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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 5

Kein falsches Vertrauen!

Arno Klönne über den deutschen Imperialismus und die Logik der rot-grünen Außenpolitik

Die Debatten der Antikriegsbewegung konzentrieren sich vor allem auf den US-amerikanischen Imperialismus als Triebfeder für die Kriege der "Neuen Weltordnung". Die Position der BRD und der Europäischen Union scheinen für die Bewegung bisher kaum von Bedeutung zu sein. Arno Klönne geht dieser vernachlässigten Frage auf den Grund. Das Gespräch für die SoZ führte Christoph Jünke.

Rot-Grün hat die Bundestagswahlen im Wesentlichen deswegen gewonnen, weil sich Schröder und Fischer im Wahlkampf in seltener Klarheit gegen einen Irakkrieg aussprachen, selbst für den Fall, dass ein solcher Krieg vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet sein sollte. Nach den Wahlen konnten wir beobachten, wie sie den diplomatischen Scherbenhaufen, den sie damit angerichtet haben, wieder mühsam zu flicken versuchten. Welche Logik siehst du bei der rot-grünen Außenpolitik am Werk?
Zuerst einmal ist es ja so, dass eine Ablehnung oder negative Stellungnahme zum Irakkrieg auch ihre Eigendynamik hat. Es wird da eine Stimmung in der Bevölkerung aufgegriffen und eine politische Position daraus gemacht, die dann in der Welt ist und eine gewisse Eigendynamik entfaltet.
Hinzu kommt, dass sich inzwischen die Konstellationen etwas verändert haben, weil deutlicher geworden ist, dass auch in anderen europäischen Ländern die Abneigung gegenüber den Kriegsplänen der US-Regierung groß ist und auch weiter wächst, und dass es auch in den USA eine erhebliche Opposition gegen diese Kriegspläne gibt. Das sind Konstellationsveränderungen, die dazu geführt haben, dass die Bundesregierung ihre Position etwas fester geklopft hat, als sie es vermutlich zunächst beabsichtigt hatte. Das muss man mitbedenken.
Wenn man sich die Logik ansieht, die darin unabhängig von der jeweiligen Konstellation zu erkennen ist, dann sehe ich zweierlei. Einerseits wird die Regierung Schröder sicherlich das fortführen, was schon seit längerem erkennbar ist — eine gegenüber den vergangenen Jahrzehnten veränderte Linie der deutschen Außen- und Militärpolitik. Und zwar in die Richtung einer, um das Schlagwort von Schröder wieder aufzunehmen, "Enttabuisierung des Militärischen". Das läuft praktisch auf eine globale Interventionsfähigkeit auch der Bundesrepublik hinaus — wenn auch in bescheidenem Ausmaß. Peter Struck hat das angedeutet mit seinem Satz, dass die Verteidigung der Bundesrepublik unter heutigen Bedingungen eben auch am Hindukusch stattfinde.
Das hat ja eine längere Linie, wenn wir uns an die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992, damals noch unter Kohl, erinnern, die sehr offen formulieren, dass es um militärische Einsätze als Mittel ökonomischer Interessen der Bundesrepublik gehe und auch als Mittel, um sich Gewicht zu verschaffen im internationalen Konzert der Machtkonkurrenzen.
Zum zweiten ist es so, dass die Bundesrepublik und auch andere europäische Staaten nicht im Einzelnen die gleichen Interessen haben wie die US-Regierung. Von daher ist die deutsche Regierung eher darauf eingestellt, in bestimmten Situationen auf den Weg des internationalen Aushandelns zu setzen, und internationalen Gremien eher Raum zu geben, während die US-Regierung recht selbstherrlich internationale Politik praktiziert. Dafür gibt es auch Gründe, die weniger weltanschauliche Differenzen zum Ausdruck bringen, sondern mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und Interessen zusammenhängen.

Du hast mit deinem Kollegen Werner Biermann in zwei Büchern die US-Strategie zur Neuordnung der Welt beschrieben und demnächst erscheint euer drittes. Was ihr nur am Rande streift, ist die Rolle und das spezifische Interesse des europäischen, vor allem des deutschen Kapitals in diesen Konflikten. Gibt es für dich jenseits der Anlehnung an den US-Imperialismus einen spezifisch deutschen Imperialismus und worin besteht er?
Wenn man unter Imperialismus ganz wesentlich die gegebenenfalls auch militärische Durchsetzung ökonomischer Interessen versteht, die mit dem jeweiligen Standort, in diesem Fall der Bundesrepublik, verbunden sind, muss man sehen, dass die Außen- und Wirtschaftsinteressen europäischer Staaten nicht einfach identisch sind mit denen der USA. Das betrifft auch Konfliktzonen wie den Nahen Osten oder Zentralasien und den Raum um das Kaspische Meer. Das heißt nicht, dass es nicht auch Querverbindungen und Übereinstimmungen in bestimmten Fragen gäbe.
Modellartig kann man sagen, dass die Bundesrepublik in ihren imperialistischen Interessen von der weltpolitischen Rolle der USA als einer Art Gesamtdienstleister auch und vor allem in militärischen Dingen abhängig ist, und auf der anderen Seite eben auch Konkurrent ist. Diese Konkurrenz führt in bestimmten Situationen auch zum Einsatz oder zum Anvisieren anderer außenpolitischer Mittel. In der Balkanpolitik hat es Übereinstimmung bezüglich einer militärischen Intervention gegeben. In der Frage eines Vorgehens in der Golfregion gibt es zur Zeit sicherlich keine Übereinstimmung.

Wie weit können diese Kontroversen und Friktionen zwischen den USA und Europa gehen? Im Moment erleben wir zumindest eine verbale Eskalation. Inwieweit können sich die deutschen oder europäischen Interessen gegen die USA verselbstständigen?
Diese Kontroversen finden ja statt in einem, um den Modebegriff zu benutzen, asymmetrischen Machtsystem. Im Hinblick auf militärische Machtentfaltung gibt es gegenwärtig und auf absehbare Zeit keine wirkliche europäische Konfliktfähigkeit. Auch im weltweiten Finanzsystem gibt es eine US-Dominanz, die nicht einfach unter Konkurrenz gestellt werden kann. Insofern ist die Konkurrenz asymmetrisch.
Es gibt in der deutschen Linken gelegentlich die Befürchtung, der deutsche Imperialismus könne es von seiner Schlagfertigkeit her militärisch aufnehmen mit den USA, was angesichts der deutschen Tradition als noch gefährlicher anzusehen wäre. Das ist, betrachtet man die Machtgewichte, m.E. ganz unrealistisch. Das muss man bedenken. Dennoch kann es im Einzelnen zu hart ausgetragenen Konflikten unter der diplomatischen Oberfläche kommen.

Deutsche Politik ist doch weitgehend eingebunden in europäische Politik. Es scheint mehr eine europäische, keine deutsche Frage zu sein. Wie siehst du diese Dynamik?
Da ist die europäische Politik sehr unausgegoren. Eine auch nur annähernde Einheitlichkeit in wirtschaftlichen, machtpolitischen und militärischen Konzepten gibt es ja gegenwärtig nicht. Die Interessen fallen immer wieder auseinander.
Auf der anderen Seite sind die europäischen Länder immer auch gezwungen, Koalitionen zu suchen, um gegenüber der US-Regierungspolitik bestehen zu können. Es ist interessant, dass US-Politiker jetzt anspielen auf die Osteuropäer und diese gewissermaßen gegen Frankreich und Deutschland ausspielen wollen. Die europäische Dimension ist also möglich, nicht aber als feste Größe einzukalkulieren. Das hält ihre Machtchancen gering, kann aber auch, vor allem in Fragen der Legitimation, zu einem möglichen Störfaktor werden.

Fakt bleibt, dass deutsche Truppen in Bosnien, Mazedonien und im Kosovo stehen, am Horn von Afrika, in Usbekistan, Kuwait und Afghanistan. Es sollen mittlerweile etwa 10000 deutsche Soldaten geben, die dort stationiert sind. Das ist ein sehr deutlicher Einschnitt im Vergleich bzw. zur Situation von vor zehn Jahren.
Das ist eine deutliche Veränderung, die zeigt, dass das Schlagwort von der Enttabuisierung des Militärischen nicht nur ideologische Substanz hat. Hier liegen mittlerweile reichlich praktische Erfahrungen vor.
Man darf sich deswegen in seiner Einschätzung auch nicht verunsichern lassen durch die deutsche Abneigung gegen die Irakkriegspläne. Die ändert nichts daran, dass militärische Interventionen auch im deutschen Machtkalkül stehen und dass die traditionelle Begrenzung von Militär auf die Verteidigung in der Praxis längst der Vergangenheit angehört.

Gemessen an der Schnelligkeit, mit der Deutschland eine eigene Außenpolitik betreibt, ist es verblüffend, wie wenig oder zumindest schief dies in der linken Theoriedebatte aufgearbeitet wird. Wir haben es da noch immer mehr mit Meinung als mit Analyse zu tun. Fragen der Außen- und Geopolitik sind traditionell auf der deutschen Linken, ich spreche hier aus der Tradition der westdeutschen Linken, unterbelichtet bzw. in ein eigenartig vereinfachtes Interpretationsraster eingelassen. Wie schätzt du die sowohl intellektuellen wie politischen Fähigkeiten der deutschen Linken im Angesicht des bevorstehenden Krieges ein?
Da gibt es Schwierigkeiten, die mit der Ideengeschichte der Linken speziell in der Bundesrepublik zusammenhängen. Es geben Gedankenmuster den Ausschlag, die darauf hinauslaufen, sich nicht allzu sehr einzulassen auf die realistische Analyse weltpolitischer Gegebenheiten, sondern nur fallweise moralisierend Position zu beziehen und diese an die an sich notwendige Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit anzubinden. In der momentanen Situation führt das leicht dazu, dass die politischen Pläne der USA oder der BRD gemessen werden an Konstellationen der 30er und 40er Jahre. Das führt analytisch nicht weiter.
Auf der anderen Seite gibt es in manchen Köpfen sicherlich auch so etwas wie einen simplen Antiamerikanismus, nicht im rassistischen Sinne, wohl aber im Sinne, dass weltpolitisch nur die USA gefährlich werden könnten. Das ist ja ein Irrtum, weil imperialistische Züge auch bei anderen Staaten deutlich zu erkennen sind, und führt zur Nichtwahrnehmung der Eigeninteressen und Gefahren einer eigenen deutschen Außen- und Militärpolitik.
Wir haben hier eine schwierige ideologische Lage, der gegenüber es wichtig wäre, das aufzugreifen, was zum Teil in der nachwachsenden Generation linker gesellschaftskritischer Bewegungen zu beobachten ist: eine mehr internationale Perspektive. In dem Moment, in dem ich die einnehme, hüte ich mich vor dem einen oder anderen genannten Missverständnis und entwickele ein Gefühl dafür, wo jeweils die besonderen Risiken liegen. Eine solche Sicht macht es möglich, Protest und Kritik auch besser als in der Vergangenheit durchzuhalten.

Auch in deiner Analyse sind es aber die USA, die die treibende Kraft zum Krieg sind. Aber wenn es auch für die deutschen Linken ungemütlich ist, muss man schon sagen, dass die deutsche Regierung hier eine gewisse positive Rolle spielt, wenn sie, aus welchen Motiven auch immer, diesen Drang zum Krieg ein bisschen bremst.
Selbstverständlich wird eine kritische Stellungnahme zu den US-amerikanischen Kriegsplänen nicht dadurch falsch, dass Schröder und Fischer sie vertreten. In vielen Fällen, vor allem auch im Golf, ist es eben die US-Regierung, die interessenbedingt die treibende Kraft ist. Das muss man in der öffentlichen Auseinandersetzung auch benennen, darf aber nicht verschweigen, dass die Bundesrepublik und ihre gegenwärtige Regierung keineswegs pazifistisch geworden sind.

Der Zusammenhang zum innenpolitischen Sparkurs ist hier deutlich. Das Geld wird für die Außenpolitik und den Umbau des Militärs gebraucht.
Längerfristig führt die Ambition der Durchsetzung ökonomischer Interessen auch mittels Militär in einem Land wie der Bundesrepublik ganz erheblich dazu, die Spielräume der öffentlichen Haushalte zu verändern. Die gegenwärtige Bundesregierung hat sich zu dieser Ambition ja offen bekannt und erste Erfahrungen gesammelt. Der Abbau der sozialen Sicherungssysteme und die Investition freigesetzter Mittel ins Militär liegen auch langfristig auf der eingeschlagenen Linie.
Ironischerweise kann die US-amerikanische herrschende Klasse zur Kenntnis nehmen, dass sich damit auch die bisher durchaus unterschiedlichen Sozialsysteme zunehmend angleichen — weg vom Sozialstaat.

Du schreibst Bücher und Artikel und sprichst auf Veranstaltungen gegen den Krieg. Was kann man mehr tun, was können und sollen vor allem jene tun, denen die Feder nicht zur Verfügung steht?
Erfreulicherweise ist es so, dass sich in den letzten Jahren und in der aktuellen Situation der Gefahr des Irakkriegs die Artikulationen von Opposition und Widerspruch gesteigert haben. Das sehe ich auf meinen und auch auf anderen Veranstaltungen, in den Leserbriefspalten der Presse oder bei Reaktionen politisch nicht gebundener Kreise oder in den Kirchen. Hier haben wir es mit einer Veränderung des politischen Klimas in der Bundesrepublik zu tun. Das politische Leben hat sich deutlich reaktiviert.
Allerdings sollten sich diese Haltungen nicht lahm legen lassen von der Einschätzung, unsere Regierung äußere ja Protest, weswegen wir ihr die Politik überlassen könnten. Ein Grundvertrauen in die Vernünftigkeit der gegenwärtigen deutschen Regierungspolitik wäre ganz ungerechtfertigt. Es gilt also weiterhin: Nehmen wir die Politik in die eigenen Hände.

Arno Klönne ist Mitherausgeber der Zweiwochenzeitschrift Ossietzki. Im April erscheint im Kölner PapyRossa-Verlag sein drittes, zusammen mit Werner Bierman veröffentlichtes Buch The Big Stick. Imperiale Strategie und globaler Militarismus — die USA als Weltmacht. Vgl. zum Thema der geopolitischen Rivalitäten zwischen den USA und der EU auch das ausführliche Interview mit Peter Gowan in den gleichzeitig erscheinenden SoZ Heft 3.



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