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Die deutsche Geschichte nach 1990 ist vom zunehmenden Einsatz der Bundeswehr im Ausland zur militärischen
"Untersetzung" deutscher Interessen bestimmt. Es war kein Zufall, als im Jahr 1995 der Generalinspekteur der Bundeswehr davon sprach, dass der
deutsche Soldat in Zukunft auch "fern der Heimat" versuchen müsse, "Krisen von seinem Land, das während seines Einsatzes weiter in
Frieden lebt, fernzuhalten" und dass es "ähnliches in diesem Jahrhundert nur zwei Mal vor 1945 gegeben" habe. Klaus Naumann nahm damit
positiv Bezug auf den Einsatz der kaiserlichen deutschen Armee erstens in China 1900 und zweitens in "Deutsch-Südwestafrika" 1904. Bei der
erstgenannten "Intervention" gegen den Aufstand der Geheimsekte "Fäuste der rechtschaffenen Harmonie", missverständlich als
"Boxeraufstand" bezeichnet, fungierte das deutsche Militär noch als Juniorpartner der maßgeblichen imperialistischen Mächte, was
dennoch Ansporn zu besonderer Hetze und Brutalität war. Des Kaisers Abschiedsworte an die Soldaten in Bremerhaven lauteten: "Führt eure
Waffen so, dass auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen." Vier Jahre später agierte das deutsche Heer
bereits zur Verteidigung des eigenen imperialistischen Interessengebiets, als es Zehntausende aufständische Hereros in die Wüste trieb, das Sandfeld
abriegelte und den ersten von deutschen Militärs verübten Völkermord beging.
Mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 und dem Bundeswehreinsatz in Kabul 2001/2002
scheint für einige maßgebliche deutsche Kreise die Rolle des Juniorpartners bereits erschöpft. In Makedonien, wo die Bundeswehr erstmals als
maßgebliche militärische Kraft agiert, ist bereits ein Zwischenstadium auf dem Weg zur militärischen Vertretung "rein deutscher"
Interessen erreicht. Im kommenden Krieg gegen den Irak sind Bundesregierung und Bundeswehr zwar Kriegsbeteiligte u.a. indem die US-amerikanischen und
britischen Kapazitäten auf deutschem Boden zur Kriegsvorbereitung und im Krieg selbst genutzt werden und Bundeswehr und Bundesmarine am Horn von
Afrika und in Kuwait zur Entlastung des US-Militärs agieren. Doch hinter dem "Nein" zu einem aktiveren Beitrag im Irak-Krieg, den
Schröder und Gauweiler fordern, steht mehr als der Blick auf Hannover (Wahl) oder Rom (Papst). Offensichtlich reifen weitreichende innerimperialistische
Widersprüche heran, teilweise ausgelöst von der US-amerikanischen und britischen Haltung, wonach das Beute-Öl allein unter den eigenen
Konzernen aufzuteilen sei.
In dieser Situation können Linke den Fehler von 1990/91 wiederholen, als maßgebliche
Teile der Konkret-Redaktion die Antikriegsfront spalteten. Sie können aber auch die Bewegung gegen den Krieg vorantreiben, dabei eine prinzipielle Haltung
einnehmen und zugleich der besonderen Verantwortung als deutsche Linke Rechnung tragen. Die Bewegung vorantreiben heißt: Wir müssen
anknüpfen an der breiten Ablehnung gegen den Krieg und an den innerimperialistischen Widersprüchen. Prinzipiell meint: Wir müssen zur
Kenntnis nehmen, dass sich die kriegskritische Stimmung aus unterschiedlichen Motiven speist und dass der Protest der Todenhöfer und Gauweiler allein
dadurch motiviert wird, dass der Irak-Krieg einer Interessenvertretung deutscher Konzerne und Banken (zu) wenig dient. Daraus folgt, dass wir auch im Irak-Krieg die
Kriegstreiber im eigenen Land, die aktive deutsche Hilfe im Krieg, die deutsche Aufrüstung und die fortgesetzten Bundeswehreinsätze in anderen
"Krisengebieten" herausstellen müssen. Der Verantwortung als Linker mit deutschem Pass gerecht werden heißt: Jedem Antisemitismus
muss begegnet, jeder Vergleich der zu verurteilenden Praxis von Israels Militär mit den NS-Verbrechen muss als neuerliche Relativierung des Charakters der
NS-Verbrechen denunziert werden.
Dass die Gefahr einer Spaltung der Antikriegsbewegung dann existiert, wenn eine solche
unzweideutige Haltung nicht von vornherein eingenommen wird, wurde bspw. auf dem Attac-Ratschlag in Göttingen am 18.Januar 2003 demonstriert.
Unzweideutig ist die neue Antikriegsbewegung insbesondere, wenn sie als internationale agiert: in Solidarität mit den britischen Lokführern, die
Militärtransporte verweigerten, an der Seite der US-amerikanischen Antikriegsbewegung, die Bushs Krieg als Krieg für Ölinteressen herausstellt,
im Einklang mit der israelischen Friedensbewegung Gush Shalom, die den Rückzug der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten fordert.
Bei einer solchen Orientierung sind die Chancen für eine wirkungsvolle Antikriegsbewegung
groß wie selten zuvor. Noch nie gab es nach 1945 bereits im Vorfeld eines Krieges eine Friedensbewegung, die in Washington, Porto Alegre, London, Florenz,
Rom, Tel Aviv oder Berlin mit Hunderttausenden Menschen auf den Straßen gegen den Krieg und für internationale Solidarität demonstriert.
Selten zuvor gab es die Chance, den berechtigten moralischen Protest gegen Krieg, Zerstörung und menschliches Leid zu verbinden mit der politischen
Erkenntnis, dass Kapitalismus, Weltmarktexpansion und Krieg eine logische Einheit bilden insbesondere dokumentiert durch den Prozess, der als
"Globalisierung" bezeichnet und exakt in die neuen nationalen Kriege münden wird.
Winfried Wolf
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