade Center, sondern mit dem Putsch in Chile 1973, der ebenfalls an einem Dienstag, den 11.September stattfand. Der Beitrag ist interessant und für sich genommen sehr aufklärerisch, aber es bleibt ein Rätsel, warum Loach sich an einem Film über den 11.September 2001 beteiligt, wenn er dazu gar nichts sagen will.
Andererseits ist es auch schwer zu diesem Thema etwas zu sagen, ohne von der reaktionären Propaganda der Bush-Regierung vereinnahmt zu werden, die den Anschlag benutzt, um Bürgerrechte abzubauen und Kriege zu führen. Dies wird lediglich von der Inderin Mira Nair thematisiert, die das Schicksal eines jungen aus Pakistan stammenden US-Amerikaners beschreibt, der nach dem Anschlag auf das WTC vermisst wird. Er wird von der Presse zunächst zum Terroristen erklärt, als sich jedoch später herausstellt, dass er unter den getöteten Helfern war, mutiert er über Nacht zum Nationalhelden.
Besonders erwähnenswert ist der Beitrag von Idrissa Ouedraogo, der sich dem Thema mit schwarzem Humor nähert. Fünf Jungen in Burkina Faso meinen, Bin Laden in Ouagadougou gesehen zu haben. Sie haben den Plan, Bin Laden zu fangen, um das Lösegeld zu kassieren. Damit könnten sie die Medikamente für die kranke Mutter eines der Jungen finanzieren. Als der vermeintliche Bin Laden das Land verlässt, sendet ihm der Sohn der kranken Frau einen sehnsuchtsvollen Abschiedsgruß hinterher: Bin Laden möge doch bitte wiederkommen, denn wo solle er sonst das Geld für die Medizin hernehmen. Diese mit einem leisen aber sehr bitteren Humor erzählte traurige Geschichte macht deutlich, dass mehr Menschen durch das alltägliche Elend als durch Terroranschläge umkommen. Ouedraogos Beitrag ist der Höhepunkt des Films.
Ansonsten zelebrieren die Regisseurinnen und Regisseure ihre hilflose Betroffenheit oder verstecken die Aussage ihrer Beiträge hinter schwer verständlichen Metaphern wie Inárritu und Penn. So hinterlässt der Film einen sehr zwiespältigen Eindruck. Das von Alain Brigand für den Film proklamierte Prinzip "Jede Meinung ist frei und in völliger Gleichberechtigung zum Ausdruck gebracht" ist zwar an sich sehr lobenswert, kaschiert aber in diesem Fall die völlige Konzeptionslosigkeit des Projekts. Am Schluss bleibt die Frage, warum dieser Film überhaupt gemacht worden ist.

Andreas Bodden


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