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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 4

Gier macht mobil

Ärzte streiken — Ver.di kneift

von KLAUS ENGERT

Der angejahrte Professor Baring hatte im Sturmgeschütz der deutschen Bourgeoisie, der FAZ, das Startsignal gegeben: Gegen die Ausplünderung des deutschen Bürgertums durch die rot-grüne Koalition hatte er auf die Barrikaden gerufen. Folgte ihm denn keiner? Doch, in mehreren Regionen Germaniens ermannte sich der Ärztestand und rief, wenn auch nicht zum Auf-, so doch zum Ausstand. Die Praxen blieben geschlossen, ein "Fortbildungstag" wurde stattdessen abgehalten und die Patienten auf den Notdienst verwiesen. In Stuttgart protestierten etwa 1300 Ärzte und Apotheker, in Trier waren 80 Praxen geschlossen, in Westfalen-Lippe schätzte die Kassenärztliche Vereinigung die Streikteilnahme auf 30%.
Wer unter den Patienten die Hoffnung gehabt haben sollte, dass sich der Protest der niedergelassenen Mediziner gegen die schleichende Privatisierung des Gesundheitssektors, gegen Ungleichbehandlung, Aushöhlung des Solidarsystems und Unterbezahlung des sog. medizinischen Hilfspersonals richte, wurde getäuscht. Es ging schlicht um die von einer Gesundheitsministerin — deren Vorstellungen davon, wie ein zukünftiges Gesundheitswesen aussehen sollte, so nebulös sind wie den streikenden Ärzten die vorgenannten Themen gleichgültig — verordnete Nullrunde bei den Budgets, sprich den Arzthonoraren. Den Hungertod dicht vor Augen, zog die deutsche Ärzteschaft in das letzte Gefecht um Eigenheim, Benz und Karibikurlaub.
Dumm, dass es da Nestbeschmutzer gibt wie den Orthopäden Beck, der in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung lapidar das durchschnittliche Nettoeinkommen der niedergelassenen Ärzte auf 70000—80000 Euro im Jahr bezifferte und meinte, die Mediziner verdienten immer noch überdurchschnittlich, nur die Einkommensanstiege seien geringer geworden. Er riet den Patienten streikender Ärzte schlicht zum Arztwechsel.
Während die Führung der Gewerkschaft Ver.di, die ja auch das im Vergleich zu allen vergleichbaren Berufsgruppen deutlich unterbezahlte abhängig beschäftigte Personal im Medizinbereich vertritt, mit Rücksicht auf die sattsam bekannte "wirtschaftliche Vernunft" und die Parteikameraden in der Bundesregierung an deren Kandare blieb, bei der diesjährigen Tarifrunde peinlichst einen Streik vermied und sich mit einem der üblichen faulen Kompromisse zufriedengab, mithin neue deutsche Bescheidenheit demonstrierte, bewies die deutsche Ärzteschaft Kampfkraft. Der Gedanke, dass ihr Streik angesichts der eben erläuterten Einkommensrealität mindestens ebenso peinlich sein sollte wie der Gewerkschaft, scheint den guten Menschen in Weiß nicht gekommen zu sein…
Bisher sind noch keine negativen gesundheitlichen Folgen des Medizinerausstands bekannt geworden. Das ist auch nicht unbedingt zu erwarten: In der Zeitschrift Bild der Wissenschaft vom Dezember 2000 wird ein Streik der Ärzte in einer Klinik in Israel aufgeführt, der im Mai 2000 stattfand. Unzählige Operationen und Ambulanztermine wurden abgesagt. Nach Angaben der Bestattungsunternehmen im Großraum Jerusalem waren im Streikzeitraum ca. 50% weniger Sterbefälle zu verzeichnen als im gleichen Monat des Vorjahres.

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