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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 15

Proteste gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos

Triumph des Kasernenkapitalismus

Das diesjährige Treffen der 1000 größten Konzerne und hochrangigen Politiker aus aller Welt findet vor dem Hintergrund des bevorstehenden Kriegs gegen den Irak und zahlreicher Unternehmensskandale statt. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) will neues Vertrauen in die Institutionen des Kapitalismus herstellen (‘Building trust‘, so das Motto 2003). Und Behörden und Polizei setzen neue Standards der Repression gegen die Protestbewegung durch.
Donnerstag, 23.Januar: In Zürich findet das "andere Davos" statt, eine Gegenkonferenz zum Weltwirtschaftsforum (WEF). Im Jugendzentrum Kreis 4 sitzt und steht das vorwiegend junge Publikum dicht gedrängt, um den Referenten im Workshop über Strategien gegen die Konzernherrschaft zuzuhören.
FIAT-Arbeiter Rocco Pappandrea berichtet vom Kampf gegen Werkschließungen in Italien. Ökonom François Chesnais erklärt, weshalb wir die Verfügungsmacht über den Reichtum, der in Produktionsmitteln und menschlichen Köpfen steckt, nicht denen überlassen dürfen, die sich in Davos treffen. Politologe Elmar Altvater spricht von der sozialen und ökologischen Katastrophe der Privatisierung. Buchautor und Aktivist Raul Zelik berichtet vom paramilitärischen Terror gegen Gewerkschaften und Bevölkerung in Kolumbien. Am selben Tag spricht in Davos der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe an der Seite von US-Justizminister John Ashcroft über den Kampf gegen den Terrorismus…

Anderes Davos in Zürich

Gegen 1000 Menschen nehmen an der Konferenz von Attac Schweiz teil. Antikapitalistische Kräfte kommen prominent zu Wort. Abends auf dem Podium im Volkshaus kritisiert die Buchautorin Brigitte Kiechle die scheinheilige Haltung der Bundesregierung in Bezug auf den Krieg im Irak. Charles- André Udry von der Bewegung für den Sozialismus erinnert daran, dass dieser Krieg angesichts der Wirtschaftskrise in den USA auch eine Flucht nach vorne darstellt und mit einem Kampf im Innern gegen MigrantInnen und Lohnabhängige einher geht. Der irakische Oppositionelle Sadik Al Biladi erklärt, weshalb nicht nur gegen den imperialistischen Krieg, sondern auch gegen Saddam Hussein mobilisiert werden muss, um die irakische Bevölkerung zu unterstützen.
Es gibt weitere Parallel- und Gegenkonferenzen zum WEF. Bekannt ist das Public Eye on Davos. Hier sprechen vor allem Vertreter von NGOs und Sozialdemokratie. Die Eröffnungsrede hält Oskar Lafontaine. 2002 kam Bundespräsident Kaspar Villiger (FDP) zu Wort.
Als nun der britische Außenminister Jack Straw eingeladen werden sollte, drohte Attac- Sprecher Alessandro Pelizzari abzusagen. Die Einladung wurde zurückgezogen, doch zeigt diese Episode auf, welche politische Konfusion im Lager der "globalisierungskritischen" Kräfte bisweilen herrscht.
Sie wird durch das WEF gefördert: Zu diesem Zweck wurde ein Open Forum in Davos eingerichtet, an dem neben Konzernchefs und Politiker auch NGOs, Gewerkschaften und kirchliche Kreise teilnehmen und den Eindruck erzeugen helfen, dass die globalen Führer der Welt auf die Stimme der "Zivilgesellschaft" hören. Dieses Problem kommt auf dem anderen Davos zur Sprache: Warum weilt Michael Sommer vom DGB in Davos und nicht unter uns? Weshalb reist Präsident Lula nach seiner Rede am Weltsozialforum von Porto Alegre in die Schweizer Berge?

Überwachen und Strafen

Samstag, 25.Januar: Tag der Kundgebung gegen das WEF. Es soll eine große Demo in Davos gegen die kapitalistische Globalisierung und den imperialistischen Krieg werden. Die Behörden haben dieses Mal eine Bewilligung erteilt und zugleich ein umfassendes Kontroll- und Repressionsdispositiv aufgebaut. In Fideris, einem Dorf 30 Kilometer vor Davos, sollen alle Teilnehmenden einzeln kontrolliert und registriert oder verhaftet werden. 1500 Soldaten und eine unbekannte Zahl von Polizeikräften sind im Einsatz. Kampfjets der Luftwaffe fliegen bewaffnete Patrouillen.
An diesem Tag soll US-Außenminister Powell in Davos eintreffen. Der Anlass scheint gut geeignet, um neue Standards der Überwachung und Repression durchzusetzen, an die sich die Bevölkerung gewöhnen soll. Das Oltener Bündnis, ein breiter und heterogener Zusammenschluss von Organisationen, die zur Demo aufgerufen haben, lehnt es ab, sich wie eine fügsame Schafherde zu Tausenden den Kontrollen im "Viehgatter" von Fideris zu unterwerfen.
Die Sozialdemokratische Partei (SPS) hingegen ruft alle "friedfertigen Globalisierungskritiker" öffentlich auf, diese "notwendigen Kontrollen" zu akzeptieren und sich von den "Splittergruppen" im Oltener Bündnis zu distanzieren. Grüne und Teile der Gewerkschaften stellen sich hinter diesen Angriff.

Aufführung fürs Fernsehpublikum

Während die Sprecher des Oltener Bündnisses mit den Behörden über den Abbau der Kontrollen verhandeln und dabei versetzt werden, hält die Polizei Tausende von Menschen stundenlang fest.
In Fideris bleiben Züge und Busse blockiert. Eine Minderheit geht durch die Kontrollen. In Landquart, sind ca. 2000 Kundgebungsteilnehmer im Bahnhof eingekesselt. Die Polizei setzt Tränengas und Gummischrot ein. Sie wird durch Wasserwerfer aus Deutschland unterstützt.
Nachmittags um 5 Uhr werden in Landquart Sonderzüge bereit gestellt, um die Leute zurück nach Zürich und Bern zu fahren. In Zürich darf nur in einem Vorortsbahnhof ausgestiegen werden, den die Polizei abriegelt: Die Menschen werden daran gehindert, ins Stadtzentrum bzw. nach Hause zu gehen. Etwa 1300 frustrierte Teilnehmende, fahren im Extrazug nach Bern, um gegen den Polizeistaat und für die demokratischen Rechte zu demonstrieren. Sie erwartet ein großes Polizeiaufgebot. Straßenschlachten und Polizeigewalt sind das vorhersehbare Ergebnis.
Behörden, Polizei und Massenmedien haben gekriegt, was sie wollten: Etwa 1000 Menschen gingen durch die Kontrollen und demonstrierten "friedlich" in Davos. Die große Mehrheit wurde in Fideris und Landquart festgehalten, gedemütigt und nach Hause bzw. nach Bern geschickt.
Abends kam es zum erwarteten Showdown in den Straßen von Bern, der schon das große Sicherheitsdispositiv für 2004 rechtfertigen soll. SPS-Präsidentin Christiane Brunner sagte im Fernsehen, das Oltener Bündnis sei autoritärer als die Polizei und habe die Menschen gehindert, an der Demonstration teilzunehmen. Der Berner Polizeidirektor Kurt Wasserfallen ließ verlauten, man habe es mit Terroristen zu tun, die nur Gewalt und Zerstörung wollen.
Die "globalisierungskritische" Bewegung tut gut daran, sich ernsthafte Gedanken über zukünftige Strategien des Protests zu machen, die mehr Erfolg versprechen.

Irak: Die Zeit läuft ab

Sonntag, 26.Januar: Außenminister Colin Powell spricht in Davos und erinnert Saddam Hussein daran, dass die Zeit abläuft. Seine Rede wird im schweizerischen Fernsehen direkt übertragen. Die sozialdemokratische Bundesrätin Micheline Calmy-Rey durfte am Samstag kurz bei ihm vorsprechen und vorschlagen, in der Schweiz eine Friedenskonferenz abzuhalten. Powell erwähnt die Sache mit keinem Wort. Für Calmy-Rey war es der bisherige Höhepunkt ihrer politischen Karriere. Darum ging es bei dem Treffen in erster Linie wohl auch.

Peter Streckeisen

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