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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 19

Hitler als Quotenbringer

Guido Knopps mediale Erfolge

Im Fernsehen boomen Geschichtsdokumentationen, vor allem jene über die Zeit des Nationalsozialismus. ‘Hitler sells‘ — dieser Devise und der Vorreiterrolle des ZDF und seines Chef-Dokumentaristen Guido Knopp folgend, sind immer mehr Produktionsfirmen und Sender auf den Zug aufgesprungen. Nachdem Knopp beim ZDF die Verantwortung für historische Themen übernahm, änderte sich der Stil. Dadurch verschärfte sich das grundsätzliche Problem: der latente Widerspruch zwischen dem Aufklärungs- und dem Unterhaltungsanspruch der Geschichtsdokumentationen. Das ZDF setzte jetzt eindeutig auf den unterhaltenden Charakter von Geschichte.

In den letzten sechs Jahren widmete sich Knopp vor allem der Geschichte des Nationalsozialismus. Hitlers Helfer, Krieger, Kinder und Frauen flimmerten in 35 Folgen über die Mattscheibe. Sie gerieten so uniform, wie die Titel vermuten ließen. Knopp schwebte ein abgestuftes System zur NS-Deutung vor: Nach dem Diktator selbst (Hitler — eine Bilanz), kam der innere Führer-Kreis (Hitlers Helfer), schließlich die Generäle und Soldaten (Hitlers Krieger) dran.
Einen schwer nachvollziehbaren Fauxpas leistete sich Knopp bei der Reihe Hitlers Helfer: Von den sechs Biografien gab es jeweils zwei Versionen. Dass diese formal voneinander abweichen wäre noch verständlich, verlangt doch der internationale Markt nach einem 52 Minuten langen Format, das ZDF will es hingegen 10 Minuten kürzer. Die inhaltlichen Abweichungen lassen sich nur schwer plausibel begründen. Sie verdichteten sich in dem Eindruck, dass die ZDF-Version eine an den Maßstäben der Political Correctness ausgerichtete war, die längere, die bei Arte ausgestrahlt wurde und auf Video erhältlich ist, hingegen geschönt wirkte. Besonders spektakulär war die Sequenz in der Videoversion, in der der Sohn von Rudolf Heß behaupten durfte, sein Vater sei durch die Briten ermordet worden.
Die Serien standen immer in der Kritik. Besonders bei der Reihe Hitlers Frauen wurde der "Kolportageblick" beanstandet. In einer quotenträchtigen Mischung aus Politik, Sex und Dämonie wurde hier ein Blick hinter die Kulissen der Machthaber geworfen. Formal ähnelte die Reihe den vorhergehenden: Zeitzeugen, Dokumentaraufnahmen, eine spannende Erzählweise angeblich neuer Geschichten. Hitlers Diener, seine Sekretärin, Eva Brauns Fahrer und andere Randfiguren des inner circle sorgten mit ihren Intimgeschichten für die notwendigen Indiskretionen. Diese bewegten sich in der Schlüssellochperspektive, wenn man unter anderem erfuhr, dass Eva Braun oft noch spät am Abend Schildkrötensuppe essen wollte.
Einen Sonderplatz unter den Serien nahm zweifellos die Reihe Holokaust ein. Weniger Hitler- zentriert als die übrigen, stellte sie sich einem anspruchsvollen Thema: der Vernichtung der europäischen Juden. Für die Beratung konnten wissenschaftliche Hochkaräter gewonnen werden. Nicht zuletzt deshalb kann man Knopp hier — wie auch bei den meisten anderen Reihen —, kaum inhaltliche Fehler nachsagen.
Über 500 Zeitzeugen wurden weltweit für das Filmprojekt befragt, von Israel über Polen bis zu den USA. Oft waren es Überlebende, die zum ersten Mal die Kraft fanden, vor einer Kamera über ihre Erfahrungen zu sprechen. Im Vergleich zu den anderen Knopp-Serien machten die Produzenten bei der Holokaust-Reihe allerdings nicht beim in Mode gekommenen Befragen von Zeitzeugen halt: In zweijähriger Arbeit durchforsteten Mitarbeiter der Produktionsfirma unter Leitung von Maurice Philip Remy mehr als 50 Archive zwischen Washington und Moskau sowie einige Millionen Meter Filmmaterial. Da es aber auch bei dieser Serie galt, ein großes Publikum zu erreichen, verzichtete das Team Knopp/Remy nicht gänzlich auf die bewährten Stilmittel.
Zwar hat sich Knopp auch an vielen anderen Stoffen versucht, über die Kanzler der Republik bis zu den Päpsten des Vatikan, doch jedes Mal lagen die Zuschauerzahlen deutlich unter denen der NS-Serien. Auch sein Counter-factual- history-Dokumentarspiel Der Dritte Weltkrieg fiel demgegenüber spürbar ab. Der Spiegel kommentierte den Zusammenhang treffend: "Nur wenn das Hakenkreuz auftaucht, ist Knopp seinem Ziel ganz nah, um 20.15 Uhr gegen Hollywood-Filme, Arztschnulzen, Actionreihen und Fußballübertragungen bestehen zu können."
Knopp hat mittlerweile über 30 Mitarbeiter in der ZDF-Abteilung Zeitgeschichte, die ihm zuarbeiten. Dem Team geht der Stoff nicht aus: Nach der fünfteiligen Reihe Die große Flucht vom Winter 2001 lief ab Anfang Januar 2002 die erste Staffel einer auf 21 Folgen angesetzten Serie Der Jahrhundertkrieg; ab November startete eine sechsteilige Dokumentation über die SS. Pünktlich zum 60.Jahrestag der deutschen Kapitulation in Stalingrad liefert Knopp im Januar 2003 einen Dreiteiler zu diesem Thema ab. Für 2004 sind mehrere Filme über die Widerstandskämpfer geplant und 2005 will Knopp mit Hitlers Volk, einer abschließenden Analyse der Beziehung zwischen Hitler und den Deutschen, "den Sack vielleicht zumachen".

Das Diktat der Quote

Seit 1997 laufen Knopps Dokumentationen zum Nationalsozialismus zur besten Sendezeit (20.15 Uhr) und nicht erst nach 22 Uhr. Sie hatten dabei in der Regel bessere Einschaltquoten als die meisten Unterhaltungssendungen: Die Reihe Der verdammte Krieg erreichte 1995 3,75 Millionen Zuschauer und damit 18,3% Marktanteil, Hitler — Eine Bilanz ebenfalls 1995 5,03 Millionen und über 22%, die erste Staffel von Hitlers Helfer 1997 im Schnitt 6,86 Millionen bzw. 21%, die zweite Staffel 1998 4,35 und damit 15%. Die Folge über Joseph Goebbels war mit 7,43 Millionen Zuschauern sogar Tagessieger. Die Reihe Hitlers Krieger fand 1999 5,2 Millionen Zuschauer und erreichte damit einen Marktanteil von 16,2%, Holokaust hatte 2000 2,64 Millionen Zuschauer, Hitlers Kinder ebenfalls 2000 3,5 Millionen und Hitlers Frauen 2001 im Schnitt knapp 5 Millionen. Zwar konnte Knopp die Bestmarke von 6,86 Millionen Zuschauern nicht wieder erreichen, die Werte für die Nachfolgeserien lagen für Dokumentationen ungewöhnlich hoch. Mit dieser Erfolgsgeschichte ist Knopp inzwischen zur Marke geworden.
Die überwiegende Zahl der Zuschauer ist älter als 50 Jahre; bei der Reihe Hitlers Frauen waren sogar 48% 65 Jahre und älter. In der Regel dominieren die männlichen Zuschauer mit 55%. Eine Ausnahme bildeten Hitlers Frauen, dort lagen die weiblichen Zuschauer mit 55% vorn. Trotz der Videoclipmachart erreicht Knopp nur wenig jugendliche Konsumenten — es bleibt bei einem Seniorenprogramm.
Durch die aufwendigen Archivrecherchen und den Ankauf der entsprechenden Rechte, sind Knopps Produktionen teuer. Insidern zufolge, hatte jede Holokaust-Folge einen Etat von knapp einer Million Mark. Davon soll der Erwerb der Weltrechte für Filme und Dokumente jeweils die Hälfte verschlungen haben. Die hohen Kosten führen zur Notwendigkeit einer internationalen Beteiligung. So waren bei dieser Reihe — unter Federführung der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte — unter anderem der History Channel (USA), das österreichische, niederländische und australische Fernsehen, Phoenix und Arte involviert. Gesendet wurde die Reihe dort sowie in Großbritannien auf Channel 4.
Vor allem durch den weiteren Verkauf der Senderechte an den italienischen Sender RAI, das belgische, lettische und israelische Fernsehen sowie Slowak TV konnten die Kosten hereingebracht werden. Großen Erfolg erzielte die Ausstrahlung der Reihe im österreichischen Fernsehen ORF.
Ähnliches gilt für die Dokumentationen insgesamt: Die Archive in Washington, Moskau und in Ostmitteleuropa erhalten je Minute Filmmaterial oft 8000, manchmal bis zu 15000 Euro für die weltweiten Senderechte. Über den Verkauf in alle Welt — bislang in über 50 Länder — kommt mehr Geld herein, als ausgegeben wurde. Lediglich die inzwischen ausgelaufene Krimiserie Derrick war für das ZDF ein noch größerer Exportschlager. Bis nach Burkina Faso sind z.B. die fünf Folgen von Hitlers Kinder exportiert worden. Allein die Reihe Hitlers Helfer wurde in 42 Länder verkauft.
Knopp sagt selbst zu seinem quotenorientierten Konzept: "Ich will und muss um 20.15 Uhr auch den Arbeiter von der Werkbank erreichen, der sonst lieber RTL sieht. Meine Filme sollen stimmen und attraktiv sein — und dürfen auch gern den Schlaf rauben." Klar hat er erkannt, dass in der Primetime mit dem medialen Überangebot auf dem Unterhaltungssektor nur ein spannendes und emotionalisierendes historisches "Ereignisfernsehen" eine Chance hat.

Machart und Methode

Knopps Erfolge beruhen nicht zuletzt auf seiner Produktivität. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass er eine komplette "Aufarbeitungsmaschinerie" in Gang gesetzt hat, deren Produkte sich stark ähneln: Von den möglichst stark emotionalisiert wirkenden Zeitzeugen vor der notorischen schwarzen Wand, der dramatischen Vortragsweise des Sprechers, dem gezielten Einsatz der Musik bis zu den Gegenschnitten von historischem Archivmaterial und aktuellen Landschaftsbildern bleibt die Methode gleich. Sie ist eine auf Wirkung bedachte Inszenierung. Die Form der Serien ist von Verknappung gekennzeichnet, die Rezeption wird auf diese Weise vereinfacht. Die Sprache ist verkürzt auf überschrift- und schlagwortartige Texte, gesprochen aus dem Off, kein Originalton ist länger als drei Sätze, keine zusammenhängende Szene länger als eine Minute. Die Mischung aus historischen Aufnahmen, Kurzbefragungen von Zeitzeugen und Szenen mit Schauspielern, wird in der Branche schon als "Knopp-Stil" tituliert.
Knopp folgt — mit Ausnahme der Holokaust-Reihe — sehr konsequent einem biografischen Ansatz, der zweifellos den Vorteil hat, Geschichte einfacher vermitteln zu können. Aber es handelt sich so zwangsläufig um eine sehr reduzierte Geschichte, bei der die jeweilige soziale und ökonomische Dimension fast vollständig auf der Strecke bleibt. Trotzdem muss man anerkennen, dass auch dieser Ansatz historisches Verständnis wecken kann und für viele Menschen den einzigen Zugang zu Geschichte überhaupt öffnet.
Umstritten bleibt, ob Fernsehmacher wie Knopp so weit gehen dürfen, nachgestellte und gespielte Szenen in Dokumentationen zu implantieren. Kritiker meinen, dass damit lediglich "Lücken im Archiv effektvoll übertüncht" würden, dass die assoziativen Filmeinspielungen "für die gewünschte Atmosphäre" sorgten.
Natürlich gibt es von vielen wichtigen Ereignissen der Vergangenheit keine Filmaufnahmen. Andere Dokumentarfilmer behelfen sich mit symbolischen Bildern. Knopp lässt Schauspieler auftreten, zeigt sie aber nur von hinten, ohne Kopf oder durch einen Weichzeichner.
Diese Methode der Grenzverwischung zwischen Dokumentation und Fernsehfilm — von ihm "szenische Zitate" genannt — verteidigt Knopp offensiv: "Die Fakten stimmen immer und werden durch die Effekte akzentuiert. Zum Beispiel Eichmann und Mengele: Zu diesen Tätern gibt es keinen Meter bewegtes Bild und deshalb auch weltweit bislang keinen ordentlichen Film. Nur mit Nachdrehs ist es möglich, die überhaupt zu porträtieren." Da darf dann schon mal, wie der Spiegel zur Folge über Rudolf Heß der Reihe Hitlers Helfer süffisant anmerkte, "ein Fallschirmspringer im historischen Kostüm über Schottland — oder war es der Mainzer Lerchenberg? — abspringen".
Seit 1998 nimmt das ZDF in einer Aktion "Die Augen der Geschichte" mit einem Studio Zeitzeugen auf. "Augen" steht hier zumeist für "Tränen". Weinende Menschen passen ins Knopp‘sche Bild: Egal ob Täter oder Opfer — anscheinend ist keine ZDF-Geschichtsdokumentation mehr ohne dieses Stilmittel denkbar. Durch die einheitliche Gestaltung sind die Statements kompatibel und können in verschiedene Filme eingebaut werden. Zeitzeugen werden so zu einem unkritisch eingesetzten, oft nur noch optisch begründeten Zitat, reduziert. In der Regel werden zu viele Zeitzeugen ausgewählt, die dann zu kurz zu Wort kommen. Selbst ein Mitarbeiter Knopps spottet über die Kürze der Ausschnitte: "Bei uns gilt das Prinzip: Kein Zeitzeuge über 20 Sekunden, nur der Heilige Vater bekommt 30."
Die Tatsache, dass auch die Sender der ARD mit Serien wie Vier Kriegsherren gegen Hitler das Knopp-Konzept übernommen haben, scheint für ihn zu sprechen. Dass es auch anders geht, hat die ARD-Reihe Soldaten für Hitler 1998 vorgeführt. Sie erreichte mit weitaus weniger schmückendem Beiwerk und späterer Sendezeit immerhin 3,6 Millionen Zuschauer. So bleibt die Hoffnung, dass der Zuschauergeschmack und die Sehgewohnheiten auch für ein Geschichtsfernsehen jenseits der Knopp‘schen Muster offen sind.

Karsten Linne

Karsten Linne ist Historiker und lebt in Hamburg. Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um die umgearbeitete und gekürzte Fassung eines Aufsatzes, der unter dem gleichen Titel — zusammen mit anderen Beiträgen zu Knopp — in 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 2/2002, erschienen ist.


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