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Mit unverminderter Wucht treibt die neoliberale Gegenreform die Privatisierungspolitik voran. Und dies auf allen Ebenen:
Kommunen verscherbeln die Stadtwerke, Bundesländer kommerzialisieren die Bildung, Regierungen zerschlagen die Rentensysteme und die EU-
Kommission liefert öffentliche Güter dem schrankenlosen Wettbewerb aus. Ergänzend stricken Regierungen und Konzerne an einem
weltumspannenden Netz von Freihandelsabkommen. Dessen Zweck: die Beseitigung der letzten Hürden für den privaten Zugriff auf die
öffentliche Daseinsvorsorge. Ein wichtiger Teil dieses globalen Netzes ist das GATS (General Agreement on Trade in Services), das
Dienstleistungsabkommen der WTO.
Das GATS entwickelt sich zunehmend zu einem Referenzrahmen für all diejenigen Kräfte, die weltweit an verschiedenen Fronten gegen
Privatisierung kämpfen. Woran liegt das? Eine Antwort gibt die EU-Kommission: "Das GATS ist nicht einfach etwas, was zwischen den
Regierungen existiert. Es ist vor allem ein Instrument zum Wohle der Unternehmen." Schnörkellos und bar jeder Gemeinwohlrhetorik beantwortet
die Kommission die Frage nach dem "cui bono?".
Das empört sowohl jene, die von der Idee des Wohlfahrtsstaats nicht lassen wollen, wie
auch jene, deren gesellschaftliche Fantasien über den fordistischen Klassenkompromiss hinausgehen. Berücksichtigt man dann noch die
Verhandlungsmasse, so wird schnell klar, dass sich Beschäftigte und Konsumenten einer Vielzahl von Dienstleistungen zu den potenziell Betroffenen
zählen dürfen. Denn schon jetzt sind rund 160 Sektoren in der GATS-Klassifikation erfasst, darunter Post und Telekommunikation, Banken und
Versicherungen, medizinische und soziale Dienste, Tourismus und Transport, Handel und Bauwesen, Klärwerke und Müllentsorgung, Bildung und
Kultur.
Auch ist der Vertrag schon in der Welt. Mit der WTO-Gründung im Jahr 1995 trat das
GATS in Kraft. Sein Auftrag: die "fortschreitende Liberalisierung" sämtlicher Servicebereiche. Jedoch übernahmen die WTO-
Mitglieder, und hier vor allem Entwicklungsländer, diesbezüglich nur recht wenige Verpflichtungen. Um das zu ändern, wurden jedoch
regelmäßige weitere Verhandlungsrunden vereinbart. So begann im Jahr 2000 die erste neue GATS-Runde, die nach der optimistischen WTO-
Prognose 2005 zum Abschluss kommen soll.
Zu gewinnen gibt es viel. Für die Industrie winken besonders in den öffentlichen
Bereichen gigantische Profite. Der Weltmarkt für Wasserversorgung wird auf 800 Milliarden US-Dollar geschätzt, der für Bildung auf 2
Billionen US-Dollar und der für Gesundheit auf 3,5 Billionen US-Dollar. Der Löwenanteil der hier getätigten Investitionen stammt noch
immer von der öffentlichen Hand. Konzerne erhoffen sich, einen möglichst großen Teil dieser Mittel in private Taschen umzuleiten.
Eine Besonderheit des GATS besteht darin, dass es den Staaten im Prinzip erlaubt, nur punktuelle Liberalisierungen vorzunehmen. Wird ein Sektor aber
einmal liberalisiert, so gelten die GATS-Regeln des Marktzugangs und der Inländerbehandlung.
Erstere verbietet Beschränkungen der Investitionstätigkeit, wie z.B. Deckelungen
der Höhe von Kapitalbeteiligungen. Die Inländerbehandlung dagegen verlangt totale Wettbewerbsgleichheit für in- und ausländischer
sowie öffentliche und private Anbieter. Würde die EU z.B. den Wassermarkt liberalisieren, müssten die Gebietsmonopole kommunaler
Wasserwerke in der Bundesrepublik beseitigt werden. Wettbewerbsgleichheit im Mediengeschäft hieße, dass die Filmförderung abzuschaffen
oder für alle Produzenten zu öffnen wäre. Im Bildungsbereich liefe es darauf hinaus, dass öffentliche und private Schulen den gleichen
Rechtsanspruch auf staatliche Subventionen hätten.
GATS geht aber noch einen Schritt weiter. Eine am WTO-Sitz in Genf eingesetzte
Arbeitsgruppe entwickelt einen sog. "Notwendigkeitstest". Mittels dieses Tests will man prüfen, ob staatliche Auflagen
"notwendig" sind, oder ob nicht weniger handelsbeschränkende Maßnahmen ergriffen werden könnten. Es ist vor allem die EU,
die sich für Entwicklung und Einsatz des Notwendigkeitstests stark macht.
Letztlich laufen die Bestrebungen der GATS-Verhandler auf eine Harmonisierung staatlicher
Auflagen auf niedrigstem Niveau hinaus. Im Bereich der Aus- und Weiterbildung werden dadurch die Arbeitskosten international vergleichbar gemacht. Denn
was scheinbar harmlos als "Harmonisierung von Qualifikationsanforderungen" daher kommt, heißt immer auch Lohndrückerei. Der
liberale Handelsexperte Gary Hufbauer formuliert dies ganz unverblümt: "Ein Arbeiter wird das verdienen, was er erwirtschaftet bewertet
nach einem einzigen Weltmarktpreis".
Das GATS ist eine Einbahnstraße. Möchte ein WTO-Mitglied GATS-Verpflichtungen zurücknehmen, muss es mit anderen Mitgliedern
Verhandlungen über Ausgleichsmaßnahmen aufnehmen. Scheitern diese, kann das "geschädigte" Mitglied vor dem
Schiedsgericht klagen. Bekommt das klageführende Land Recht, darf es Handelssanktionen gegenüber dem unterlegenen Staat ergreifen. Diese
Sanktionen zumeist Strafzölle können äußerst empfindlich sein, vor allem, wenn das in dem Streit unterlegene Land
von nur wenigen Exportprodukten abhängig ist.
Die Vermeidung einer Klage durch das Angebot von Ausgleichsmaßnahmen ist im
Grunde nur für jene Länder möglich, die über hinlänglich attraktive Alternativen für ausländische Investoren
verfügen. Wer nichts zu bieten hat, dem ist dieser Weg versperrt. Solche Länder gehen ein besonders hohes Klagerisiko ein. Es ist dieser hohe,
vielfach unbezahlbare Preis, der das GATS zu einer gefährlichen Einbahnstraße macht. Das ist deswegen besonders problematisch, weil
Privatisierungen häufig scheitern. Immer wieder unterbleiben versprochene Modernisierungen, während zugleich enorme Summen aus den ehemals
öffentlichen Unternehmen an private Investoren fließen. Der ökonomische Kollaps ist vielfach die Folge. Spätestens dann bleibt keine
andere Wahl, als die Betriebe wieder in öffentliche Trägerschaft zu überführen. Aber auch dies sind Verstöße gegen das
GATS. Sein wichtigster Zweck liegt insofern darin, Privatisierungen unumkehrbar festzuschreiben.
Die GATS-Runde hat die Dienstleistungsindustrie auf den Plan gerufen. Stellvertretend für viele Lobbyisten fordert der Bundesverband der deutschen
Industrie "substanzielle Liberalisierungsfortschritte in allen kommerziellen Dienstleistungssektoren". Darauf blieb "Superminister"
Clement nicht untätig und präsentierte am 19. November gemeinsam mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft die von ihm geplante
"Außenwirtschaftsoffensive". Neben der verstärkten Förderung des Auslandsengagements deutscher Unternehmen verspricht der
Minister, dass "eine noch entschiedenere Marktöffnungspolitik, für die die Bundesregierung in der laufenden Welthandelsrunde eintreten
werde", eine "wesentliche Säule der künftigen deutschen Außenwirtschaftspolitik" sei.
Die Industrie nimmt allerdings nicht nur von der nationalen Ebene aus Einfluss, sondern
effektivierte auch das Lobbying gegenüber der EU-Kommission. Neben schon existierenden europäischen Zusammenschlüssen wurde 1999
mit dem European Services Forum (ESF) ein neuer Verband aus der Taufe gehoben, dessen einziger Zweck die Beeinflussung der GATS-Verhandlungen ist. Der
Anstoß ging allerdings nicht von der Industrie selbst aus, sondern vom seinerzeitigen EU-Handelskommissar Sir Leon Brittan, der sich mit dem ESF seine
eigene Pressure Group schuf.
Dem ESF gehören 47 der größten Konzerne Europas und 35
europäische Dachverbände aus einem breiten Spektrum der Dienstleistungswirtschaft an. Nach eigenen Angaben beschäftigen die ESF-
Mitgliedsunternehmen 3,5 Millionen Menschen in über 200 Ländern. Die im ESF vertretenen Dachverbände wiederum repräsentieren
über 600 nationale Lobbyorganisationen. Zu den deutschen ESF-Mitgliedern gehören u.a. Bertelsmann, Allianz, TUI und die Commerzbank.
Die Verhandlungen selbst finden unter strikter Geheimhaltung statt. Bis zum 31. März dieses Jahres übermitteln die WTO-Mitglieder einander
Liberalisierungsangebote, auf deren Grundlage dann neue, erweiterte GATS-Verpflichtungen ausgehandelt werden.
Im November vergangenen Jahres eröffnete die EU-Kommission dazu einen
scheindemokratischen Konsultationsprozess und forderte die "Zivilgesellschaft" zu Stellungnahmen auf. Faktisch werden diese aber nicht den
geringsten Einfluss auf die GATS-Verhandlungen haben, denn parallel läuft völlig ungestört die innereuropäische Abstimmung auf
ministerieller Ebene.
Ebenso unverbindlich bleiben die in regelmäßigen Abständen von der
Kommission und dem Wirtschaftsministerium durchgeführten Gesprächsrunden mit Vertretern der "Zivilgesellschaft". Die
Informationen, die bei diesen Gelegenheiten zu bekommen sind, gehen nicht über das hinaus, was in einschlägigen Informationsdiensten oder auf
der Webseite der WTO ohnehin frei verfügbar ist.
Die Ergebnisse ihrer Civil Society Dialogues stellen EU-Kommission und Regierungen
geradezu auf den Kopf. So behauptet die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der PDS, dass die Liberalisierungsforderungen der EU
"auch in Deutschland eingehend abgestimmt worden" seien. Dies ist eine Farce, da wichtige Verhandlungsdokumente gar nicht erst
veröffentlicht werden und Kritik bei der letztendlichen Formulierung der europäischen GATS-Position unberücksichtigt blieb.
Im Vergleich dazu genießen europäische Konzerne eine äußerst
zuvorkommende Behandlung. Dies wurde abermals deutlich als die E-Mail-Korrespondenz zwischen der EU-Kommission und einer Handvoll der
größten Wasserkonzerne Europas durchsickerte, darunter die französischen Weltmarktführer Vivendi und Suez, die RWE-Tochter
Thames Water sowie die Mannheimer AquaMundo. Besonders erschreckend, dass die Kommission entgegen ihren öffentlichen Beteuerungen den Firmen
nicht nur die Übernahme von Wasserbetrieben in aller Welt ermöglichen will, sondern offenbar auch den Zugriff auf die Wasserressourcen. In einer
Mail an die RWE-Tochter Thames Water fragt sie dezidiert nach Restriktionen "des Zugangs/der Kontrolle/des Eigentums an der Ressource
Wasser".
Während die Bundesregierung die GATS-Verhandlungen einerseits zugunsten deutscher Exporteure zu Nutzen versteht, versucht sie andererseits die
Öffnung vornehmlich des inländischen Marktes in einzelnen Punkten abzuwehren. So brachten die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen
am 16.Januar einen gemeinsamen Antrag im Bundestag ein, in dem sie sich gegen weitere Liberalisierungen des öffentlichen Bildungswesens und der
audiovisuellen Dienstleistungen aussprechen. Die Befassung des Parlaments beschränkt sich mithin auf lediglich zwei der vor allem innenpolitisch
sensiblen Sektoren.
Der enorme Liberalisierungsdruck, der auf andere Länder ausgeübt wird, ficht die
Parlamentarier des Exportweltmeisters dagegen nicht an. Dabei drängen vor allem Deutschland und Frankreich darauf, die bisher noch nicht im GATS
enthaltene Trinkwasserversorgung ebenfalls in die Verhandlungen aufzunehmen.
Schließlich trennen SPD und Grüne fein säuberlich die
außenpolitische Liberalisierung von der innenpolitisch vorangetriebenen Privatisierung. In ihrem Antrag fordern die Regierungsparteien nämlich die
Klarstellung, "dass die Ergänzung des öffentlichen Regelschul- und Hochschulwesens durch ein Angebot von privaten Einrichtungen"
keine Begründung für die Anwendung der GATS-Regeln auf das öffentliche Bildungssystem sein dürfe. Anders ausgedrückt:
Rot-Grün beabsichtigt keineswegs, auf die schleichende Privatisierung des Bildungswesens zu verzichten, sondern will sich dies lediglich nicht durch die
WTO diktieren lassen.
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass der Widerstand gegen das GATS nicht auf die Handelsebene
beschränkt werden darf, sondern die konkret vor Ort ablaufenden Privatisierungsprozesse einbeziehen muss. Und das nicht nur hier, sondern auch
andernorts.
Thomas Fritz
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