SoZ Sozialistische Zeitung |
Die Menschen im Ruhrgebiet mussten sich in den letzten Jahren von gewohnten Tätigkeiten und Abläufen, in
Generationen gewachsenen Berufen und Siedlungen, von bekannten Arbeitsplätzen und den zugehörigen Fabriken und Zechen verabschieden:
Umschulung und Umbau, Abbruch und Abhauen wurden die Stichworte für viele.
Zu diesem Abschied gehört auch das Schwinden von sozialen Kontakten und
Geschichten, von Familienstrukturen und Organisationsformen in Vereinen, Gewerkschaften und Verbänden. So ist auch der Abschied zweier
sozialpolitischer Aktivitäten von Bergleuten und Stahlarbeitern im Revier zu registrieren und zu erklären, die im Bergarbeiter-Info und in den Stahl-
Informationen zum Ausdruck kamen. Die letzten Ausgaben dieser beiden Publikationen erschienen Ende letzten Jahres wie es dort heißt, nicht
resignierend eingestellt, sondern durch die Entwicklung der Existenzgrundlage beraubt. Ein Rückblick auf ihre Geschichte lohnt sich.
In den 70er und frühen 80er Jahren erschien die Zeitschrift Revier als Organ von und für oppositionelle und linke Betriebsräte,
Vertrauensleute und Belegschaften. Gleichzeitig gab es an den Großbetrieben jede Menge politischer Gruppen, die ihre Betriebszeitungen verteilten,
Belegschaften aufklärten und Bewegungen zu organisieren versuchten.
Aus diesen Ansätzen entstand aufgrund der Kämpfe für die 35-Stunden-
Woche und gegen die Stilllegung von Rheinhausen das Bedürfnis nach Querinformation, übergreifender und von Parteien unabhängiger
Organisierung. Ruhr-Konferenzen, Tagungen der Linken, Betriebsratsoppositionsveranstaltungen vor allem aber weckte die Tatsache, dass die
Belegschaften quer durchs Revier vor den gleichen Problemen standen und von den Konzernen gegeneinander ausgespielt werden sollten, den Wunsch nach
mehr Zusammenarbeit derjenigen, die sich nicht in den Kurs der Anpassung in Gewerkschaften und Betriebsräten eingliedern lassen wollten.
So erschien die erste Ausgabe der Stahl-Informationen mit folgendem Aufruf der Hoesch-
Belegschaft an alle Stahlarbeiter:
"Wir, die Hoesch-Belegschaft, die heute gegen die Vernichtungsstrategie des Hoesch-
Konzerns vor unserer Hauptverwaltung demonstrieren, entbieten Euch von dieser Stelle unsere solidarischen Grüße … Kollegen, die Politik der
Stahlbosse und der hinter ihnen stehenden Banken einer privatwirtschaftlichen Lösung vernichtet unsere Arbeitsplätze! Somit werden die
Stahlmanager den Lebensinteressen der Stahlarbeiter, unseren Familien, unseren Kommunen und Regionen nicht gerecht. Die Stahlpolitik der Unternehmer ist
ebenso gescheitert wie die der Bundesregierung. Deshalb rufen wir euch auf zu einer eigenen demokratischen Alternative in der Stahlpolitik, wie sie an allen
Stahlstandorten die Vertrauensleutevollversammlungen der IG Metall gefordert haben…"
Der Herausgeber der Stahl-Informationen sagt in der letzten Ausgabe dazu: "Diese
Perspektive ist über die Jahre verloren gegangen. Die Kampfkraft der Bergleute und Stahlarbeite, von vielen in den letzten 30 Jahren besonders auf der
Straße gefürchtet, ist bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Keiner diskutiert heute mehr über überbetriebliche und
gesellschaftliche Möglichkeiten (wie 1983 bei Hoesch), die über dieses menschenfeindliche System hinaus zeigen könnten. Die Debatte um
ökologische Fragen bis hin zu den Fragen, warum müssen wir überhaupt und was arbeiten und wer bestimmt eigentlich darüber
also viele emanzipatorische Ansätze sind nahezu verkümmert."
Der Zusammenschluss von Bergleuten, der sich mit dem Bergarbeiter-Info ab 1986 bei den Kumpels bekannt machte, entstand auch aus dem Eindruck der
verweigerten Solidarität durch die IGBE gegenüber den streikenden englischen Kollegen.
Als die britischen Kumpel ihren monatelangen Streik mit einer empfindlichen Niederlage
beenden mussten, wurde damit eine nicht mehr gut zu machende Bresche in den Widerstand gegen das Zechensterben gerissen. Auch wenn es damals im Revier
noch dreimal so viele Bergwerke gab wie jetzt, zeichnete sich ab, was die Gegenseite vor hatte. Das Bergarbeiter-Info rief zum Widerstand auf und wurde auf
mehreren Schachtanlagen durch Vertrauensleute und Interessierte mit Informationen versorgt und in den Belegschaften verbreitet.
Als die Stilllegungen immer schneller aufeinander folgten und die IGBE selber den Plan zur
Halbierung der Förderung und Belegschaften vorschlug, gab es zum Teil wütende Proteste. Aber es gab auch Resignation unter den Bergleuten, die
wenn auch einigermaßen sozial abgesichert in den Vorruhestand gehen mussten, während nun ihre Kollegen weite Wege zur
nächsten Schachtanlage in Kauf nahmen. Der Widerstand musste ständig erneut gegen die Politik der Anpassung und Stillegung organisiert werden.
In den 90er Jahren gab es dann noch einige Male eine Neuauflage der großen
Protestaktionen, die das Revier "berühmt" gemacht haben aber der Spruch, dass das Wasser im Rhein nicht reiche, wenn es an der
Ruhr brenne, wurde niemals mehr bis zur letzten Konsequenz ausgetestet.
Die Bergleute schreiben im letzten Bergarbeiter-Info: "Uns, die Zeitungsmacher des Bergarbeiter-Info, hat der immer schneller werdende
Anpassungsprozeß eingeholt, gegen den wir immer wieder anschrieben. Durch Abkehr, Verlegung, Umschulung etc. gingen viele betriebliche
Verbindungen zu Ende. Wir selbst sind großenteils über Kurzarbeit, Anpassung und Rente den gleichen Weg gegangen, wie ein Teil unserer
Verteiler und Leser im Betrieb. Die Logik der IGBE bzw. IGBCE, widerstandslos ‚einen Teil der Arbeitsplätze aufzugeben, um das Ganze zu
retten, führt zu immer schnelleren Schüben von Zechenstilllegungen und Personalabbau. Diese Logik, einmal mit getragen, kann sich den
immer schärfer einschneidenden Konsequenzen nicht entziehen."
Die Kette der Solidarität, die die IGBCE Anfang 1997 organisierte, als 200000
Menschen sich quer durchs Ruhrgebiet über 100 Kilometer im wörtlichen Sinne "die Hand gaben" und der tagelange Protest der
Bergarbeiter in Bonn waren die letzten Höhepunkte. Politischen Kräften aus allen Parteien gelang es, das Feuer auszutreten, das eine Woche
später bei dem Protest gegen die Fusionspläne Thyssen-Krupp und bei den Streiks der Bauarbeiter in Berlin noch einmal aufflammte. Diese
Aktionstage haben gezeigt, welche Kräfte in einer Bewegung stecken, die sich um die Lebensinteressen der Beschäftigten schart.
Der Abschied von solchen jahrelangen Aktivitäten im Interesse der Arbeiterbewegung
fällt nicht leicht, und er ist zugleich Mahnung für die zukünftigen Bewegungen gegen den Sozialabbau und die Folgen der Profitlogik, sich
diese Erfahrungen nutzbar zu machen.
"Widerstand ist gerechtfertigt und lohnt sich! Es gibt noch viel zu tun!" heißt
es im letzten Info. Zustimmung!
Rolf Euler
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