SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 1

Globalisierung gestalten oder Alternativen suchen?

Kritik des gemeinsamen Positionspapiers von Attac, DGB und Venro

Das gemeinsame Positionspapier von Attac, DGB und Venro (Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen) suggeriert, es gebe in Attac nur eine Position zur Problematik der Globalisierung, und diese Position sei mehr oder weniger identisch mit der des DGB und einiger Entwicklungs-NGOs. Dies trifft nicht zu. […]

Das Positionspapier ist ein erneuter Versuch, das Wasser und das politische Potenzial der neuen internationalen Protestbewegung wieder einmal auf die alten Mühlen des DGB und der SPD zu lenken. Ein Kommentator sagte, es liest sich wie das Wahlprogramm der SPD. Uns kam es vor, als wäre es abgeschrieben aus dem Bericht der Enquête-Kommission des Bundestags "Globalisierung der Weltwirtschaft". […]
Gleich zu Anfang heißt es, Globalisierung als solche könne nicht in Frage gestellt werden. Sie benötige lediglich ein "soziales und demokratisches Gesicht. Es gilt nicht der Globalisierung zu entkommen, sondern sie politisch zu gestalten".
Das heißt nichts anderes, als dass die ökonomischen Tatsachen, die die Global Players und ihre Institutionen bisher geschaffen haben, als alternativlos akzeptiert werden. TINA (‘There is No Alternative‘, M.Thatcher 1979). Weiter heißt es:
"Mit der vorliegenden Erklärung haben sich der DGB, Venro und Attac das Ziel gesetzt, die neue Bundesregierung und den neu gewählten Bundestag zu einem größeren Engagement für eine sozial und ökologisch gerechtere Weltordnung mit demokratischem Antlitz aufzufordern." Und: "Globalisierung in der heute vorherrschenden Form ist nicht von allein in Gang gekommen. Die Ausweitung und damit die Verschärfung des globalen Wettbewerbs waren politisch gewollt. Entscheidende Triebkräfte waren nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Regierungen der USA, Japans sowie der Mitgliedstaaten der EU. Sie haben die Weichen für eine Liberalisierung der Märkte, und zur Zurückdrängung öffentlicher Daseinsvorsorge gestellt."
Jetzt soll(en) die Regierung(en) die Globalisierung gerecht gestalten, die zuvor der neoliberalen Globalisierung Tür und Tor geöffnet haben. Die politischen Bewegungen, die BürgerInnen, die Menschen sind hier nicht mehr die Akteure, die eine andere Welt gestalten. Weg von den lästigen Straßenaktionen und den langwierigen demokratischen Entscheidungsprozessen!
"Globale Märkte müssen auf globalen Regeln und Institutionen beruhen, die eine menschenwürdige Entwicklung und das Allgemeinwohl über die Interessen von Unternehmen und nationalen Vorteilen stellen. Eine Rückkehr zu einer Fixierung der Politik auf die nationalstaatliche Ebene ist keine wünschenswerte Alternative." Hier erfolgt konsequent zum Anfangsstatement die Festlegung auf eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsweise sowie auf einen weltweiten Warenaustausch.
Dies spiegelt nicht den Diskussionsprozess innerhalb Attac über alternative Wirtschaftsweisen wider. Ein nicht unerheblicher Teil der Attac-Bewegung spricht sich gegen eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung aus, in der der marktwirtschaftliche Preis als gesellschaftliches Ordnungs- und Verteilungsinstrument fungiert.
Bereits Anfang 1974 forderten die Entwicklungsländern eine Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien. "Die Beobachtung, daß eine auf marktwirtschaftlichen Prinzipien basierende Weltwirtschaftsordnung zu einer Vertiefung der Kluft zwischen arm und reich führt, hat die Entwicklungsländer in den letzten Jahren zu der Forderung veranlasst, die gegenwärtige internationale Wirtschaftsordnung zu reformieren. Das Konzept der Entwicklungsländer für eine Neuordnung der Weltwirtschaftsbeziehungen wurde ermals auf der UN-Sonderkonferenz für Rohstoffragen vom 9.4.1974 bis zum 2.5.1974 diskutiert. Dieses Konzept beinhaltet im Kern eine Abkehr von einer durch die Marktprinzipien determinierten, internationalen Arbeitsteilung."
Wir wissen, dass das marktwirtschaftliche Konkurrenzprinzip mit dem ihm inhärenten Zwang zu Konzentrationsprozessen zu einem unglaublichen Ressourcenverbrauch, zur Zerstörung von Millionen von Kleinbauern und Kleinbetrieben im Süden, zu Arbeitsplatzvernichtung, irreversiblen Umweltschäden und zu einer Polarisierung zwischen Arm und Reich etc. führt. Wir wissen, dass die internationale Arbeitsteilung zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern durch Kolonialismus, Imperialismus und Neokolonialismus seitens europäischer Mächte, der USA und Japans erzwungen worden ist; dass sie zu Monokulturen, Exportabhängigkeit und Armut bei den Entwicklungsländern geführt hat und noch immer führt.
So besagt die Theorie der strukturellen Abhängigkeit und Unterentwicklung, dass die internationale Arbeitsteilung nicht zu einer größeren Gleichheit führt, wie dies aus der Theorie des internationalen Handels abgeleitet wird, sondern die bestehende Ungleichheit verstärkt. […]
Im Detail machen die Verfasser folgende Vorschläge:

1. Armutsbekämpfung

Sie schlagen eine Erhöhung der bundesdeutschen Entwicklungshilfe von 0,27% auf 0,7% des Bruttosozialprodukts bis 2010 vor. Ein weiterer Schuldenerlass für die Ärmsten soll initiiert werden.
"Die Bundesregierung" soll "sich für eine bessere Anwendung und Weiterentwicklung des UN-Menschenrechtsabkommens einsetzen, insbesondere in Bezug auf die Erarbeitung eines Verhaltenskodex für das Recht auf Nahrung."
Diese Forderung bleibt weit hinter dem zurück, was die Entwicklungsländer bereits 1974 in der "Erklärung über die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnungie von der UN-Sonderkonferenz gefordert haben und die 6.Sondergeneralversammlung der UNO angenommen hat. Forderungen wie die Streichung der Schulden der Entwicklungsländer, Finanzierungshilfen für den Wiederaufbau einer von den Industrieländern unabhängigen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, Weg vom Export hin zur Selbstversorgung etc. sucht man in der Erklärung vergeblich.
Außerdem ignorieren die Autoren, dass der Generalsekretär der UNO, Kofi Annan, 1999 den berühmt-berüchtigten "Global Compact" mit den Multinationalen Konzernen abgeschlossen hat, der zwar einerseits die Multis zur Einhaltung ethischer Normen verpflichtet (wie die OECD-Richtlinien auch), dass aber gleichzeitig alle diese Normen keinerlei Verbindlichkeit haben. Im Gegenteil, im Bestreben, eine Partnerschaft mit den Konzernen zu erreichen, wurden bestehende Übereinkommen (Conventions) inzwischen teilweise schon "flexibilisiert" und den Wünschen der Multis angepasst. So geschehen vor zwei Jahren, als die ILO auf Wunsch der Konzerne die Konvention zum Kündigungsschutz von schwangeren Frauen aufweichte. Dieser Beschluss wurde sogar von der stellvertretenden Vorsitzenden des DGB, Frau Engelen-Kefer, unterschrieben.
Wie kann also die UNO oder gar die ILO die Kernarbeitsstandards garantieren, wenn sie selbst schon die neoliberale Doktrin akzeptiert haben und eine Partnerschaft mit den Multis anstreben? Solche Appelle sind doch nur Fensterreden.

2. Nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz

Hier wird auf die Umsetzung der Umwelt- und Entwicklungsziele des Gipfels in Johannesburg 2002 gesetzt. Für die Nutzung globaler öffentlicher Güter wie Luftraum und Meer soll bezahlt werden. Damit ermöglicht man finanzkräftigen Unternehmen wie den Transnationalen Konzernen (TNK) die Nutzung dieser Güter. Andere, die nicht bezahlen können, werden ausgeschlossen. Weitere Handelsliberalisierungen sollen erst nach der Prüfung ihrer Auswirkungen auf die Umwelt, die Armut etc. erfolgen — sie werden also nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Atomenergie soll nicht als nachhaltige Form der Energiegewinnung definiert werden. Den Ausstieg aus der Atomenergie sucht man vergeblich.
Über die Ergebnisse des Umweltgipfels in Johannesburg hat selbst die bürgerliche Presse fast flächendeckend negativ berichtet. Im "Informationsbrief 09/02 für Weltwirtschaft und Entwicklung von WEED" ist zu lesen:
"Der Umsetzungsplan von Johannesburg krankt im Kern an dem konzeptionellen Widerspruch, der auch schon früheren Aktionsprogrammen zum Verhängnis wurde. Er benennt einerseits ausdrücklich die Fehlentwicklungen der vorherrschenden Konsum- und Produktionsweisen und die negativen Folgen der Globalisierung, empfiehlt aber andererseits als Gegenmittel weitere Marktöffnung, Liberalisierung und die stärkere Einbeziehung der Privatwirtschaft, und damit Rezepte, die die Fehlentwicklung der Vergangenheit gerade befördert haben. Ein konsistenter Gegenentwurf zum neoliberalen Entwicklungsparadigma stand bei den offiziellen Verhandlungen nie zur Debatte."
Vom Gipfel der Enttäuschung und der Ernüchterung war allgemein die Rede.

3. Reform der Internationalen Finanzarchitektur

"Es fehlt an Leitplanken‚ für die Wechselkurse, die glaubhaft gegenüber dem Devisenmarkt durchsetzbar wären. Dieser Mangel engt die Spielräume für eine wachstumsfördernde, souveräne Konjunkturpolitik ein und behindert die Überwindung der seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre anhaltenden rezessiven Tendenzen."
Explizit wird auf volkswirtschaftliches Wachstum gesetzt. Wachstumskritische Ansätze sucht man vergeblich. Spekulationen sollen beschränkt werden. Warum sollen sie nicht unmöglich gemacht werden? Finanz- und Steueroasen sollen beaufsichtigt werden. Warum sollen sie nicht abgeschafft werden? […]

5. Keine unbeschränkte Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte

Die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte wird grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Den TNKs wird im Rahmen des globalen Wettbewerbs der Zugriff auf weitere Marktanteile (auch kommunale) gewährleistet. Es bleibt bei der Einschränkung, dass der öffentliche Dienst und soziale Dienstleistungsbereiche wie z.B. Bildung, Gesundheit, Umwelt, Wasser vom allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) ausgenommen werden sollen.
"Keine Übernahme von GATS-Verpflichtungen beim Vorliegen ernster Marktstörungen (Arbeitslosigkeit, Lohn- und Preisdumping)."
Da "Marktstörungen" überall auf der Welt vorliegen, müsste daraus notwendig und grundsätzlich gefolgert werden: Keine Übernahme von GATS-Verpflichtungen! Dabei hat Attac Deutschland eine Kampagne mit dem Titel "Stoppt GATS!" gestartet. […]
Die Attac-Erklärung ist undemokratisch zustande gekommen und ein Schlag ins Gesicht für die unzähligen Menschen, die im Namen von Attac unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" in den unterschiedlichsten Formen und mit den unterschiedlichsten Mitteln für eine andere Welt kämpfen.

Barbara Kleine/Maria Mies

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