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Das diesjährige Treffen der 1000 größten Konzerne und hochrangigen Politiker aus aller Welt findet vor
dem Hintergrund des bevorstehenden Kriegs gegen den Irak und zahlreicher Unternehmensskandale statt. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) will neues Vertrauen
in die Institutionen des Kapitalismus herstellen (Building trust, so das Motto 2003). Und Behörden und Polizei setzen neue Standards der
Repression gegen die Protestbewegung durch.
Donnerstag, 23.Januar: In Zürich findet das "andere Davos" statt, eine
Gegenkonferenz zum Weltwirtschaftsforum (WEF). Im Jugendzentrum Kreis 4 sitzt und steht das vorwiegend junge Publikum dicht gedrängt, um den
Referenten im Workshop über Strategien gegen die Konzernherrschaft zuzuhören.
FIAT-Arbeiter Rocco Pappandrea berichtet vom Kampf gegen Werkschließungen in
Italien. Ökonom François Chesnais erklärt, weshalb wir die Verfügungsmacht über den Reichtum, der in Produktionsmitteln und
menschlichen Köpfen steckt, nicht denen überlassen dürfen, die sich in Davos treffen. Politologe Elmar Altvater spricht von der sozialen und
ökologischen Katastrophe der Privatisierung. Buchautor und Aktivist Raul Zelik berichtet vom paramilitärischen Terror gegen Gewerkschaften und
Bevölkerung in Kolumbien. Am selben Tag spricht in Davos der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe an der Seite von US-Justizminister John
Ashcroft über den Kampf gegen den Terrorismus
Gegen 1000 Menschen nehmen an der Konferenz von Attac Schweiz teil. Antikapitalistische Kräfte kommen prominent zu Wort. Abends auf dem
Podium im Volkshaus kritisiert die Buchautorin Brigitte Kiechle die scheinheilige Haltung der Bundesregierung in Bezug auf den Krieg im Irak. Charles-
André Udry von der Bewegung für den Sozialismus erinnert daran, dass dieser Krieg angesichts der Wirtschaftskrise in den USA auch eine Flucht
nach vorne darstellt und mit einem Kampf im Innern gegen MigrantInnen und Lohnabhängige einher geht. Der irakische Oppositionelle Sadik Al Biladi
erklärt, weshalb nicht nur gegen den imperialistischen Krieg, sondern auch gegen Saddam Hussein mobilisiert werden muss, um die irakische
Bevölkerung zu unterstützen.
Es gibt weitere Parallel- und Gegenkonferenzen zum WEF. Bekannt ist das Public Eye on
Davos. Hier sprechen vor allem Vertreter von NGOs und Sozialdemokratie. Die Eröffnungsrede hält Oskar Lafontaine. 2002 kam
Bundespräsident Kaspar Villiger (FDP) zu Wort.
Als nun der britische Außenminister Jack Straw eingeladen werden sollte, drohte Attac-
Sprecher Alessandro Pelizzari abzusagen. Die Einladung wurde zurückgezogen, doch zeigt diese Episode auf, welche politische Konfusion im Lager der
"globalisierungskritischen" Kräfte bisweilen herrscht.
Sie wird durch das WEF gefördert: Zu diesem Zweck wurde ein Open Forum in Davos
eingerichtet, an dem neben Konzernchefs und Politiker auch NGOs, Gewerkschaften und kirchliche Kreise teilnehmen und den Eindruck erzeugen helfen, dass
die globalen Führer der Welt auf die Stimme der "Zivilgesellschaft" hören. Dieses Problem kommt auf dem anderen Davos zur Sprache:
Warum weilt Michael Sommer vom DGB in Davos und nicht unter uns? Weshalb reist Präsident Lula nach seiner Rede am Weltsozialforum von Porto
Alegre in die Schweizer Berge?
Samstag, 25.Januar: Tag der Kundgebung gegen das WEF. Es soll eine große Demo in Davos gegen die kapitalistische Globalisierung und den
imperialistischen Krieg werden. Die Behörden haben dieses Mal eine Bewilligung erteilt und zugleich ein umfassendes Kontroll- und
Repressionsdispositiv aufgebaut. In Fideris, einem Dorf 30 Kilometer vor Davos, sollen alle Teilnehmenden einzeln kontrolliert und registriert oder verhaftet
werden. 1500 Soldaten und eine unbekannte Zahl von Polizeikräften sind im Einsatz. Kampfjets der Luftwaffe fliegen bewaffnete Patrouillen.
An diesem Tag soll US-Außenminister Powell in Davos eintreffen. Der Anlass scheint
gut geeignet, um neue Standards der Überwachung und Repression durchzusetzen, an die sich die Bevölkerung gewöhnen soll. Das Oltener
Bündnis, ein breiter und heterogener Zusammenschluss von Organisationen, die zur Demo aufgerufen haben, lehnt es ab, sich wie eine fügsame
Schafherde zu Tausenden den Kontrollen im "Viehgatter" von Fideris zu unterwerfen.
Die Sozialdemokratische Partei (SPS) hingegen ruft alle "friedfertigen
Globalisierungskritiker" öffentlich auf, diese "notwendigen Kontrollen" zu akzeptieren und sich von den "Splittergruppen"
im Oltener Bündnis zu distanzieren. Grüne und Teile der Gewerkschaften stellen sich hinter diesen Angriff.
Während die Sprecher des Oltener Bündnisses mit den Behörden über den Abbau der Kontrollen verhandeln und dabei versetzt
werden, hält die Polizei Tausende von Menschen stundenlang fest.
In Fideris bleiben Züge und Busse blockiert. Eine Minderheit geht durch die Kontrollen.
In Landquart, sind ca. 2000 Kundgebungsteilnehmer im Bahnhof eingekesselt. Die Polizei setzt Tränengas und Gummischrot ein. Sie wird durch
Wasserwerfer aus Deutschland unterstützt.
Nachmittags um 5 Uhr werden in Landquart Sonderzüge bereit gestellt, um die Leute
zurück nach Zürich und Bern zu fahren. In Zürich darf nur in einem Vorortsbahnhof ausgestiegen werden, den die Polizei abriegelt: Die
Menschen werden daran gehindert, ins Stadtzentrum bzw. nach Hause zu gehen. Etwa 1300 frustrierte Teilnehmende, fahren im Extrazug nach Bern, um gegen
den Polizeistaat und für die demokratischen Rechte zu demonstrieren. Sie erwartet ein großes Polizeiaufgebot. Straßenschlachten und
Polizeigewalt sind das vorhersehbare Ergebnis.
Behörden, Polizei und Massenmedien haben gekriegt, was sie wollten: Etwa 1000
Menschen gingen durch die Kontrollen und demonstrierten "friedlich" in Davos. Die große Mehrheit wurde in Fideris und Landquart
festgehalten, gedemütigt und nach Hause bzw. nach Bern geschickt.
Abends kam es zum erwarteten Showdown in den Straßen von Bern, der schon das
große Sicherheitsdispositiv für 2004 rechtfertigen soll. SPS-Präsidentin Christiane Brunner sagte im Fernsehen, das Oltener Bündnis sei
autoritärer als die Polizei und habe die Menschen gehindert, an der Demonstration teilzunehmen. Der Berner Polizeidirektor Kurt Wasserfallen ließ
verlauten, man habe es mit Terroristen zu tun, die nur Gewalt und Zerstörung wollen.
Die "globalisierungskritische" Bewegung tut gut daran, sich ernsthafte Gedanken
über zukünftige Strategien des Protests zu machen, die mehr Erfolg versprechen.
Sonntag, 26.Januar: Außenminister Colin Powell spricht in Davos und erinnert Saddam Hussein daran, dass die Zeit abläuft. Seine Rede wird im
schweizerischen Fernsehen direkt übertragen. Die sozialdemokratische Bundesrätin Micheline Calmy-Rey durfte am Samstag kurz bei ihm
vorsprechen und vorschlagen, in der Schweiz eine Friedenskonferenz abzuhalten. Powell erwähnt die Sache mit keinem Wort. Für Calmy-Rey war
es der bisherige Höhepunkt ihrer politischen Karriere. Darum ging es bei dem Treffen in erster Linie wohl auch.
Peter Streckeisen
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