SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 22

Gretchen meets Holger

Die RAF, Rudi Dutschke, das Filmgeschäft und der Krieg

Mittlerweile scheint der RAF-Hype vorbei zu sein, der Film Baader erlitt grandiosen Schiffbruch. Wenig beachtet, aber sehr sehenswert, ist dagegen der Dokumentarfilm Starbuck Holger Meins über das Leben des 1974 in Folge eines Hungerstreiks gestorbenen RAF-Gefangenen Holger Meins. Über 20000 Zuschauer haben den Film bisher gesehen. Der Dokumentarfilmer Gerd Conradt kannte Holger Meins seit der Zeit gemeinsamer Studientage an der neu gegründeten Berliner DEFA-Filmhochschule im Jahre 1966. Als Meins sich für den Untergrund und den bewaffneten Kampf entschied, trennten sich ihre Wege.
Der Film stellt laut Conradt mehr Fragen, als dass er Antworten gibt — wer Holger Meins war, was ihn bewegte, bleibt bis zum Schluss offen. Conradt ist der Meinung, Meins wäre ein Gottsuchender gewesen — so steht es in den Tagebuchaufzeichnungen von Meins: "Wenn ich wüsste wer Gott ist, wüsste ich, wer ich bin."
Conradt diskutierte bisher auf über 70 Veranstaltungen in der ganzen Republik mit Tausenden von Zuschauern unterschiedlichster Generationen. Viele davon fanden in Berlin statt, wo er auch Attac-Mitglieder mit aufs Podium nahm, um sie zu fragen, was sie mit den Erfahrungen der 68er und der RAF anfangen können. Nach der Film-Vorstellung im renommierten Ostberliner Kino Babylon diskutierte diesmal (Mitte Dezember) Eberhard Seidel, ehemaliger Taz-Redakteur, mit Gretchen Dutschke, der Witwe von Rudi Dutschke, der 1974 am Grab von Holger Meins die bekannten Worte sagte "Holger, der Kampf geht weiter".
Gretchen, die mittlerweile wieder in ihrem Heimatland USA lebt, ist heute in der amerikanischen Friedensbewegung und bei den US-Grünen aktiv. In Deutschland ist sie imaginäres Sprachrohr ihres verstorbenen Mannes, was die einen oder anderen ehemaligen SDS-Genossen nicht verschmerzen können, da sie schon damals der Meinung waren, sie hielte ihren Mann vom revolutionären Kampf ab. Was Rudi Dutschke über diese und andere Genossen wirklich gedacht hat, wird man im April im Tagebuch von Rudi nachlesen können, das Gretchen gerade für die Herausgabe fertig gemacht hat.
Die Podiumsdiskussion war leider nicht sehr erhellend, was auch an den Fragen von Eberhard Seidel lag. Worauf er mit seinen Fragen hinaus wollte, war zumeist unklar. Knapp an der Schmerzgrenze des guten Geschmacks war sein Vergleich der Denk- und Motivationsmuster der RAF mit den heutigen islamistischen Terroristen, die in den USA ein gemeinsames Feindbild hätten.
Hinsichtlich der 68er-Revolte gelte dieser Vergleich auf jeden Fall nicht, so Gretchen Dutschke, schließlich ginge es bei der 68er Revolte nur zum Teil um die USA, viel wichtiger seien die Innenpolitik und der Autoritarismus, die Auseinandersetzung über den Faschismus gewesen. Die Aufnahme des bewaffneten Kampfes sei dann auch der RAF-Einschätzung geschuldet gewesen, dass ein neuer Faschismus in der BRD drohe. Rudi Dutschke teilte diese Meinung nicht und kritisierte die RAF offen. Er lehnte terroristische Methoden ab.
Am Ende der Veranstaltung appellierte Gretchen Dutschke an die ca. 120 Versammelten eindringlich, durch eine weltweite Antikriegsbewegung das Treiben der USA und ihrer Verbündeten zu stoppen.

Sascha Kimpel


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