SoZ Sozialistische Zeitung |
Gelbe Karte für Attac-Chefs" schrieb die Taz über den 7.Ratschlag des Attac-Netzwerks in Göttingen.
An die 400 Attac-Mitglieder aus ganz Deutschland führten in Göttingen eine ernsthafte Auseinandersetzung um eine Erklärung, die der
Koordinierungskreis von Attac zusammen mit DGB und Venro (Verband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen) verabschiedet hatte. Im
Vorfeld hatte es größere Proteste aus Attac-Gruppen gegeben. Die Diskussion warf einige grundlegende Fragen für die Zukunft des
Netzwerks auf, das inzwischen 11000 Mitglieder zählt.
Auf dem Plenum am Freitag abend wurde der Rahmen für die Arbeit in den kommenden
Monaten abgesteckt. Sven Giegold analysierte die zwei bestimmenden Faktoren der aktuellen Situation: der kommende Krieg und die akute Funktionskrise des
Kapitalismus. In der Diskussion wurde der Begriff Strukturkrise als tauglicher befunden und auch auf das Scheitern der keynesianischen Antworten hingewiesen.
Peter Wahl und der Autor dieses Artikels unterstrichen in weiteren Impulsreferaten die
Pluralität als die enorme Stärke von Attac. Peter Wahl unterschied zwischen konfrontativer, instrumenteller und produktiver Pluralität und
zählte zum dritten einen herrschaftsfreien Diskurs und die Absage an Avantgardeansprüchen gegenüber sozialen Bewegungen. Attac suche
eine Kombination zwischen gangbaren Reformschritten und der Diskussion über grundsätzliche Alternativen. Der Autor kritisierte, Attac habe es
bei allem Erfolg versäumt, ausreichend die rot-grüne Wirtschafts- und Sozialpolitik zu kritisieren. Die Kampagnenfähigkeit müsse
erhöht werden, was eine stärkere Einbindung der Mitgliedschaft erfordere. Die Bündnispolitik von Attac solle entlang solcher Kampagnen
von unten aufgebaut werden.
Eine unterschiedliche Einschätzung ergab sich hinsichtlich der
Gewerkschaftsführung: Der Autor kritisierte sie im Wesentlichen als loyal zur rot-grünen Regierung, was der entscheidende Grund für die
Schwäche der sozialen Bewegungen sei. Hingegen nahm Peter Wahl in der Gewerkschaftsspitze Bewegung wahr: führende Gewerkschafter
wüssten heute, dass ihre Organisationen ohne Annäherung an die sozialen Bewegungen in 20 Jahren nicht mehr existieren werden.
Der Samstag begann mit ca. 30 parallel laufenden Workshops. Nachmittags wurde die
Friedenstour von Attac vorgestellt eine Podiumsveranstaltung mit Vertretern der Friedenbewegung aus den USA, England und Italien, die in 17
Städten Station machen soll. Winfried Wolf sprach als Vertreter der deutschen Friedensbewegung. Leider wurde die Diskussion vom Palästina-
Israel-Konflikt dominiert. Dies war insofern unglücklich, weil es in Attac zu diesem Thema noch keine Meinungsbildung gegeben hat.
Danach waren zwei Stunden für die Debatte über die umstrittene Erklärung
mit DGB und Venro vorgesehen. Im überfüllten Foyer der Schule hatten sich Gegner wie Befürworter aufgestellt. Die Gegner
präsentierten vier Anträge (aus Köln, Hamburg und Berlin); drei von ihnen forderten die Rücknahme der Unterschrift; die Kölner
meinten zusätzlich, sollte dies nicht geschehen, müsse der Koordinierungskreis zurücktreten.
Die Kritik am Koordinierungskreis entzündete sich sowohl am Inhalt der
Erklärung wie am Zustandekommen der Unterschrift von Attac. Obwohl drei Tage vor ihrer Veröffentlichung der Attac-Rat (das höchste
Entscheidungsgremium zwischen den Ratschlägen) getagt hatte, erfuhren alle Attac-Mitglieder außerhalb des bundesweiten Koordinierungskreises
von der Erklärung aus der Presse. Nicht einmal im Koordinierungskreis selbst hatte es eine ausführliche Diskussion gegeben; dort war das Plazet zur
Unterschrift im E-Mail-Verfahren eingeholt worden.
Die inhaltliche Kritik war ziemlich grundsätzlich und stieß sich vor allem am
Globalisierungsbegriff, der in der Erklärung verwendet wird und der nicht dem Mainstream der Globalisierungskritiker entspricht (siehe auch den Beitrag
von Maria Mies auf Seite 17).
Die meisten Anwesenden, die die Unterschrift verteidigten, wollten nicht den Inhalt der
Erklärung verteidigen. Es sei "klar", dass das Papier in Attac nicht Konsens sei, argumentierten sie; einige verstiegen sich sogar zur
Beteuerung, das Papier sei "richtig schlecht", die Unterschrift darunter "aus bündnispolitischen Gründen" dennoch richtig,
denn sie erleichtere die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften (worunter im Konkreten die Hauptamtlichen verstanden wurden). Andere aus dem
Koordinierungskreis wollten keinen Widerspruch zum Attac-Konsens sehen, der sich seit dem 1.Ratschlag in Frankfurt im Mai letzten Jahres in der dort
verabschiedeten Attac-Erklärung materialisiert.
Es war dann ein Stück Arbeit, überhaupt ein Meinungsbild über die
Erklärung zu erreichen. Dieses erbrachte eine überwältigende Ablehnung der Erklärung (bei zwei, drei Stimmen für das Papier).
Man folgte im weiteren dem vierten Antrag der Kritiker, der eine Demontage des Koordinierungskreises ablehnte, stattdessen Schadensbegrenzung vorschlug
durch die Formulierung einer Zusatzerklärung, die in Zukunft der DGB-Attac-Erklärung beizulegen sei und die den Konsens in Attac
zusammenfassen sollte. Dieses Vorgehen fand die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Anwesenden.
Die Zusatzerklärung stellt nun fest, dass die gemeinsame Erklärung mit DGB und
Venro dem Konsens von Frankfurt widerspricht. Sie wird ab jetzt immer mit der DGB-Venro-Erklärung zusammen veröffentlicht. Dies wurde mit
über 90% der Stimmen angenommen und ist durchaus so zu werten, daß die Anwesenden trotz der scharfen Auseinandersetzung entlang der
gemeinsamen Ziele wie bisher konsensorientiert weiter arbeiten wollen. Das war ein sehr positives Ergebnis, mit dem nicht von Anfang an zu rechnen gewesen
war.
Diese Auseinandersetzung war ein Meilenstein für die Stärkung des
basisdemokratischen und bewegungsorientierten Charakters von Attac. Ob sich hieraus ein langfristiger Richtungskampf entwickelt, hängt von der
Lernfähigkeit des jetzigen Koordinierungskreises ab. Wenn er weiterhin an der Basis vorbei agiert, werden Risse in Attac entstehen, die so schnell nicht zu
kitten sein werden.
Pedram Shahyar
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04