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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 21

Die Wasserstoff-Revolution

Jeremy Rifkin, Die H2-Revolution. Wenn es kein Öl mehr gibt... Mit neuer Energie für eine gerechte Weltwirtschaft, Frankfurt am Main: Campus-Verlag, 2002, 304 Seiten, 25,50 Euro

In seinem neuesten Buch prophezeit der Zukunftsforscher Jeremy Rifkin die Energiewende, entmachtet die Konzerne und entwirft eine gerechte Weltwirtschaft — mit Wasserstoff.
Das alte Rom ging unter, weil es durch Raubbau seine eigene Energiegrundlage zerstört hatte. Das gleiche Schicksal hätte um ein Haar das abendländische Europa ereilt, wäre da nicht die Kohle gewesen, die man seit Beginn der industriellen Revolution anstelle von Holz verfeuerte. Die Kohle als Hauptenergieträger wurde abgelöst von Erdöl und Erdgas, auf denen unsere heutige globalisierte Welt beruht.
Doch die Ölquellen versiegen und auch die Erdgasreserven sind bald erschöpft. Und selbst wenn dies nicht so wäre, so können die fossilen Brennstoffe nicht ungehemmt weiter genutzt werden, da bei ihrer Verbrennung das umweltschädliche Kohlendioxid freigesetzt wird. Für Rifkin steht fest: Das Zeitalter des Kohlenwasserstoffs geht seinem Ende entgegen. Und was kommt danach?
Zu allem Überfluss liegen die größten Öl- und Erdgasreserven im Nahen Osten. Am Persischen Golf wird man noch Öl und Gas fördern, wenn anderswo die Bohrtürme und Bohrinseln längst verschrottet sind. Damit wächst die politische und ökonomische Macht der arabischen Staaten: "Ob nun die heutigen Diktatoren weiter regieren oder die Fundamentalisten ans Ruder kommen — die Region hat in nächster Zukunft die Hand auf dem Öl, sie besitzt damit ein erstklassiges Machtmittel.
Die Herren am Golf werden die Preise und Konditionen diktieren, einfach weil die Konkurrenten ausgespielt haben werden." Keine schönen Aussichten für den Westen und den Rest der Welt. Wer glaubt da noch an den Kriegsgrund "Massenvernichtungswaffen"? Rifkin jedenfalls nicht!
Kriege um Öl — wenn es nach Rifkin ginge, gehörten sie der Vergangenheit an. In seiner gerechten Welt sind fossile Brennstoffe nämlich überflüssig, also auch die entsprechenden Verteilungskämpfe. Statt Öl und Gas zu verbrennen, gewinnen die Menschen ihre Energie zukünftig aus Wasserstoff, der im Himmel und auf Erden in unerschöpflichen Mengen vorhanden ist. In Brennstoffzellen werden die Elemente Sauerstoff und Wasserstoff in einer "kalten Verbrennung" zusammengeführt. Es entsteht Strom, Wärme und als Abfallprodukt lediglich Wasser. Wenn in unseren Häusern bald Brennstoffzellen die Energieversorgung übernehmen, dann können wir unsere Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke, aber auch unsere Atomreaktoren, endlich abschalten. Versteht sich, dass auch unsere Autos schadstofffrei mit Wasserstoff angetrieben werden.
Während die alten, umweltschädlichen Kraftwerke entbehrlich werden, bekommt das Stromnetz eine neue Aufgabe: Der ehemalige Endverbraucher, der nun Produzent und Konsument in einem ist, kann Strom, den er nicht selbst benötigt, ins Netz einspeisen. Auf diese Weise entsteht ein Wasserstoff-Energie-Netz, über das alle Menschen dieser Welt miteinander verbunden sind. Die Kleinproduzenten schließen sich genossenschaftlich zusammen und vertreten gemeinsam ihre Marktinteressen gegenüber den Netzbetreibern, den ehemaligen Energiekonzernen.
Mit dem Wasserstoff-Energie-Netz und der dezentralen Energieerzeugung schlägt Rifkin gleich noch ein paar weitere Fliegen: Unsere derzeitige Energieversorgung ist verletzlich — Naturkatastrophen, technische Pannen und terroristische Anschläge können zu Störungen des Energieflusses führen. Demnächst ist dies kein Problem mehr, denn jeder kann sich ja selbst versorgen. Und zwar wirklich jeder: Die Nutzung des Wasserstoffs, so Rifkin, wird es auch den Menschen in den so genannten Entwicklungsländern ermöglichen, ihren Energiebedarf zu decken. Brennstoffzellen als Form der Entwicklungshilfe.
Leider liegt Wasserstoff auf der Erde überwiegend chemisch gebunden vor — im Wasser, in allen Lebewesen und auch in fossilen Brennstoffen. Er ist also keine frei verfügbare Ressource, sondern er muss über verschiedene Verfahren erst gewonnen werden. Zurzeit wird Wasserstoff, der überwiegend in der chemischen Industrie eingesetzt wird, zumeist aus fossilen Brennstoffen erzeugt. Rifkin schlägt stattdessen vor, Wasserstoff mit Hilfe der Elektrolyse aus Wasser zu gewinnen, wobei der dazu nötige Strom aus regenerativen Quellen — Wasser, Sonne, Wind, Biomasse usw. — stammt. Nur dann wäre die Nutzung von Wasserstoff wirklich schadstofffrei.
Schade nur, dass jede Energieumwandlung mit einem Verlust an nutzbarer Energie einher geht. Warum sollte man regenerativ erzeugten Strom verlustreich in Wasserstoff umwandeln, ihn möglicherweise energieaufwändig transportieren, nur um ihn anschließend wieder in Elektrizität (und Wärme) zu verwandeln? Sinnvoller wäre die direkte Nutzung oder die Einspeisung des überschüssigen Stroms ins Netz. Statt die erneuerbaren Energien ins Zentrum seiner Überlegungen zu stellen, versteift sich Rifkin auf den Wasserstoff. Wasserstoff ist ein brauchbarer Energiespeicher für bestimmte Anwendungen, mehr aber nicht.
Eine Antwort schuldig bleibt Rifkin auf die Frage, wie der benötigte Wasserstoff in großem Maßstab erzeugt und verteilt werden soll. Wer wird über die Wasserstoff-Infrastruktur verfügen? Vermutlich ja wohl die angeblich entmachteten Konzerne. Diese haben längst erkannt, dass die dezentrale Energieversorgung langfristig neben die herkömmliche zentrale Energieversorgung treten wird und investieren auch erhebliche Summen in ihre Entwicklung und Erprobung. Sie tun dies, um im Geschäft zu bleiben, und sicher nicht, um sich mit genossenschaftlich verbundenen Energiesouveränen herumzuärgern. Die von Rifkin selbst angeführte Kommerzialisierung des World-Wide-Web ist dafür ein ernüchterndes Beispiel.
Technische Probleme interessieren Rifkin, der sich selbst als Optimist bezeichnet, nicht. Sie sind lösbar. Doch auch als Optimist hätte er sich intensiver mit den realen Machtverhältnissen auseinandersetzen sollen. Für Rifkin ist die "Demokratisierung der Energie", in deren Genuss alle Menschen dieser Erde kommen sollen, Ausgangspunkt für eine demokratische und gerechte Weltwirtschaft, in der die Macht völlig neu verteilt ist. Die Wirklichkeit wird anders aussehen: Wasserstoff wird dort, wo es sinnvoll ist, eingesetzt. Als Wirtschaftsgut wird er genauso vermarktet wie heute Heizöl oder Benzin. Die Konzerne werden dabei gute Geschäfte machen und auch sonst bleibt alles beim alten.

Andreas Zolper

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