SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 10

EU und Osteuropa

Interview mit Zbigniew Kowalewski

Das folgende Interview mit Zbigniew Kowalewski, Vertreter der polnischen radikalen Linken und Mitarbeiter der Gewerkschaftszeitung Nowy Tygodnik Powszechny, führte die dänische Monatszeitung Socialistisk Information im Herbst letzten Jahres.

Worin besteht für die osteuropäischen Länder das Hauptproblem mit der Osterweiterung der EU?
Bevor der Kapitalismus gestürzt wurde, war Osteuropa eine mehr oder weniger unterentwickelte Peripherie der westeuropäischen imperialistischen Mächte. Nach dem Sturz des Kapitalismus wurde Osteuropa im hohen Maß industrialisiert und modernisiert und in eine unabhängige Richtung entwickelt — zuerst und vor allem durch eine beispiellose massive Importsubstitution. Nun ist Osteuropa wieder geworden, was es früher war.
Linke Autoren wie der Brite Peter Gowan heben hervor, dass der Prozess der kapitalistischen Restauration in Osteuropa in den 90er Jahren ein Prozess der Marginalisierung war. Es ist eines der dramatischsten Beispiele in der Geschichte des modernen Kapitalismus für eine Marginalisierung in einer der Kernregionen der kapitalistischen Welt.
Zuvor verfügten die Länder dieser Region über bedeutende moderne Industrien, in einigen Fällen auch über eine recht produktive Landwirtschaft. Heute sind sie zu abhängigen Lieferanten von Rohstoffen und arbeitsintensiven Produkten von geringem Wert herabgesunken — ein schwaches Glied der auf Westeuropa zentrierten internationalen Arbeitsteilung.
Dieser ganze Prozess wird unter Losungen geführt, die das Gegenteil behaupten, nämlich dass Osteuropa zu dem entwickelten, reichen und dominierenden Kern des internationalen Systems aufsteige.
Es trifft aber nicht zu, dass Osteuropa mit der Osterweiterung der EU ein Teil dieses Kerns werden wird. Die erweiterte EU wird intern in einen dominierenden Kern und eine abhängige Peripherie geteilt sein. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich die Probleme der Osterweiterung verstehen.

Was denkt oder sagt die polnische Bevölkerung dazu?
Es scheint, dass eine Mehrheit der Polen die Aufnahme in die EU befürwortet, diese Unterstützung aber deutlich abnimmt. Ich sage: "Es scheint", denn wir können dies nur polnischen Meinungsumfragen entnehmen, und mit den Umfragen in diesem Land haben wir ein Problem. Es ist allgemein bekannt, dass bei gewissen Fragen viele Polen nicht sagen, was sie wirklich meinen, sondern vielmehr was sie für "politisch korrekt" halten. Generell sind Antworten, die sich gegen die herrschende Ideologie richten, in polnischen Meinungsumfragen unterrepräsentiert.
Innerhalb der politischen Elite und in den Massenmedien gibt es eine Mehrheit pro EU. Deren Propaganda besagt, dass Polen durch die EU-Integration zum reichsten und entwickeltsten Teil der Welt gehören wird. Viele Menschen glauben oder hoffen, dass dies wahr ist und der Beitritt die durch die Restauration des Kapitalismus verursachte soziale Katastrophe beenden wird. Viele glauben, dass zumindest ein Teil der nach dem Ende des "realen Sozialismus" verlorengegangenen sozialen Errungenschaften dann wiederkommen wird.
Die Sozialdemokraten, aber auch die wichtigste Partei links von ihnen, die PPS (Polnische Sozialistische Partei), sagen: "Genossen, wir wollen Teil des sozialen Europas werden. Wir wollen die Sozialstandards von Westeuropa haben."
Viele ihrer Anhänger glauben dies wirklich. Dabei werden die aus der früheren Volksrepublik übernommenen sozialen Standards unter dem Druck der kapitalistischen Restauration und der EU massiv gesenkt. Auf der anderen Seite wächst die Unruhe in der polnischen Bevölkerung, aber sie wird politisch von antiliberalen, rechten Strömungen ausgenutzt.

Welche politischen Kräfte sind gegen den EU-Beitritt?
Die polnische Bevölkerung kennt nur die Gegnerschaft der Rechten gegen den EU-Beitritt. Diese Rechten werden fast vollständig dominiert von mehr oder weniger radikalen und starken extrem rechten Strömungen sowie von der populistischen Bewegung Samoobrona (Selbstverteidigung). Samoobrona ist eine Bewegung bäuerlichen Ursprungs, aber hat auch eine wachsende Basis in Städten mit kleinbürgerlichem Charakter. Die Führung setzt sich aus kleinbürgerlichen Karrieristen zusammen, die es nicht geschafft haben, Kapitalisten zu werden.
Samoobrona wird von vielen Menschen für eine radikal linksorientierte Bewegung gehalten, in Wirklichkeit ist ihre Führung rechtsgerichtet und geht Bündnisse mit der nationalistischen und klerikalen Rechten ein, insbesondere mit der Polnischen Familienliga (LPR).
Heute stellen LPR und Samoobrona die Hauptkräfte der parlamentarischen Opposition gegen Polens EU-Beitritt. Für breite Teile der Bevölkerung stellen sie sich geschickt als die "wahren Verteidiger der polnischen nationalen Interessen" dar, auch als die "wahren Verteidiger" der Armen und im Allgemeinen aller Menschen, die vom Neoliberalismus und der neoliberalen Globalisierung bedroht sind.
Die mehr oder weniger radikale linke Opposition operiert fast "heimlich", sie ist in der Öffentlichkeit nicht bekannt, äußerst klein und hat keinerlei Verbindungen zur Arbeiterklasse. Sie hat auch keine Möglichkeit, sich bei der seit Jahren anhaltenden Stagnation der Klassenkämpfe zu entwickeln. Außer in sehr kleinen Kreisen kennt niemand die Kritik der Linken an der EU und am EU-Beitritt. Auch spiegelt sich die extreme politische Schwäche der Linken in ihrem begrenzten Wissen und Nachdenken über die EU-Osterweiterung wider.
Die andere Seite dieser Medaille ist die fehlende, aber wesentliche Ost-West-Integration der radikalen europäischen Linken. Es sieht so aus, als gebe es eine wachsende Kluft einer anschwellenden radikalen Linken in Westeuropa und einer machtlosen und stagnierenden Linken in Osteuropa. Man braucht nur zu sehen, wie sich die Antiglobalisierungsbewegung im Westen entwickelt und wie sie im Osten stagniert. Da herrscht dieselbe tiefe Kluft.

Aus: Socialistisk Information (Kopenhagen), Nr.170, November 2002.



Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04