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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 3

Widerstand gegen Cross Border Leasing

Schmutzige Peanuts aus der globalen Steuerflucht

Cross Border Leasing", das klingt harmlos: grenzüberschreitendes Leasing. Doch es handelt sich um eines der wichtigen gegenwärtigen Finanzprodukte, die in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt sind, die aber schleichend, tief in das Leben rund um den Globus eingreifen.
Als die Republikaner 1994 in beiden Häusern des US-Kongresses die Mehrheit bekamen, zogen sie die weitestgehende Deregulierung der Finanz- und Wirtschaftswelt durch, die bisher besteht. Mit der Schaffung bzw. Ausweitung solcher Instrumente wie Hedgefonds und Derivate wurde gleichzeitig die staatliche Kontrolle und behördliche Dokumentation abgeschafft. Die Nutzung von Finanzoasen wurde legalisiert, ebenso die "kreative Buchführung", die bspw. die Bilanzierung desselben Vermögens bei zwei Eigentümern ermöglicht. Damit wird die Abschöpfung von Gewinnen ermöglicht, ohne dass eine ökonomische Tätigkeit stattfindet. Auch europäische und japanische Großbanken und Unternehmen nutzen diese Möglichkeiten des US-Finanzplatzes, der damit auch globalen Zugriff auf neue Werte erschließt.
Die Essener Messehallen, die Kölner Straßenbahnen, die Gelsenkirchener Schulen, die Dresdner Kanalisation: alles, was in den Kommunen von Wert ist, wird in Cross-Border-Leasing-Verträge eingebracht und zu Gold verwandelt. Das Gold heißt "Barwertvorteil" und wird den Städten am ersten Tag des Vertrags in bar ausgezahlt. Für die Städte ändert sich nichts, heißt es, sie bleiben Eigentümer. Sie bekommen 10 oder 20 Millionen Euro dafür. Angeblich ein einfacher Steuertrick, ein reines Papiergeschäft. So leicht wird selten so viel Geld verdient. Sollte, ja darf ein verantwortlicher Kämmerer eine solche Möglichkeit ausschlagen?

Steuerschlupfloch in den USA

Die Anlagen werden für 99 oder 100 Jahre zum Schein an einen US-Trust verkauft und sofort zurückgemietet. Der Rückmietvertrag hat eine Rückkauf- oder Kündigungsoption nach 24—32 Jahren. Die an sich unsinnig lange Jahrhundertlaufzeit beruht darauf, dass in einigen US- Bundesstaaten wie Delaware und New York trickreiche Steuergesetze gelten wie in der Schweiz und Liechtenstein: die lange Laufzeit gilt wie eine Eigentumsübertragung. Die Investoren, die hinter dem US-Trust stehen, brauchen ja das Eigentum an der Anlage, um die Steuerabschreibung wahrnehmen zu können. So entsteht durch einen Cross-Border-Leasing-Vertrag etwas, was es "eigentlich" nicht geben kann, nämlich gleichzeitig zwei Eigentümer: der US-Trust und die Stadt.
Die Republikaner haben durch ihre Mehrheit im US-Kongress seit 1994 solche "Deregulierungen" der Finanz- und Bilanzvorschriften durchgezogen. "Kreative Buchführung" wird es genannt, wenn durch special purpose entities — früher nannte man das Briefkastenfirmen — in Steueroasen wie den Kaimaninseln Tochterfirmen gegründet werden, die bei der Muttergesellschaft Bestellungen aufgeben und so deren Umsätze steigern — zumindest auf dem Papier. Hegdefonds sind ein anderes Finanzinstrument aus diesem Umkreis. Seitdem blüht auch die Praxis dubioser "Sonderfinanzierungen" (structured finance). Cross Border Leasing gehört dazu.
Der Internal Revenue Service (IRS), die oberste Steuerbehörde in Washington, hat 1999 die Cross-Border-Leasing-Verträge mit ausländischen Städten als Scheingeschäfte charakterisiert: sie bestehen aus "zirkulären Geldflüssen" und haben "keine ökonomische Substanz", sie könnten deshalb auch nicht zu Steuervorteilen führen. Die mächtige Banken- und Leasinglobby hat es zusammen mit den steuerfreundlichen Bundesstaaten bisher trotzdem geschafft, die Praxis gegen die geltende Rechtslage weiterzuführen. Die Regierung von George W. Bush steht fest zu dieser Förderung des Finanzplatzes USA, der auch auf diese Weise seinen Einfluss globalisiert. Deshalb bleibt dem IRS gegenwärtig nichts anderes übrig als vor den Gerichten einzelner Bundesstaaten auf Unwirksamkeit solcher Verträge zu klagen. Die Entscheidungen stehen noch aus. Die Regierung Bush hat aber deutlich gemacht, dass sie die deregulierten Finanzprodukte wie Cross Border Leasing auch in Zukunft fördert.
Nach den Steuerprinzipien aller westlichen Rechtsstaaten sind die Verträge klassische Scheingeschäfte: Der Investor investiert keinen einzigen Cent in die Anlage, auf dem Papier wird juristisch eine doppelte Eigentümerschaft produziert, die Jahrhundertlaufzeit hat keinen sachlichen Sinn, der einzige Zweck ist die Steuerverkürzung. Solche Konstruktionen, die auch der Aufblähung der Bilanz und der Erweiterung der Kreditaufnahme dienen, haben übrigens auch zu den jüngsten Bilanzmanipulationen und Konkursen wie bei Enron und Worldcom geführt.
Wäre "alles legal", wäre die enorme Geheimnistuerei nicht erklärbar. Bisher ist noch keinem Stadtrat der vollständige, verbindliche englische Vertragstext vorgelegt worden. Entsprechende Anträge kleiner Fraktionen wurden in mehreren Städten abgebügelt. Die Ratsvorlagen bestehen aus einer standardisierten deutschsprachigen Zusammenfassung von 10 bis 20 Seiten. "Der Investor hat sich Vertraulichkeit ausbedungen, sonst platzt das Geschäft", heißt es regelmäßig. Name und Sitz des Trusts sind ebenfalls noch keinem Stadtrat mitgeteilt worden, obwohl der Trust der eigentliche Vertragspartner der Stadt ist.

Verheimlichte Risiken

Die Städte werden mit dem "Barwertvorteil" gelockt. Er beträgt etwa 4% des "Transaktionsvolumens" (es entspricht etwa dem, freilich großzügig bemessenen, Anlagewert). Das sind jedoch nur Peanuts. Zwar bekommen auch die "Arrangeure" wie die Deutsche Bank, die die Verträge arrangieren, ein paar Millionen ab, ebenso die großen US-Wirtschaftskanzleien, die die umfangreichen Verträge entwerfen. Der größte Teil der Steuerersparnis von etwa 20 bis 35% des Transaktionsvolumens entfällt auf den Trust.
Lange Abschnitte der Verträge, die 1000—2000 Seiten dick sind, sind den Kündigungsgründen seitens des Trusts gewidmet. Er muss seinem Finanzamt nachweisen, dass die Messehallen in Essen auch im Jahre 2014 voll funktionsfähig und ausgelastet sind. Sind sie es nicht, kann der Investor kündigen. Und dann kann er Schadenersatz verlangen in der Höhe des Steuervorteils, der ihm in der Restlaufzeit entgeht. Das kann ein Mehrfaches des anfänglich ausgezahlten Barwertvorteils sein.
Dass der Investor dann auf das Vermögen der Stadt zugreifen kann, beruht nicht nur auf seiner Eigentümerschaft, sondern wird durch die rechtliche Ungleichheit der Vertragspartner erleichtert. Es gilt das Recht der USA, der Gerichtsstandort ist nicht Dresden oder Essen, sondern New York. Es gilt nur der englischsprachige Vertragstext, eine deutsche Übersetzung wird erst gar nicht angefertigt. So war es bei allen bisherigen Verträgen.
Zu den Vertragspartnern der hochkomplizierten Konstruktion gehören nicht nur der Trust und die Stadt, sondern auf beiden Seiten noch Banken. Das sind in Deutschland die öffentlich-rechtlichen Banken, in NRW ist das vor allem die WestLB; aber auch die NordLB, die Hessische Landesbank (Helaba) und die Sächsische Landesbank mischen hier mit. Sie treten als "Schuldübernahme"- oder "Erfüllungsübernahmebanken" in den Vertrag ein. Dabei wird ein weiteres Merkmal des Scheingeschäfts deutlich: Obwohl die Stadt zwei Leasingverträge unterschreibt, zahlt und erhält sie keine einzige Leasingrate. Das übernehmen von Beginn an die Banken.
Die jährlichen Leasingraten für Hin- und Rückmietvertrag zu überweisen bzw. zu erhalten, wäre einfach. Im Vertragswerk sind die Raten für jedes Jahr genau festgehalten, dafür ist lediglich eine DIN-A4-Seite nötig. In jeder Stadtkämmerei könnten am Anfang mit Betrag und Datum die Raten einprogrammiert werden. Die Banken, die zusätzlich noch den US-Trust mit Darlehen ausstatten, sind deshalb so scharf auf die Übernahme dieser Zahlungsströme, weil sie sie als in Deutschland steuerbegünstigte Auslandsinvestition deklarieren.
Mit derselben Unterschrift produzieren die Kämmerer somit nicht nur einen Steuervorteil für ihre Stadt, sondern gleichzeitig einen Steuernachteil für den deutschen Staat. So ist Cross Border Leasing bestenfalls ein Nullsummenspiel. So untergraben die cleveren Kämmerer langfristig ihre eigene Steuerbasis, denn die Kommunen sind ja wesentlich auf zentralstaatliche Zuweisungen angewiesen. Die rot-grüne Bundesregierung, die Maßnahmen gegen Steuerflucht angekündigt hat, stellt sich hier bisher unwissend.
Seit 1995 bietet der deregulierte US-Finanzmarkt die Möglichkeit zu Cross-Border- Leasing-Verträgen mit ausländischen Unternehmen und Städten (structured finance). Kommunale Einrichtungen werden für 100 Jahre zum Schein an den jeweils eigens gegründeten Trust eines US-Investors verkauft, auch wenn es sich der Form nach um Leasing handelt (headlease); am Trust können auch mehrere Gesellschafter beteiligt sein. Bei manchen Verträgen wird zur Absicherung noch eine Trusttochter in einer Finanzoase wie den Kaimaninseln zwischengeschaltet.
Die lange Laufzeit wird in einigen Bundesstaaten der USA wie eine Eigentumsübertragung bewertet; so wird der Investor Eigentümer der Anlage. In einem gleichzeitigen Parallelvertrag (sublease) mietet die Stadt die Anlagen wieder zurück; durch eine "Rückkaufoption" hat sie das Recht, nach etwa 30 Jahren den Vertrag zu beenden oder den Investor mit dem privaten Betrieb zu beauftragen.
In den USA entsteht für den Trust ein Steuervorteil (Steuerstundung), von dem er einen kleinen Teil der Stadt abgibt und am ersten Tag auszahlt ("Barwertvorteil"). Die Stadt, die ebenfalls Eigentümerin der Anlage bleibt, verpflichtet sich, die Anlage im vereinbarten Volumen zu betreiben; wenn die Anlage ausfällt oder nicht ausgelastet wird, hat der Investor ein Kündigungsrecht, das ihn zu Schadenersatzforderungen in Höhe der entgehenden Steuern berechtigt. Es gilt das Recht der USA, Gerichtsstandort sind inneramerikanische Finanzoasen wie Delaware und New York.
Durch die Vertragsbeteiligung deutscher Banken als Schuldübernahme- und Darlehensbank entstehen Steuerausfälle nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Die größten "Arrangeure" sind Deutsche Bank, Macquarie (Australien), Babcock&Brown und Debis. Als Investoren wurden bisher u.a. bekannt Philipp Morris, Microsoft, Citigroup, John Hancock Life Insurance, Tyco und First Union Bank (Wachovia). Kommunales Cross Border Leasing wird bisher v.a. in den Niederlanden, der Schweiz, in Österreich, Belgien und Deutschland praktiziert.

Kommunaler Widerstand

Seit 1995 sind in Deutschland schätzungsweise 200 kommunale Cross-Border-Leasing-Verträge durchgezogen worden. Wenn man die Verträge in den anderen europäischen Staaten wie der Schweiz, den Niederlanden, Belgien und Österreich dazunimmt, unterstehen mittlerweile kommunale Werte in der Höhe von etwa einer Billion Euro US-amerikanischem Recht.
Dass die Ratsmehrheiten in den Städten die Verträge unbesehen abgenickt haben, enthüllt den katastrophalen Zustand der Demokratie in den Städten und Gemeinden bzw. der vielbeschworenen "kommunalen Selbstverwaltung". Die Finanznot der Städte gilt vielen als Argument dafür, dass man jede Gelegenheit nützen müsse, um an Geld zu kommen, und sei es durch Beteiligung an der globalen Steuerflucht.
Bis vor kurzem gab es keine nennenswerte Kritik, schon gar nicht nennenswerten Widerstand. Das beginnt sich seit etwa einem halben Jahr zu ändern. Die Ratsfraktion der Grünen in Salzburg etwa hat im September 2002 folgende Strategie entwickelt:
• Zunächst fordern sie die Ermittlung des Bedarfs der Anlage für die Vertragslaufzeit: bleiben Kanalisation, Messehalle und Schienennetz ausgelastet, werden sie in dieser Größe langfristig überhaupt gebraucht? Ein Cross-Border-Leasing-Vertrag würde die Stadt für Jahrzehnte an das anfänglich vereinbarte Transaktionsvolumen binden, die Anlage dürfte nicht billiger werden, selbst wenn dies sinnvoll wäre. Der Betrieb einer überdimensionierten Anlage kann aber teurer werden als der anfänglich ausgezahlte Barwertvorteil.
• Zweitens fordern sie die Veröffentlichung von Namen, Adresse und Gesellschaftern des in den USA eigens gegründeten Trusts und die Verlage des vollständigen englischen Vertragstexts.
• Drittens fordern sie von den Vertragspartnern auf österreichischer Seite (Arrangeur, Banken, Berater) die Abgabe einer rechtsverbindliche Erklärung, dass durch sie im Zusammenhang des Vertrags weder direkt noch indirekt dem österreichischen Staat ein Steuernachteil entsteht.
Was sollte gegen solche Forderungen einzuwenden sein? Sie sind banal und selbstverständlich. Bisher wurden sie bei keinem Abschluss eines Cross-Border-Leasing-Vertrags erfüllt.
Eine weitergehende Form des Widerstands sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Im November 2002 fand in Kulmbach (Bayern) der erste Bürgerentscheid gegen ein Cross Border Leasing in Deutschland statt. Der Entscheid war für alle Seiten überraschend eindeutig und erfolgreich. Eine Woche später hat der Stadtrat in der Nachbarstadt Fürth seinen Beschluss zur Durchführung eines Vertrags gekippt, einstimmig. In Recklinghausen hat sich im Dezember 2002 eine Koalition aus Attac, BUND und der Ratsfraktion gebildet und hat Anfang Januar 2003 mit dem Sammeln von Unterschriften begonnen.

Werner Rügemer

Für eine ausführlichere Darstellung des Cross Border Leasing siehe Werner Rügemer, Colonia Corrupta. Globalisierung, Privatisierung und Korruption im Schatten des Kölner Klüngels, Münster (Westfälisches Dampfboot) 2002, 160 Seiten, 15 Euro.



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